Nicht die Menge allein bestimmt das Risiko

Um Risiken des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln zu senken, muss man sie messen, was h?ufig über mengenbasierte Indikatoren erfolgt. Doch diese verkennen Risiken, schreibt Robert Finger.

Robert Finger

Die Risiken aus dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln für Mensch und Umwelt zu senken ist weltweit von grosser agrar- und umweltpolitischer Relevanz. In der Schweiz streben zwei Volksinitiativen drastische Einschr?nkungen des Pflanzenschutzmittel-Einsatzes an, und der Bundesrat hat im Jahr 2017 einen nationalen Aktionsplan zur Reduktion von Risiken verabschiedet. Politische Massnahmen sind jedoch nur zielführend, wenn sie auf messbaren und sinnvollen Indikatoren beruhen.

Traktor versprüht Pflanzenschutzmittel
Was beim Pflanzenschutz für die Umwelt gef?hrlich ist, l?sst sich kaum über Mengenangaben erfassen. (Bild: Countrypixel / stock.adobe.com)

G?ngige Messgr?ssen sind unzul?nglich

Ein sinnvoller Indikator erm?glicht es, Pflanzenschutzmittel-Anwendungen nach Risiko zu klassieren. Erst dann k?nnen Massnahmen abgeleitet werden, wie etwa Anwendungseinschr?nkungen, F?rderung bestimmter Anbaupraktiken oder Lenkungsabgaben1. In der gesellschaftlichen und politischen Diskussion dominieren jedoch mengenbasierte Indikatoren, welche etwa die ausgebrachte Menge in Kilogramm pro Hektar beziffern.

Solche Indikatoren sind kontraproduktiv, da sie Risiken verkennen und wom?glich sogar verschleiern. Sch?dlinge werden beispielsweise mit Insektiziden bek?mpft, die in geringen Dosen angewendet werden jedoch hoch toxisch sein k?nnen. Zugleich werden auch pflanzliche ?le angewendet, welche wenig toxisch sind, jedoch in grossen Mengen ausgebracht werden.

Menge und Risiko einzelner Stoffe müssen also zusammen betrachtet werden, um wirksame Massnahmen ergreifen zu k?nnen. Eine Studie aus den USA konnte zeigen, dass sich aus nationalen Statistiken berechnete Trends in der Pflanzenschutzmittel-Nutzung sogar umkehren k?nnen, je nachdem, welcher Indikator verwendet wird: W?hrend die Menge der in den USA verwendeten Herbizide über die Zeit zugenommen hat, sind die Risiken gesunken2.

Extreme Risiken bleiben unerkannt

Wir haben in einer neuen Studie3 nun überdies gezeigt, dass mengenbasierte Indikatoren besonders risikoreiche Pflanzenschutzmittel-Anwendungen nicht als solche identifizieren k?nnen. Für die Studie testeten wir die meist verbreiteten Mengenindikatoren (Menge pro Hektar und Standardanwendungen pro Hektar) sowie den in D?nemark angewendeten Risikoindikator ?Pesticide Load?. Letzterer erlaubt es, detailliert und umfangreich Risiken für Mensch und Umwelt in einer Masszahl auszudrücken4.

Anhand der Schweizer Winterweizen- und Kartoffelproduktion in den Jahren 2009-2013 haben wir alle drei Indikatoren parallel berechnet. Die Analyse beruht auf tats?chlich beobachteten Anwendungsmustern von Pflanzenschutzmitteln in diversen Betrieben über mehrere Jahre und ergibt so eine realistische Abbildung. Danach haben wir untersucht, ob jene Indikatoren, die die ausgebrachten Mengen an Pflanzenschutzmitteln beziffern, auch eine Bewertung der Risiken erlauben. Berechnet haben wir dies mittels Korrelationskoeffizienten und Copulas. Korrelationskoeffizienten geben an, ob im Mittel aller Anwendungen ein Zusammenhang zwischen Risiko- und Mengenindikator besteht. Copulas erlauben es, diesen Zusammenhang speziell für die Anwendungen mit extrem niedrigen und extrem hohen Risiken zu untersuchen.

?Mengenindikatoren k?nnen die Wirkung der durch die Politik eingeführten Massnahmen verzerren oder sogar umkehren.?Robert Finger

Die Resultate zeigen: Im Mittel birgt eine gr?ssere Menge Pflanzenschutzmittel auch gr?ssere Risiken. Aber: Extrem hohe Risiken werden von den zurzeit genutzten Mengenindikatoren überhaupt nicht identifiziert – notabene auch bei politisch umstrittenen Pflanzenschutzmitteln.

Was heisst das für die Politik?

Wenn wir Risiken für Mensch und Umwelt reduzieren wollen, ist es sicher keine sinnvolle Strategie, auf eine Reduktion hoher Mengen oder Intensit?ten abzuzielen. Aussagen wie ?die Menge des Pflanzenschutzmittel-Einsatzes muss reduziert werden? sind als nicht zweckdienlich, im Gegenteil: Die Nutzung von Mengenindikatoren kann zu einer Verzerrung und sogar zu einer Umkehr der Wirkung der durch die Politik eingeführten Massnahmen führen. Für eine sinnvolle Pflanzenschutzmittelpolitik braucht es einen fundierten, (inter-)nationalen Risikoindikator. Dieser fehlt momentan in vielen L?ndern, auch in der Schweiz.

Robert Finger hat diesen Beitrag gemeinsam mit Niklas M?hring geschrieben.

Referenzen

1 Zukunftsblog: Pflanzen schlauer schützen
2 Kniss, A. R. (2017). Long-term trends in the intensity and relative toxicity of herbicide use. Nature communications, 8, 14865.
3 M?hring, N., Gaba, S., & Finger, R. (2019). Quantity based indicators fail to identify extreme pesticide risks. Science of The Total Environment 646, 503-523
4 Kudsk, P., J?rgensen, L. N., & ?rum, J. E. (2018). Pesticide Load—A new Danish pesticide risk indicator with multiple applications. Land Use Policy, 70, 384-393.

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