Leuchtende Liposomen ersetzen Tierversuche

Das Botulinum-Neurotoxin (BoNT) ist eines der st?rksten bekannten Gifte. Produziert wird es vom Bakterium Clostridium botulinum. BoNT hemmt die Signal¨¹bertragung von Nervenenden zu den Muskeln, was zu L?hmungen bis hin zum Atemstillstand f¨¹hrt. Ein Mikrogramm pro Kilogramm K?rpergewicht reicht, um einen Erwachsenen zu t?ten. BoNT ist ber¨¹chtigt als Lebensmittelgift, zum Beispiel bei ungen¨¹gend sterilisiertem, eingemachtem Gem¨¹se. Botulinum-Neurotoxin hat aber auch Vorz¨¹ge. So werden damit Dutzende von chronischen Leiden und Gebrechen behandelt, darunter nervlich bedingte Fehlhaltungen wie der Schiefhals, Schielen, Migr?ne oder der Tennisarm. Seit den 1990er Jahren braucht auch die Kosmetikindustrie das Gift im grossen Stil unter dem Namen Botox, um Falten im Gesicht zu gl?tten.

Der Einsatz von BoNT ist allerdings ein Spiel mit dem Feuer. Das Toxin ist ein Naturprodukt und wird nicht in konstanter Konzentration produziert. Zulassungsbeh?rden verlangen deshalb, dass jede Charge eines BoNT-haltigen Therapeutikums mit dem Maus-LD50-Test auf seine Toxizit?t getestet wird. Damit wird bestimmt, bei welcher Dosis die H?lfte der Tiere stirbt. F¨¹r solche Routinetests in der Pharmaindustrie m¨¹ssen in der EU und den USA j?hrlich ¨¹ber eine halbe Million M?use ihr Leben lassen.

St?rker leuchten, bedeutet h?here Konzentration

Ein neues, von ETH-Forscher Oliver Weingart in Zusammenarbeit mit dem Labor Spiez entwickeltes Testsystem k?nnte nun diese M?useleben retten. Das System ist das Erste, das ohne Versuchstiere oder lebende Zellen auskommt, denn es misst die toxische Aktivit?t des Nervengifts mithilfe von k¨¹nstlich hergestellten Lipidmembran-Bl?schen, so genannten Liposomen. So hat der Forscher am Labor f¨¹r Lebensmittelmikrobiologie winzige, von einer Lipid-Doppelmembran umgebene Bl?schen hergestellt, die den Enden von Nervenzellen nachempfunden sind. In die Membran eingebettet sind spezifische Nervenzellrezeptoren, an welche das Botulinum-Neurotoxin nach dem Schloss-Schl¨¹ssel-Prinzip bindet. Indem die umgebende Fl¨¹ssigkeit anges?uert wird, ver?ndert sich die Struktur des Toxins, sodass ein Teil von ihm in das Liposom eingeschleust wird. Dort entfaltet das Toxin eine weitere Aktivit?t und zerkleinert ein im Bl?schen enthaltenes Protein, das nach der Spaltung zu leuchten beginnt. Diese Fluoreszenz ist direkt an die BoNT-Konzentration gekoppelt: Je st?rker die Liposomen leuchten, desto h?her ist die Konzentration des Giftes.

G¨¹nstig, einfach und pr?ziser

Das Verfahren hat handfeste Vorteile. ?Die Liposomen lassen sich g¨¹nstig produzieren, und f¨¹r das Handling braucht es keine spezielle Schulung des Personals?, sagt Weingart. Zudem liegt bei M?usen die Nachweisgrenze von Botulinum-Neurotoxin bei etwa 10 Pikogramm. Das Ziel ist, dass sich mithilfe der Liposomen weniger als ein Pikogramm des Giftes - den billionstel Teil eines Gramms - feststellen lassen k?nnte. Schon nach ein bis drei Stunden erzeugt das Testsystem eine messbare Fluoreszenz. Das endg¨¹ltige Resultat des Tests ist nach weniger als 24 Stunden erh?ltlich, bei M?usen dauert es mindestens ein bis vier Tage. ?Wir haben gesehen, dass die Idee umsetzbar ist?, sagt Martin Loessner, Professor f¨¹r Lebensmittelmikrobiologie. Die Forscher haben deshalb begonnen, die Testanordnung zu standardisieren. Dabei geht es auch darum, die Liposomen zu verbessern, damit verl?sslichere Messungen m?glich werden.

Zum Patent angemeldet

An den Forschungsarbeiten beteiligt sind eine deutsche Forschungsgruppe an der Medizinischen Hochschule Hannover, die Firma miprolab GmbH in G?ttingen sowie das Labor Spiez, wo Weingart dieses Projekt als ETH-Doktorand begonnen hatte. Die Forscher haben nun zusammen mit dem Bundesamt f¨¹r Bev?lkerungsschutz, dem das Labor Spiez angegliedert ist, ihr neues Testsystem weltweit zum Patent angemeldet. Das Projekt wird momentan weitgehend ¨¹ber ein Stipendium der ?Stiftung Forschung 3R? an Weingart finanziert. Die Stiftung hat sich die Verminderung, Vermeidung und Verbesserung von Tierversuchen auf die Fahne geschrieben und wird unterhalten vom Tierschutz und der Pharmaindustrie.

Bis anhin haben sich die Forscher auf die Bed¨¹rfnisse der Pharmaindustrie konzentriert. Martin Loessner und Oliver Weingart k?nnen sich aber auch vorstellen, das Testsystem f¨¹r andere Anwendungen auszubauen. Es w?re denkbar, eine vergleichbare Testanordnung f¨¹r Trinkwasser oder Lebensmittel zu entwickeln, um Neurotoxine aufzusp¨¹ren.