Zutaten für ein nachhaltiges Schweizer Ernährungssystem

Die Art und Weise, wie sich eine Gesellschaft ern?hrt – und wie sie ihre Lebensmittel produziert und verfügbar macht – , ist zentral für das langfristige Wohl eines Landes. Doch allenthalben stehen Ern?hrungssysteme vor grossen Herausforderungen. Was es braucht, um die Ern?hrung der Schweiz nachhaltig sicherzustellen.

Vergr?sserte Ansicht: Nachhaltiges Schweizer Ernährungssystem.
(Bild: Montage ETH Zürich / Maksim Pasko - Fotolia.com)

Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Zuverl?ssige Trends deuten darauf hin, dass die Bev?lkerung in den n?chsten Jahrzehnten w?chst und wohlhabender wird – nicht nur in der Schweiz. Die Nachfrage nach Lebens- und indirekt nach Futtermittel wird steigen. Gleichzeit stehen immer weniger natürliche Ressourcen wie fruchtbares Land, sauberes Wasser oder verwertbare N?hrstoffe zur Verfügung, um den wachsenden Bedarf zu decken. Hinzu kommen ern?hrungsbedingte Krankheiten, die als Folge von falschem oder überm?ssigem Lebensmittelkonsum zunehmenden Druck auf das soziale Sicherungssystem ausüben.

Auch in der Schweiz sind diese Trends bereits sichtbar: Es gibt immer weniger fruchtbares Ackerland, und immer mehr Menschen (auch mehr ?bergewichtige). Das bedeutet, dass die Schweiz – trotz steigender Nachfrage – selber künftig weniger Nahrungsmittel produzieren kann. H?here Importabh?ngigkeiten, aber auch der Klimawandel, verringern die Ern?hrungssicherheit der Schweiz. Deshalb ist die Frage nach dem nachhaltigen Schweizer Ern?hrungssystem, also wie wir uns als Gesellschaft ern?hren, wie wir Ressourcen nutzen und woher die Nahrungsmittel kommen, absolut zentral für unser langfristiges Wohlergehen.

Was ist überhaupt ein Ern?hrungssystem?

Wenn wir von einem Ern?hrungssystem sprechen, dann beinhaltet dies nicht nur die Produktion der Nahrungsmittel auf dem Land oder im Wasser. Ein Ern?hrungssystem umfasst viel mehr den gesamten Weg aller produzierten und konsumierten Lebens- und Futtermittel entlang der Wertsch?pfungskette. Dazu geh?ren nationale und internationale Akteure aus den Bereichen Landwirtschaft, Verarbeitung und Verpackung, Transport und Lagerung, Gross- und Detailhandel sowie die Konsumenten. Hinzu kommen ?konomische, politische, gesellschaftliche und ?kologische Rahmenbedingungen, welche das System und dessen Akteure beeinflussen, zum Beispiel die wirtschaftliche Situation, das politische Umfeld, der rechtlich Rahmen und die Verfügbarkeit von natürlichen Ressourcen im In- und Ausland.

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Ann?herung ans System unserer Ern?hrung: Es umfasst den Weg aller produzierten und konsumierten Lebensmittel entlang der Wertsch?pfungskette. (Illustration: Aurélie Zaugg)

Doch wann ist ein Ern?hrungssystem nachhaltig? Das ist schwer zu beantworten und ist sicherlich auch eine Frage der Perspektive. Aus unserer Sicht muss, wer  ein nachhaltiges Ern?hrungssystem etablieren will, nicht nur für Ern?hrungssicherheit sorgen, sondern auch eine hohe Umweltqualit?t sowie hohes gesellschaftliches Wohl gew?hrleisten. Kurz: Es braucht genug gesunde und erschwingliche Lebensmittel, die m?glichst umweltvertr?glich hergestellt und auf dem Markt wettbewerbsf?hig sind. Die drei S?ulen der Nachhaltigkeit (also ?konomie, ?kologie und Soziales) sollten somit im gleichen Masse berücksichtigt werden.

Und wie erreichen wir es?

Vergr?sserte Ansicht: Fahrspur durch ein Feld.
(Bild: Kasper Nymann / Colourbox)

Knappe Ressourcen, Klimawandel, demographische Entwicklungen, Qualit?t der Lebensmittel und Wettbewerbsf?higkeit – damit die Schweizer Gesellschaft auf die zahlreichen Herausforderungen der Zukunft reagieren kann, sind zwei Punkte zentral: Einerseits müssen wir geeignete Politikmassnahmen definieren, denn der Markt allein wird es nicht regeln. Andererseits gilt es, den Forschungsbedarf für ein nachhaltiges und wettbewerbsf?higes Schweizer Ern?hrungssystem (SES) zu identifizieren. Genau dies hat unl?ngst eine Studie des World Food System Centers (WFSC) der ETH Zürich gemacht, die das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) in Auftrag gegeben hatte. [1] [2] In dieser ?Foresight? genannten Studie haben wir Erkenntnisse aus einer umfassenden Literaturrecherche mit Ergebnissen aus Interviews und einer webbasierten Umfrage kombiniert, die wir mit Vertretern der Schweizer Land- und Ern?hrungswirtschaft durchführten.

Anforderungen an politischen Entscheidungstr?ger

Interviews mit gew?hlten Vertretern von acht Schweizer Bundes?mtern haben deutlich gezeigt, dass eine umfassende Strategie für ein nachhaltiges SES die Beteiligung aller relevanten Schweizer Bundes?mter erfordert. Die Interviewpartner bem?ngelten, dass politische Priorit?ten innerhalb der ?mter immer noch Vorrang vor gemeinsamen Konzepten und Vorgehensweisen h?tten. Nicht nur gesellschaftlicher oder politischer Druck sollte zum Umdenken anregen, sondern vielmehr die Notwendigkeit, gemeinsam zu handeln. Eine gemeinsame Wissens- und Kommunikationsplattform fehle.

Wo Forschungsbedarf besteht

Wir müssen aber auch die Forschung auf die zukünftigen Herausforderungen ausrichten, um die Wissenslücken zu schliessen – und zwar systematisch. Im Rahmen einer Internetumfrage haben rund 500 Personen aus Interessengruppen entlang der Wertsch?pfungskette die Relevanz von 88 Forschungsthemen für ein nachhaltiges SES bewertet. Die wichtigsten drei Themen waren ?Bodengesundheit und Bodenfruchtbarkeit in landwirtschaftlichen Produktionssystemen?, ?Antibiotikaresistenz? und ?Energienutzungseffizienz entlang der Lebensmittel-Wertsch?pfungsketten?. Interessant ist, dass allein die zehn wichtigsten Themen das gesamte Spektrum des SES abdecken (siehe Auflistung). Dies zeigt klar die Notwendigkeit eines systembasierten Forschungsansatzes auf. Spannend auch: Die Wissensvermittlung (Bildung) wurde als ebenso wichtig eingestuft wie disziplin?re oder angewandte Forschung.

Die zehn wichtigsten (von insgesamt 88) Forschungsthemen gem?ss Foresight-Studie sind:

  • Bodengesundheit und Bodenfruchtbarkeit in landwirtschaftlichen Produktionssystemen
  • Antibiotikaresistenz
  • Energienutzungseffizienz entlang der Lebensmittel-Wertsch?pfungsketten
  • Reduktion von Lebensmittelabf?llen
  • Nachhaltige Ern?hrungsgewohnheiten
  • N?hrstoffnutzungseffizienz entlang der Lebensmittel-Wertsch?pfungsketten
  • Folgenabsch?tzung von lokaler vs. globaler Lebensmittelproduktion
  • Reduktion der Verluste in Lebensmittel-Wertsch?pfungsketten
  • N?hrstoffkreisl?ufe in landwirtschaftlichen Produktionssystemen
  • Entwicklung politischer Strategien für nachhaltige Ern?hrungssysteme

Als Koautorin der Studie bin ich überzeugt, dass sowohl in der Politik als auch in der Forschung eine effiziente, sektor- und themenübergreifende Zusammenarbeit enorm wichtig ist. Nur mit koordinierten und vereinten Kr?ften wird die Schweiz in der Lage sein, auf nationale und globale Herausforderungen zu reagieren. Nur so kann unser Ern?hrungssystem nachhaltiger und wettbewerbsf?higer werden.

Weiterführende Informationen

[1] Die Foresight-Studie: Forschung für ein nachhaltiges Schweizer Ern?hrungssystem (auf Englisch)

[2] Interview in ETH-News mit Prof. Nina Buchmann, Leiterin des World Food System Center und Mitautorin der Foresight-Studie.

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