Was uns Pflanzenzüchtung bringt

In Zeiten von Bio-Boom und verkl?rter Naturromantik hat die Pflanzenzüchtung einen schweren Stand. Vergessen geht, dass ihr der Mensch seine wichtigsten Nahrungslieferanten verdankt. Fast nichts von dem, was wir heute essen, kam früher auf der Welt natürlich vor.

Vergr?sserte Ansicht: Wettrüsten im Weizenfeld. (Bild: iStock / Adam Smigielski)
Die Idylle trügt: In jedem Weizenfeld herrscht ein Wettrüsten zwischen Kulturpflanze und Krankheiten. (Bild: iStock / Adam Smigielski)

Der Mensch kann auf vieles verzichten – aufs Essen jedoch nicht. Letztendlich wird jede Kalorie, die wir als biochemische Energie zu uns nehmen, durch Pflanzen hergestellt. Jedes G?nseblümchen kann Photosynthese – wir nicht. Doch selbst die modernsten Methoden der Pflanzenzüchtung machen aus einem G?nseblümchen keinen Kalorienlieferanten. So etwas sollen und müssen diese Techniken aber auch nicht. Denn unsere Vorfahren haben ihre Kalorienspender l?ngst aus anderen Pflanzenarten abgeleitet, die sich ?von Natur aus? besser dafür eigneten.

Die Wurzel menschlicher Kultur

Schon vor 10‘000 Jahren w?hlte der Mensch die jeweils ?besten? Individuen aus den Vorl?ufern von beispielsweise Mais, Weizen, Reis und Apfel aus und versuchte, diese Pflanzen durch Zwangsheirat mit gleich- oder andersartigen noch widerstandsf?higer und besser zu machen. ?ber tausende von Jahren hinweg galt das Gesetz der ?menschlichen Selektion?: Es gewinnt, was h?heren Ertrag bringt und besser schmeckt.

?Machet Euch die Erde untertan?, gelobte sp?ter auch die Bibel. Vor 2000 Jahren war der Apfelbaum l?ngst eine kultivierte Chim?re, deren Frucht-tragenden Stamm man jung auf das Wurzelsystem einer anderen Sorte setzte – ein hoch biotechnologisches Verfahren für die damalige Zeit. Was war passiert?  

Wir essen Kulturpflanzen – nicht Wildpflanzen

Effekt stetiger Selektion beim Mais. (Bild: Wikimedia / John Doebley)
Effekt stetiger Selektion: Von der hageren Teosinte zum massigen Mais. (Bild: Wikimedia / John Doebley)

Allm?hlich hatte der Mensch aus wilden Vorl?ufern die modernen Kulturpflanzen gezüchtet: Unser Weizen und Dinkel sind Hybride aus den vermischten Genomen dreier Wildarten. Der Mais mit seinen aberwitzig grossen Fruchtst?nden ging aus der strauchigen Teosinte hervor. Und Klone von Apfel, Wein und anderen Obstgeh?lzen verloren die Unschuld des Wald- und Wiesengew?chses, als man sie gezielt auf Wurzelst?cke pfropfte, die bodenbürtige Krankheitserreger in Schach halten konnten.

Bedrohte K?nige

Derart optimierte Pflanzen waren einerseits Segen: Dank stetig steigender Ertr?ge konnten sich unsere Vorfahren wirtschaftlich und kulturell entwickeln. Die Weltbev?lkerung wuchs. Ihren Hunger stillt sie heute zu mehr als der H?lfte durch die ?grossen Drei? – Weizen, Reis und Mais. Diese K?nige unter den Kalorienlieferanten kann man nun kaum mehr ersetzen; wir h?ngen von ihnen ab, und das ist der Fluch.

Unsere Kulturpflanzen (und damit auch wir) haben n?mlich ein gravierendes Problem: Sie müssen sich permanent gegen Krankheiten wehren. Das gilt zwar grunds?tzlich für alle Lebewesen, besonders aber für unsere landwirtschaftlichen Top-Athleten. Denn je umfangreicher wir sie anbauen, desto aggressiver wüten die Sch?dlinge und Erreger – das Krankheitsrisiko nimmt zu.

Resistenzen schaffen

Kranke Kartoffel: Die Kraut- und Knollenfäule. (Bild: Wikimedia)
Kranke Kartoffel: Gegen die Kraut- und Knollenf?ule ist noch kein Kraut gewachsen. (Bild: Wikimedia)

In diesem Wettlauf ist die Pflanzenzucht eine unserer wichtigsten Waffen. Sie ist nichts anderes als ein Marktplatz der gezielten Partnervermittlung: Durch jahrelange Selektionsverfahren bringt sie immer wieder krankheitsresistente Sorten hervor – aber nur unter grossen Mühen. Die Wissenschaft versucht seit Langem, Kulturpflanzen ?dauerhaft resistent? zu machen [1], bisher leider ohne den gewünschten Erfolg. Auf eine Verbesserung von Resistenzen zu verzichten, ist jedoch keine Option. Stillstand bedeutet Rückschritt: Eine Zukunft ohne Züchtung w?re wie eine Welt ohne Medizin.

Auch deshalb erhoffen sich Forschende viel von den modernen Züchtungsmethoden à la Crispr & Co. Diese ?Genome Editing? genannten Techniken k?nnen einzelne Gene gezielt ver?ndern oder ausschalten, ohne fremdes genetisches Material einzubauen. So lassen sich sehr effizient resistente Pflanzen erzeugen, die genetisch nicht von einer herk?mmlich gezüchteten Sorte unterscheidbar sind. Das k?nnte sogar auch für Bio-Bauern interessant werden [2]. Sie müssen etwa Kartoffeln mit viel Kupfer behandeln, um die Kraut- und Knollenf?ule in Schach zu halten. Eine resistente Sorte w?re einmal mehr ein Segen, selbst wenn sie durch Genome Editing zustande k?me.

K?nigsweg zu mehr Nachhaltigkeit

Die besten auswählen und veredeln: Pflanzenzucht. (Bild: iStock / xefstock)
Die besten ausw?hlen und veredeln: Die Pflanzenzucht ist Lebensgarant und Schlüssel zu einer nachhaltigen Landwirtschaft. (Bild: iStock / xefstock)

Machen wir uns also nichts vor: Fast nichts von dem, was wir heute in Bio oder konventionell essen, kam auf der Welt vor 10‘000 Jahren natürlich vor. Die Sorten der Hauptkulturen, die wir heute haben, müssen wir an die sich ?ndernde Umwelt anpassen. Nicht von Jahr zu Jahr – aber in immer rascherer Abfolge.

Unsere ?cker müssen zudem diverser werden: Wir brauchen mehr Arten, auf die wir die globale Ern?hrung abstützen, und von diesen Arten brauchen wir zunehmend resistentere Sorten. Mehr noch: Die Sorten müssen top Qualit?t und Leistung erbringen, Boden und Gew?sser schonen sowie mit m?glichst wenig Dünger und Pestiziden auskommen. Für diesen K?nigsweg zur nachhaltigen Landwirtschaft wird es beides brauchen: Die neuen Methoden der Pflanzenzucht und einen ?kologischen Anbau unserer Kulturarten. Beides schliesst sich nicht aus – sondern ist im Gegenteil komplement?r.

Eine leicht adaptierte Fassung dieses Textes erscheint auch als Gastbeitrag in der Print-Ausgabe des Tagesanzeigers (09.12.2016).

Lose Serie zur Pflanzenzüchtung

Moderne Verfahren der Molekularbiologie (Stichwort Genom-Editierung) bergen das Potenzial, die Züchtung von Kulturpflanzen effizienter zu gestalten. Damit verbunden sind gesellschaftsrelevante Fragen und Herausforderungen, die der Zukunftsblog in einer losen Serie aufgreift.

Weiterführende Informationen

[1] Christopher C. Mundt (2014): Durable resistance: A key to sustainable management of pathogens and pests. externe SeiteHere

[2] Siehe dazu das externe SeiteInterview mit Urs Niggli in der TAZ und diesen externe SeiteArtikel im Greenpeace-Magazin.

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