Werkbank für das Virendesign

ETH-Forscher haben eine Technologieplattform entwickelt, mit der sie Bakteriophagen gezielt ver?ndern und massschneidern k?nnen. Dank dieser Technik rücken Phagen-Therapien gegen gef?hrliche Erreger in Griffweite.

Vergr?sserte Ansicht: Bakteriophagen attackieren eine E.coli-Zelle. (Bild: Keystone/Science Photo Library/David Mack)
Bakteriophagen attackieren eine E.coli-Zelle. (Bild: Keystone/Science Photo Library/David Mack)

Bakteriophagen (kurz: Phagen) sind Viren, die spezifisch Bakterien befallen und abt?ten k?nnen. Sie kommen sehr zahlreich in der Natur vor. Gerade weil sie auf nur eine Bakterienart spezialisiert sind, hoffen Forscherinnen und ?rzte, mithilfe von Phagen gewisse bakterielle Krankheiten gezielt therapieren zu k?nnen. Schon heute setzt beispielsweise die Lebensmittelindustrie diese Viren ein, um auf natürliche Weise Krankheitserreger in Nahrungsmitteln zu vernichten.

Die Viren genetisch zu optimieren und sie dadurch für bestimmte Einsatzzwecke masszuschneidern, ist aber nach wie vor herausfordernd und zeitaufw?ndig. Besonders schwierig ist es, Phagen für die Bek?mpfung sogenannter Gram-positiver Bakterien wie Staphylococcus zu ver?ndern.

Phagen gezielt ver?ndern

Nun k?nnte jedoch eine neue ?ra bei der Nutzung von Bakteriophagen anbrechen, denn ein Team von Forschern um Martin Loessner, Professor für Lebensmittelmikrobiologie der ETH Zürich, hat soeben in der Fachzeitschrift externe SeitePNAS eine neuartige Technologieplattform pr?sentiert. Damit k?nnen die Wissenschaftler Phagen gezielt genetisch ver?ndern, mit beliebigen Zusatzfunktionen ausstatten und schliesslich in einer bakteriellen ?Leihmutter? – einer zellwandlosen Listerien-Zelle – zum Leben erwecken.

Mit der neuen Phagen-Werkbank lassen sich solche Viren sehr schnell erschaffen, und die ?Werkzeugkiste? ist hochgradig modular: Die Wissenschaftler k?nnen damit beinahe beliebige Bakteriophagen für unterschiedliche Zwecke und mit einer Vielzahl verschiedener Funktionen erzeugen.

?Früher war es fast unm?glich, das Genom eines Bakteriophagen zu ver?ndern?, sagt Loessner. Zudem waren die Methoden extrem ineffizient. So wurde beispielsweise ein Gen nur in einem Bruchteil der Phagen in das bestehende Genom integriert. Die Isolation des ver?nderten Phagen wurde daher oftmals zur Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

?Wir mussten früher aus Millionen von Phagen diejenigen heraussuchen, die die gewünschten Eigenschaften trugen. Nun k?nnen wir von Anfang an lauter gleichartige Viren erzeugen, sie innert nützlicher Frist testen und allenfalls wieder ver?ndern?, betont Loessner.

Viren am Computer planen

Den Weg zum Durchbruch geebnet hat Loessners Mitarbeiter Samuel Kilcher. Der Spezialist für molekulare Virologie benutzte Methoden aus der synthetischen Biologie, um das Genom eines Bakteriophagen auf dem Reissbrett zu planen und im Reagenzglas aus DNA-Bruchstücken zusammenzusetzen. Dabei wurden auch neue und zus?tzliche Funktionalit?ten, wie Enzyme zur Aufl?sung der bakteriellen Zellhülle, in das Phagengenom eingebaut. Zudem kann Kilcher Gene entfernen, die einem Phagen unerwünschte Eigenschaften verleihen, etwa die Integration in das Bakteriengenom oder die Produktion von Zellgiften.

Zellwandlose Listerien dienen als Brutkasten für synthetische Bakteriophagen. (Bild: ETH Zürich / Gruppe M. Loessner)
Zellwandlose Listerien dienen als Brutkasten für synthetische Bakteriophagen. (Bild: ETH Zürich / Gruppe M. Loessner)

Um aus der künstlichen DNA die Phagen-Partikel wieder zum Leben zu erwecken, wurde das Genom in kugelige, zellwandfreie aber lebensf?hige Formen des Bakteriums Listeria (L-Form-Listerien) eingebracht. Diese Bakterienzellen produzieren dann anhand des genetischen Bauplans alle Bestandteile des gewünschten Phagen und sorgen für die korrekte Montage der Viren.

Die Forscher haben auch festgestellt, dass kugelige Listerien nicht nur ihre eigenen spezifischen Phagen erzeugen, sondern auch solche, die andere Bakterien befallen k?nnen. Für gew?hnlich bringt ein Wirt nur seine spezifischen Viren hervor. L-Form-Listerien eignen sich deshalb als fast universeller Bakteriophagen-Brutkasten.

Werden die Listerien dann zum Platzen gebracht, kommen die Bakteriophagen frei und k?nnen für ihren Einsatz in Therapie oder Diagnostik isoliert und vermehrt werden.

Nur virulente Phagen sind geeignet

?Eine zentrale Voraussetzung für die Anwendung von wirkungsvollen synthetischen Bakteriophagen ist, dass sich ihr Genom nicht in dasjenige des Wirtes integrieren kann?, betont Kilcher. Geschehe das, sei das Virus für das Bakterium keine Gefahr mehr. Mithilfe der neuen Methode konnten die Forscher solche integrativen Phagen aber einfach umprogrammieren, sodass sie die F?higkeit zur Integration verlieren und damit für antibakterielle Anwendungen wieder interessant werden.

Vor allf?lligen Resistenzen bei Phagen sorgen sich die beiden Forscher kaum. Und selbst wenn es solche geben würde, wie zum Beispiel dadurch, dass ein Bakterium seine Oberfl?chenstrukturen ?ndert, um das Andocken des Virus zu verhindern, liesse sich durch die neue Technologie rasch ein geeigneter Phage entwickeln, gegen das ein Bakterium noch keine Resistenzen entwickelt hat.

Auch die Gefahr von ungewollten Freisetzungen halten die Forscher für gering. Gerade weil die Bakteriophagen, natürliche wie synthetische, h?chst wirtsspezifisch sind, k?nnen sie ohne ihren Wirt nicht lange überleben. Diese hohe Spezifit?t verhindert auch, dass Bakteriophagen auf ein neues Wirtsbakterium ausweichen k?nnen. ?Sich an die Oberfl?chenstruktur eines anderen Wirts anzupassen, würde in der Natur sehr viel Zeit kosten?, sagt Loessner.

Praxisanwendung rückt n?her

Mit ihrer Technologie hat Loessners Team einen grossen Schritt hin zur Nutzung von synthetischen Bakteriophagen für Therapie, Diagnostik oder in der Lebensmittelindustrie gemacht. Damit überwinden die Forscher auch Einschr?nkungen, die mit der Verwendung von natürlichen Phagen verknüpft sind. ?Unsere Werkzeugkiste k?nnte helfen, das Potenzial von Phagen auszusch?pfen?, sagt Loessner. Die Forscher haben ihre Technologie zum Patent angemeldet. Sie hoffen nun, dafür Lizenznehmer zu finden, die Phagen für Therapien und Diagnostik produzieren.

Literaturhinweis

Kilcher S, Studer P, Muessner C, Klumpp J, Loessner MJ. Cross-genus rebooting of custom-made, synthetic bacteriophage genomes in L-form bacteria. PNAS 2018 January, 115 (3) 567-572. externe Seitedoi: 10.1073/pnas.1714658115

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert