Hormonzusatz hinterlässt Spuren
Bei Schweinen führen hormonaktive Substanzen zu einer ver?nderten Genexpression, von der auch die n?chste Generation betroffen ist. Das weist ein Team von Forscherinnen der ETH Zürich und der TU München nach. Die Befunde k?nnten auch auf Menschen übertragbar sein.
In der ?ffentlichen Debatte sind hormonaktive Substanzen, also exogene, von aussen zugeführte Stoffe, die gleich oder ?hnlich wirken wie k?rpereigene Hormone, seit l?ngerem ein Thema. Chemikalien wie Bisphenol A oder Phtalate, die als Weichmacher in Kunststoffen eingesetzt werden, stehen m?glicherweise in Zusammenhang mit der zunehmenden Unfruchtbarkeit von M?nnern und Frauen.
In einem Versuch mit Schweinen konnten Forscherinnen der ETH Zürich und der Technischen Universit?t München nun erstmals nachweisen, dass schon die Gabe von ?usserst geringen Mengen eines hormonaktiven Stoffes – in diesem Fall ein k?rpereigenes ?strogen als Modellsubstanz – nicht nur zu epigenetischen Ver?nderungen des Erbguts von Muttersauen führen kann. Auch die zeitgleich betroffenen Embryonen trugen solche Ver?nderungen, die selbst bei erwachsenen Nachkommen noch nachweisbar waren. Die entsprechende Studie erschien vor kurzem in der Fachzeitschrift ?externe Seite Scientific Reports?.
Zeitfenster erh?hter Empfindlichkeit
?Hormonaktive Substanzen, insbesondere ?strogene, sind schon in sehr niedrigen Dosen ?usserst wirksam?, sagt Susanne Ulbrich, Professorin für Tierphysiologie an der ETH Zürich. Ob und wie stark k?rpereigene oder k?rperfremde Botenstoffe wirken, h?ngt deshalb auch vom Zeitfenster ab, in welchem sie auf den K?rper wirken. ?Empfindlich auf hormonelle St?reinflüsse von aussen reagiert der K?rper beispielsweise im Embryonalstadium zu Beginn der Schwangerschaft.?
Ein solches Zeitfenster haben Ulbrich und ihre Mitarbeiter in einem Versuch an Mutterschweinen angeschaut: Die Wissenschaftlerinnen verabreichten den Muttertieren über das t?gliche Futter unterschiedliche Dosierungen von 17-beta-?stradiol, einem natürlichen ?strogen, und simulierten damit die Aufnahme von hormonaktiven Substanzen über das Trinkwasser oder die Nahrung; und zwar entweder in der gesamten Tr?chtigkeit oder nur w?hrend der ersten zehn Tagen nach der Befruchtung.
Die tiefste Dosierung entsprach dem ?quivalent der für den Menschen erlaubten Tagesdosis (0,05 Mikrogramm pro Kilogramm K?rpergewicht). Zus?tzlich testeten die Wissenschaftler eine Dosis nahe dem ?No observed effect level?- (t?glich 10 Mikrogramm pro Kilogramm K?rpergewicht) und eine Hochdosierung (1000 Mikrogramm pro Kilogramm und Tag) als Beispiel für die versehentliche Einnahme der kontrazeptiven Pille w?hrend des Beginns einer Schwangerschaft. Zum Vergleich untersuchten die Forscherinnen auch Tiere, denen sie kein ?stradiol verabreichten.
Danach untersuchten sie die Genexpression sowie die epigenetischen Ver?nderungen in verschiedenen Geweben der Muttersauen sowie in der Nachfolgegeneration, sowohl in 10 Tage alten Embryonen (Blastozysten) und einj?hrigen erwachsenen weiblichen Nachkommen.
Genaktivit?ten ver?ndert
Die Wissenschaftlerinnen wurden fündig: Von 57 Genen, die mit ?stradiol in Bezug stehen, ver?nderte ?stradiol je nach Dosis gewebespezifisch die Expression von rund zwei Dutzend der untersuchten Genen. Diese geh?ren mehrheitlich zu solchen, die den Zellzyklus steuern oder das Wachstum von Tumoren unterdrücken. Am st?rksten ausgepr?gt waren diese ?nderungen im Gelbk?rper und in der Geb?rmutterschleimhaut sowie in der Herz- und Skelettmuskulatur der Muttersauen.
Zudem stellten die Forscherinnen epigenetische Ver?nderungen an wenigen ausgew?hlten Genen des Lebergewebes der Sauen fest. ?hnliche Ver?nderungen an diesen Genen traten auch in den Embryonen auf und fanden sich im Erwachsenenalter: Selbst bei den weiblichen J?hrlingen konnten die Forschenden feststellen, dass sich das epigenetische Muster dieser Gene ver?ndert hatte.
Epigenetische Ver?nderungen entstehen beispielsweise durch das Zufügen oder Entfernen von kleinen chemischen Gruppen an bestimmten Stellen der DNA, zum Beispiel von sogenannten Methylgruppen. Dadurch kann sich die Expression der betroffenen Gene und damit die Zelle ihre Funktion ver?ndern.
Dauerhafte Ver?nderungen
?Ernsthafte gesundheitliche Auswirkungen haben wir in den erwachsenen Nachkommen nicht gefunden, nur sehr leichte Ver?nderungen zum Beispiel der Knochendichte und dem Verh?ltnis von Fett zu Muskelmasse?, erkl?rt Ulbrich. Welche langfristigen Auswirkungen die epigenetischen Ver?nderungen haben und ob ein Zusammenwirken vieler hormonaktiver Substanzen, denen der Mensch t?glich ausgesetzt ist, die Situation versch?rft, ist derzeit offen.
?Auch müsste dringend über mehrere Generationen langzeitbeobachtet werden?, sagt die ETH-Professorin. ?Epigenetische Ver?nderungen k?nnen in nur einer Generation entstehen, aber sie werden unter Umst?nden bleibend auf die Nachfolgegeneration übertragen. Wir k?nnen schon jetzt klar zeigen, dass Hormone bereits nach nur kurzer Expositionszeit und in sehr kleinen Mengen einen nachweisbaren Effekt haben.?
Die Expertin für Fortpflanzungsphysiologie fordert aufgrund der Resultate, die Mengen der erlaubten Tagesdosen respektive der ?No observed effect level?-Dosis zu überdenken. Die hormonellen ?nderungen der Schweine w?hrend der Tr?chtigkeit seien denjenigen des Menschen ziemlich ?hnlich, weswegen die Resultate ihrer Studie gut auf ihn übertragbar seien, gegebenenfalls sogar aussagekr?ftiger als beispielsweise solche aus eine Studie mit M?usen.
?Die derzeit aktuellen Empfehlungen respektive Grenzwerte liegen wahrscheinlich zu hoch?, sagt die Forscherin. Die von ihnen gefundenen epigenetischen Ver?nderungen zeigten eindeutig an, dass eine Exposition mit einer hormonaktiven Substanz stattgefunden habe, und zwar schon in kleinsten Mengen. ?Wie es genau zu den Ver?nderungen gekommen ist und was diese auf Dauer bewirken, muss künftig genauer erforscht werden. Die Empfindlichkeit des frühen Embryos darf auf keinen Fall untersch?tzt werden.?
Literaturhinweis
Van der Weijden VA, Fl?ter VL, Ulbrich SE. Gestational oral low-dose estradiol-17β induces altered DNA methylation of CDKN2D and PSAT1 in embryos and adult offspring. Scientific Reports (2018) 8:7494. DOI:externe Seite 10.1038/s41598-018-25831-9