Hightech im Schacht

Der an der ETH entwickelte Roboter ?ANYmal? kann sehen, h?ren oder Türen ?ffnen. Forschende aus mehreren L?ndern arbeiten nun daran, dass der Roboter auch unter Extrembedingungen funktioniert. Die Mission führt sie unter anderem in Zürichs Untergrund.

AnyMal
ANYmal bei seiner ersten Inspek?tionstour in Zürichs Kanalisation (Alle Bilder: ETH Zürich / Daniel Winkler)  

Zwei M?nner heben die 30 Kilogramm schwere Hightechmaschine an und lassen sie an einem Seil hinunter in die Dunkelheit des Schachts. Wir ziehen reflektierende Ganzk?rperanzüge über, tauschen unsere Schuhe gegen ein Paar oberschenkellange Gummistiefel, knoten diese an den ?sen des Anzugs fest, dazu kommen noch Helm, Taschenlampe und Einweghandschuhe, dann steigen wir hinterher – entlang der Stufen in der Wand, eine nach der anderen, vier Meter tief in die Kanalisa?tion Zürichs.

Eine Gruppe von Forschern testet an diesem warmen Herbsttag, ob der vom Robotic Systems Lab und dem ETH-Spin-off ?ANYbotics? entwickelte Roboter Anymal dereinst in ?Abwasserkan?len eingesetzt werden kann. Er k?nnte in Zukunft die Mitarbeiter der Stadt Zürich entlasten, die regelm?ssig durch die rund 100 Kilometer begehbaren Sch?chte im Stadtgebiet gehen oder kriechen, um sie auf Besch?digungen an Boden und W?nden zu überprüfen – eine nicht nur ungesunde, sondern auch gef?hrliche ?Arbeit. So k?nnen sich die Sch?chte innerhalb von sehr kurzer Zeit mit Wasser füllen. Zudem k?nnte der Roboter in Kan?len operieren, die mit heutiger Technologie gar nicht zug?nglich sind.

Erster Testlauf

Der Roboter, den die Forscher nun in der Tiefe des Schachts auf die Füsse stellen, ist rund einen halben Meter gross und hat neben vier gelenkigen Beinen eine Art Kopf, der aus einer Kamera sowie verschiedenen Sensoren besteht. Die Maschine ist modular gebaut und kann je nach Anwendung aufgerüstet werden.

AnyMal im Schacht
Vorsichtig wird die Hightechmaschine durch den engen Schacht bugsiert.
ANYmal im Schacht - Teil 2
ANYmal ist heil am Grund des Schachts gelandet.

Peter Fankhauser, Mitbegründer des ETH-Spin-offs, der Anymal kommerzialisiert, funkt den Kollegen, welche die Aktion von der Oberfl?che aus koordinieren und dem Roboter Befehle erteilen. Dann bedient er einen Joy-stick und der Roboter stapft vorw?rts. Weil es der erste Lauf in unbekanntem Gel?nde ist, steuert er den Roboter teilweise, obwohl sich dieser auch autonom bewegen kann. ?Eine Sicherheitsmassnahme. Wenn es im Labor funktioniert, heisst das nicht immer, dass es auch in der Realit?t klappt?, erkl?rt Fankhauser. Schliesslich muss der Roboter hier unten unter komplett anderen Bedingungen funktionieren: Der nasse Kanal ist rutschig, die Temperatur tiefer, die Luftfeuchtigkeit h?her als im Labor. Und: Es ist dunkel.

?Hier sieht es überall gleich aus?, sagt Fankhauser, fast schon mit resignierter Stimme, als der Roboter in langsamem Schritttempo den rund drei Meter hohen und fünf Meter breiten Kanal entlanggeht. Das gleichm?ssige, elektromechanische Ger?usch – eine Art rhythmisches Klirren – mischt sich dabei mit dem Rauschen des Abwassers, das vom nahen Hauptkanal zu uns herandringt. Wir befinden uns in einem gut ausgebauten Reservekanal, durch den derzeit nur ein kleines Rinnsal fliesst – auch das eine Vorsichtsmassnahme für den allerersten Praxistest mit dem Roboter in vier Metern Tiefe.

Tasten im Dunkeln

Das auf drei Jahre angelegte Forschungsprojekt namens THING (subTerranean Haptic InvestiGator) bezweckt, dass Roboter ihre Umgebung besser wahrnehmen k?nnen und f?hig sind, sich autonom darin fortzubewegen. In der Regel orientieren sich Roboter mit 3D-Kameras und Lasersensoren, diese sind allerdings anf?llig für anspruchsvolle Bedingungen – zum Beispiel Wasser am Boden oder Staub in der Luft. Deswegen sehen die Forschenden die L?sung in einer verbesserten haptischen Wahrnehmung – also die Orientierung über den Tastsinn.

Für das Projekt haben sich ETH-Forscher mit Kollegen aus Edinburgh, Pisa, Oxford und Poznan zusammengetan. Alle Hochschulen forschen mit einem Anymal-Roboter und man trifft sich regelm?ssig. Neben den Tests im Abwasserkanal stehen n?chstes Jahr auch solche in einer polnischen Kupfermine an, wo der Roboter bei v?llig anderem Klima – in staubiger und heisser Luft auf ger?lligem Untergrund – funktionieren soll. Von Seiten der ETH ist das Labor für Robotersysteme vertreten, unter Leitung von Professor Marco Hutter, dessen jahrelange Forschung zu Laufrobotern schon früh von der ETH gef?rdert wurde – durch ein ESOP-Stipendium sowie durch ein Pioneer Fellowship.

An diesem ersten Testtag ist eine der wichtigsten Fragen, ob sich der Roboter in der Dunkelheit der Kanalisa?tion überhaupt orientieren kann. Anfangs tragen zwei Helfer grosse LED-Lampen, um uns allen eine gute Sicht zu erm?glichen. Dann ordnet Fankhauser an, das externe Licht abzustellen, und funkt nach oben, man solle den Roboter anweisen, sein eigenes Licht zu benutzen. In der Dunkelheit hilft der Tastsinn, aber nicht nur. ?Der Roboter scannt mit Hilfe von Lasersensoren und Kameras seine Umgebung und soll anhand von Ungleichm?ssigkeiten im Beton erkennen, wo er gerade ist?, erkl?rt Hutter.

Dann leuchten nur noch die kleinen, runden LED-Lichter am ?Kopf? des Roboters. Nun ist die Endzeitstimmung perfekt: die Dunkelheit, das Rauschen des Wassers, das elektromechanische Klirren, die Augen des Roboters. ?Wie ein Rottweiler?, sagt einer und durchbricht damit die kurzzeitig be?ngstigende Stille.

Unter Tag und offshore

ANYmal
Wo es für Menschen eng wird, soll Anymal autonom weiter vordringen.

Bereits seit 2009 wird an der ETH an vierbeinigen Robotern geforscht. Der Protoyp des Anymal entstand 2015, ein Jahr sp?ter wurde der Spin-off Anybotics gegründet, der sich zum Ziel gesetzt hat, Roboter in allen Gel?nden einsatzf?hig zu machen – eine Voraussetzung für viele m?gliche Anwendungsgebiete in der Praxis. ?Let Robots Go Anywhere?, lautet der Slogan der Firma. Zwei- bis dreimal pro Monat ist man für Tests unterwegs. So reisten Fankhauser und ein Teil seines Teams kürzlich auf eine Offshore-Plattform, die mitten in der Nordsee liegt. Dort k?nnte der Roboter einst Inspektionsaufgaben übernehmen – bei der Pilotinstallation absolvierte Anymal bereits mehrere Inspektionsrouten erfolgreich autonom.

Nach fast zehn Jahren Forschungsarbeit kann Anymal so einiges: Er bewegt sich nicht nur autonom fort, sondern ist auch mit mehreren Sinnen ausgestattet: Er kann sehen, h?ren oder spüren. Dadurch kann der Roboter beispielsweise die Luftdruckanzeige einer Maschine ablesen, Ger?usche einordnen oder auch Objekte erkennen – etwa, um zu überprüfen, ob der Feuerl?scher am richtigen Platz ist. Auch ist er in der Lage, bestimmte Handgriffe selbst zu erledigen: Mit Hilfe eines zus?tzlichen Greifarms kann er eine Tür ?ffnen, Abfall entsorgen oder einen Liftknopf drücken. Zudem liefert er Daten, die in vielen Belangen pr?ziser sind als jene, die unsere Augen, Ohren oder Nasen liefern: etwa für Temperatur, Gase in der Luft oder seit Neustem auch für die Beschaffenheit des Bodens. ?Er hat also einige übermenschliche F?higkeiten?, sagt Fankhauser.

Der Roboter scheint unten in der Kanalisation trotz wenig Licht gut zurechtzukommen. Gem?chlich stapft er durch das Rinnsal. Bei einem rund 20 Zentimeter hohen Absatz in einen ebenfalls einigermassen trockenen Nebenkanal stoppt Fankhauser die Hightechmaschine mit seinem Joystick. Zun?chst z?gert er, ob er dem Roboter die Anweisung geben soll, darüber hinwegzusteigen – wiederum ein Man?ver, das im Labor kein Problem w?re, hier aber mit Risiken verbunden ist. ?Da steckt auch viel Geld drin?, sagt Fankhauser. Trotzdem wagt er den Versuch. Im ersten Anlauf schafft Anymal die Aufgabe nicht, er stoppt noch vor dem Absatz, bockig wie ein Pferd. ?Default, start again?, funkt Fankhauser. Nun setzt der Roboter elegant einen Fuss nach dem anderen über die Kante.

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ANYmal in Zürichs Untergrund (Video: ETH Zürich)

Grosser Datenstrom

W?hrend der Roboter im Beisein von Fankhauser und Hutter noch etwas weiterpatrouilliert, gehe ich zurück zur Schacht?ffnung und steige nach oben, wo unter einem weissen Zelt zwei ETH-Assistenten auf einer Festbank sitzen, den Blick auf ihren Laptop gerichtet.

Ein Stromgenerator brummt, ein Router blinkt, und von der Durchfahrtstrasse her blickt manch ein Velofahrer verwundert auf das Geschehen rund um den offenen Schachtdeckel am Strassenrand. ?ber die Schultern der Forscher sehe ich einen fast unaufh?rlichen Datenstrom über den Bildschirm fliessen. Auf einem externen Bildschirm sind dank modernster 3D- und Lasertechnologie Livebilder vom Roboter im Untergrund zu sehen.

Als Fankhauser nach oben funkt, dass der Roboter mit einem Fuss die Wand des Kanals berühren soll, sind die ETH-Mitarbeiter gefordert. Denn die verwendete Software ist dafür nicht vorprogrammiert. Kurzerhand verwenden sie einen Algorithmus, der ursprünglich programmiert wurde, um Anymal das H?ndeschütteln beizubringen. Damit der Roboter nicht mit voller Wucht gegen die Wand schl?gt, müssen die Forscher die Parameter anpassen – es handelt sich in diesem Fall um den Winkel, mit dem der Roboter das Bein anheben soll. ?100?, tippt einer der Mitarbeiter, dann erh?ht er den Wert kontinuierlich. Bei 180 passt es perfekt, das Man?ver klappt.

Nun verlassen auch Fankhauser und Hutter die kühlnasse Kanalisation zugunsten der warmen Herbstsonne. Ihre Gesichtszüge entspannen sich, als sie sich ihrer leuchtenden ?berkleider entledigen. ?Der Roboter war nonstop im Einsatz und hat eine Menge Daten gesammelt?, sagt Fankhauser, w?hrend er die langen Gummistiefel losknotet und sich aus dem Overall befreit. Auch Professor Hutter ist zufrieden. ?Alle Teams nehmen ein grosses Datenset nach Hause, mit dem wir weiterforschen k?nnen.? Man ist dem Ziel, dass der Roboter auch bei anspruchsvollen Bedingungen unter der Erde funktioniert, einen Schritt n?her gekommen. Noch ist die Arbeit aber nicht getan, im Gegenteil: ?Rund 500?000 Messungen pro Sekunde hat der Roboter an diesem Tag aufgezeichnet. ?Das reicht für ein halbes Jahr ?Arbeit?, sagt Fankhauser und lacht.

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