Wie Enzyme Zuckerbäume bauen
Forschende kl?rten erstmals mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie die Struktur und Funktion eines kleinen, in Zellmembranen steckenden Enzyms auf. Dieses baut komplexe Strukturen aus Zuckermolekülen auf. Die Erkenntnisse k?nnten die Entwicklung neuer proteinbasierter Medikamente beschleunigen.
Viele Membranproteine werden in Zellen h?herer Lebewesen mit komplexen Strukturen aus Zuckermolekülen, sogenannten Glykanen, bestückt. Diese molekularen Zuckerb?umchen sind nicht nur ?usserst vielf?ltig, sondern auch charakteristisch für den jeweiligen Organismus, einen Zelltyp oder dessen Differenzierunsgrad. Unterschiedliche Glykane sind zum Beispiel auch der Schlüssel zu den unterschiedlichen Blutgruppen beim Menschen.
Eine besondere Klasse der Glykane sind mit Lipiden verknüpfte Zuckermoleküle: Lipid-gebundene Oligosaccharide. Diese bestehen aus einem Fettmolekül, das in der Zellmembran verankert ist, und einem Zuckerteil, der entweder ins Innere von Zellorganellen oder in den Zellaussenraum ragt.
Forscher der ETH Zürich, der Universit?t Bern sowie der Universit?t Chicago haben nun die Struktur eines der Enzyme aufgekl?rt, welche für den Aufbau der Lipid-gebundenen Oligosaccharide verantwortlich sind. Die entsprechende Studie ist in der jüngsten Ausgabe des Fachmagazins Nature erschienen.
Modulare Architektur von Proteinen
Das gefundene Enzym namens ALG6 ist Mitglied einer ganzen ?berfamilie von Enzymen, welche die Forscher als Glykosyltransferasen der Kategorie C bezeichnen. Sie sitzen in Zellmembranen und koppeln einfachere Zuckermoleküle an andere Zucker, um Zuckerb?umchen aufzubauen. Sie verknüpfen zudem Zuckermoleküle und sogar ganze Zuckerb?umchen mit Proteinen. Damit übernimmt diese Enzymfamilie mehrere biologische Schlüsselrollen, und zwar in allen m?glichen Organismen von Bakterien über Pilze bis hin zu hochentwickelten S?ugetieren.
Für Biologen war diese Enzymüberfamilie lange ein R?tsel, da die Strukturen der einzelnen Familienmitglieder kaum Gemeinsamkeiten aufweisen. Der einzige gemeinsame Nenner war, dass es sich um Membranproteine handelt, welche Zucker von einem Molekül auf ein anderes transferieren und dass die für den Transfer verwendeten Zucker immer an Lipide geknüpft sind.
Mit Hilfe der Struktur von ALG6 fand die von ETH-Professor Kaspar Locher angeführte Gruppe nun heraus, dass die Mitglieder dieser Enzymfamilie modular aufgebaut sind. Es scheint, als ob die ALG6 und seine Verwandten aus einem Modul, dessen Struktur in der Entwicklungsgeschichte erhalten blieb, sowie aus einem zweiten strukturell variablen Modul bestehen.
?Wir vermuten, dass es der modulare Aufbau den Enzymen erm?glichte, sich in verschiedene Richtungen zu entwickeln und somit ein weites Spektrum an verschiedenen Substraten zu erschliessen und umzusetzen?, sagt Jo?l Bloch, Doktorand in Lochers Gruppe und Erstautor der Studie.
Die Forschungsergebnisse erkl?ren erstmals den Mechanismus dieser Enzymfamilie. ?Dies hat weitreichende Auswirkungen für die Zellbiologie sowie für die Herstellung therapeutischer Substanzen, die auf der Zuckerbiologie beruhen?, so der ETH-Doktorand. Insbesondere die Herstellung von massgeschneiderten therapeutischen Antik?rpern, an denen die Pharmaindustrie stark interessiert ist, k?nnten von den neuen Erkenntnissen profitieren.
Rekord in der Kryo-Elektronenmikroskopie
Die Forschenden sehen ihre Resultate zudem als Durchbruch in der Aufkl?rung von Molekülstrukturen von Proteinen mittels Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM). Die bahnbrechende Technologie, für welche 2017 der Chemienobelpreis unter anderen an den Waadtl?nder Jacques Dubochet vergeben wurde, hat sich zur wichtigsten Methode bei der Strukturaufkl?rung von grossen Molekülkomplexen gemausert. Die hochaufl?sende Strukturaufkl?rung kleiner Proteine, insbesondere von solchen, die in Membranen eingebettet sind, gelang damit hingegen nicht. Der Grund: die Mikroskopie-Daten von kleinen gemessenen Partikeln verunm?glichen pr?zise strukturelle Berechnungen in der Strukturaufkl?rung.
Die ETH-Forscher haben dieses Problem in Zusammenarbeit mit einer Forschungsgruppe der Universit?t Chicago nun l?sen k?nnen. In Zusammenarbeit mit den dortigen Forschern stellten sie einen synthetischen Antik?rper her, welcher an ALG6 bindet. Dieser Antik?rper erh?hte das Gewicht des Enzyms ALG6 so, dass dessen Struktur mithilfe der Kryo-EM hochaufgel?st aufgekl?rt werden konnte.
?Die auf diese Weise erzielte Aufl?sung ist aktuell der Weltrekord bei der Strukturaufl?sung eines membrangebundenen Komplexes dieser Gr?sse?, sagt Kaspar Locher nicht ohne Stolz. Diese Weiterentwicklung der Kryo-EM werde es vielen anderen Wissenschaftlern erm?glichen, Strukturen von kleinen Membranproteinen aufzukl?ren. ?Dadurch wird die Wissenschaft rasch Fortschritte erzielen bei der Untersuchung von Membranproteinen, die mit einer Vielzahl von Krankheiten in Verbindung stehen?, betont der ETH-Professor.
Ein chemo-enzymatischer Baukasten
Damit nicht genug: In Zusammenarbeit mit Chemikern der Universit?t Bern entwickelten die ETH-Forschenden Synthesemethoden, mit denen sie hochkomplexe Lipid-gebundene Oligosaccharide im Labor herstellen konnten. Mit herk?mmlichen Synthesen der organischen Chemie war dies bisher nicht m?glich.
Dies wiederum bot den Forschenden neue Einblicke in den essenziellen Stoffwechselweg der Biosynthese von Lipid-gebundenen Oligosacchariden. Die Wissenschaftler k?nnen nun besser erkl?ren, wie Zellen komplexe Glykane herstellen. ?Dies ist ein Meilenstein in der Glykobiologie, der künftig für die Herstellung von Zucker-Protein-Verbindungen bedeutend sein k?nnte?, sagt Locher.
Literaturhinweis
Bloch J et al. Structure and mechanism of the ER-based glucosyltransferase ALG6. Nature, published online 26th Feb 2020. doi: externe Seite 10.1038/s41586-020-2044-z
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