Künstliche Intelligenz für sicherere Velohelme und bessere Schuhsohlen
Forschende haben eine künstliche Intelligenz so trainiert, dass sie die Struktur sogenannter Metamaterialien mit den gewünschten mechanischen Eigenschaften für verschiedene Anwendungsf?lle entwerfen kann.
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In Kürze
- ETH-Forschende haben mit Hilfe von künstlicher Intelligenz Metamaterialien entworfen, die ungew?hnliche oder ausserordentliche Reaktionen auf komplexe Belastungen zeigen.
- Ihr neues KI-Tool entschlüsselt die wesentlichen Merkmale der Mikrostruktur eines Metamaterials und sagt sein Verformungsverhalten pr?zise voraus.
- Das Tool findet nicht nur optimale Mikrostrukturen, sondern umgeht auch zeitaufw?ndige technische Simulationen.
Velohelme, die die Energie eines Aufpralls absorbieren, Laufschuhe, die jedem Schritt einen zus?tzlichen Schub geben, oder Implantate, die die Eigenschaften von Knochen imitieren. Metamaterialien machen solche Anwendungen m?glich. Ihre innere Struktur ist das Ergebnis eines sorgf?ltigen Designprozesses, wonach 3D-Drucker die generierten Strukturen mit optimierten Eigenschaften herstellen k?nnen. Forschende unter der Leitung von Dennis Kochmann, Professor für Mechanik und Materialforschung am Departement für Maschinenbau und Verfahrungstechnik der ETH Zürich, haben neuartige KI-Tools entwickelt. Diese umgehen den zeitaufw?ndigen und auf Intuition basierenden Designprozess von Metamaterialien und sagen stattdessen Strukturen mit aussergew?hnlichen Eigenschaften schnell und automatisiert vorher. Ein Novum ist, dass diese Tools auch für grosse (sogenannte nichtlineare) Belastungen anwendbar sind, zum Beispiel wenn ein Helm bei einem Aufprall grosse Kr?fte absorbiert.
Kochmanns Team geh?rt zu den Pionieren bei der Entwicklung kleiner zellul?rer Strukturen (vergleichbar mit dem Geb?lk in Fachwerkh?usern), um Metamaterialien mit besonderen Eigenschaften zu erschaffen. ?Wir entwerfen zum Beispiel Metamaterialien, die sich wie Flüssigkeiten verhalten: schwer zu komprimieren, aber leicht zu verformen. Oder Metamaterialien, die in alle Richtungen schrumpfen, wenn sie in einer Richtung komprimiert werden?, erkl?rt Kochmann.
Effiziente, optimale Materialgestaltung
Die Gestaltungsm?glichkeiten scheinen endlos. Das volle Potenzial von Metamaterialien hat die Wissenschaft allerdings noch lange nicht ausgesch?pft, da der Designprozess oft auf Erfahrung und Trial-and-Error beruht. Zudem k?nnen kleine Anpassungen in der Struktur zu grossen Ver?nderungen der Eigenschaften führen.
In ihrer jüngsten Arbeit erkundeten die ETH-Forschenden mithilfe von KI systematisch die zahlreichen Designs und mechanischen Eigenschaften von zwei Metamaterialarten. Ihre Berechnungstools k?nnen auf Knopfdruck optimale Strukturen für gewünschte Verformungen vorhersagen. Hierzu verwendeten die Forschenden grosse Datens?tze des Verformungsverhaltens realer Strukturen. Mit diesen trainierten sie ein KI-Modell, das die Daten nicht nur reproduziert, sondern auch neue Strukturen generieren und optimieren kann. Durch den Einsatz einer Methode, die als ?Variational Autoencoder? bekannt ist, lernt die KI die wesentlichen Merkmale einer Struktur aus der grossen Menge an Designparametern und wie sie zu bestimmten Eigenschaften führen. Sie nutzt anschliessend dieses Wissen, um einen Metamaterial-Entwurf zu erstellen, sobald die Forschenden die gewünschten Eigenschaften und Anforderungen angeben.
Bausteine zusammensetzen
Li Zheng, eine Doktorandin in Kochmanns Gruppe, trainierte ein KI-Modell auf Basis eines Datensatzes von einer Million Strukturen und ihrer simulierten Verformung. ?Stellen Sie sich eine riesige Kiste mit Legosteinen vor – man kann sie auf unz?hlige Arten anordnen und lernt mit der Zeit Designprinzipien. ?hnlich geht unsere KI vor, allerdings wesentlich effizienter. Sie setzt die Bausteine von Metamaterialien zusammen, um ihnen eine bestimmte Weichheit oder H?rte zu verleihen?, sagt Zheng. Im Gegensatz zu früheren Ans?tzen, bei denen Forschende einen Katalog von Bausteinen als Grundlage für das Design verwendeten, k?nnen sie mit der neuen KI-Methode Bausteine fast beliebig hinzufügen, entfernen oder verschieben. Zusammen mit Sid Kumar, Assistenzprofessor an der TU Delft und ehemaliges Mitglied von Kochmanns Team, zeigten sie in einer kürzlich ver?ffentlichten Studie, dass das KI-Modell über das hinausgehen kann, wofür es trainiert wurde, und Strukturen vorhersagen kann, die leistungsf?higer sind als alles bisher Generierte.
Von Videos lernen
Jan-Hendrik Bastek, der ebenfalls Doktorand in Kochmanns Gruppe ist, verfolgte einen anderen Ansatz, um ?hnliches zu erreichen. Er verwendete eine Methode, die Videodiffusion heisst und auch bei der KI-basierten Videogenerierung benutzt wird: Tippt man ?ein Elefant fliegt über Zürich? ein, generiert die KI ein realistisches Video des Tieres, das über der Fraumünsterkirche kreist. Bastek trainierte sein KI-System mit 50’000 Videosequenzen von sich verformenden 3D-druckbaren Metamaterial-Strukturen. ?Ich kann der KI die gewünschte Verformung vorgeben und sie produziert ein Video der optimalen Materialstruktur sowie deren vollst?ndige Verformungsreaktion?, erkl?rt Bastek. Bisherige Ans?tze haben sich meist darauf beschr?nkt, ein einziges Bild der optimalen Struktur vorherzusagen. Durch die Nutzung von Videos des gesamten Verformungsprozesses, erh?ht sich die Genauigkeit deutlich in solch komplexen Szenarien.
Grosse Vorteile für Velohelme und Schuhsohlen
Die ETH-Wissenschaftler:innen haben ihre KI-Tools Forschenden auf dem Gebiet der Metamaterialien frei zur Verfügung gestellt. Somit werden sie hoffentlich zum Entwurf vieler neuer und ungew?hnlicher Materialien führen. Die Tools er?ffnen neue Wege für die Entwicklung von Schutzausrüstungen wie Velohelmen und für weitere Anwendungen von Metamaterialien von der Medizintechnik bis hin zu weichen Robotern. Sogar Schuhsohlen k?nnen so gestaltet werden, dass sie beim Laufen St?sse besser absorbieren oder beim Auftreten einen Schub nach vorne geben. Wird die KI die manuelle Entwicklung von Materialien vollst?ndig ersetzen? ?Nein?, lacht Kochmann. ?Gut eingesetzt kann KI ein hocheffizienter und fleissiger Helfer sein, aber man muss ihr die richtigen Anweisungen geben und sie richtig trainieren – und das erfordert wissenschaftliche Grundlagen und ingenieurwissenschaftliches Knowhow.?
Literaturhinweise
Bastek JH, Kochmann DM: Inverse design of nonlinear mechanical metamaterials via video denoising diffusion models. Nature Machine Intelligence 2023, doi: externe Seite 10.1038/s42256-023-00762-x
Zheng L, Karapiperis K, Kumar S, Kochmann DM: Unifying the design space and optimizing linear and nonlinear truss metamaterials by generative modeling. Nature Communications 2023, 14: 7563, doi: externe Seite 10.1038/s41467-023-42068-x