Forschende der ETH Zürich kombinierten zwei Methoden zur Genver?nderung. So k?nnen sie für viele Erbgut-Mutationen gleichzeitig untersuchen, welche Bedeutung die Mutationen für die Entstehung und Therapie von Krebs haben.
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In Kürze
- Tausende Mutationen im menschlichen Erbgut stehen im Verdacht, bei Krebserkrankungen eine Rolle zu spielen, ohne dass ihre genaue Funktion je aufgekl?rt wurde.
- Mit einem neuen Ansatz von ETH-Forschenden l?sst sich nun untersuchen, ob diese Genvarianten zur Entstehung von Tumoren oder Medikamentenresistenzen beitragen.
- Die Forschenden kombinierten dazu zwei Methoden zur Genver?nderung. Sie erzeugten damit im Labor zehntausende unterschiedliche Zellen, deren Funktion sie anschliessend untersuchen konnten.
Basierend auf der Crispr/Cas-Technologie schufen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den letzten Jahren eine Reihe neuartiger Methoden, mit denen sie das Erbgut von Lebewesen pr?zise ver?ndern k?nnen. Anwenden l?sst sich das zum Beispiel in der Zelltherapie: Die Immunzellen einer Patientin oder eines Patienten k?nnen gezielt so umprogrammiert werden, dass sie Krebs besser bek?mpfen.
Forschende am Departement für Biosysteme der ETH Zürich in Basel haben nun diese neuartigen Crispr/Cas-Methoden für eine weitere Anwendung genutzt: Die Forschenden unter der Leitung von ETH-Professor Randall Platt entschlüsseln damit, wie sich Mutationen im Erbgut auf die Funktion einer Zelle auswirken. Die Abfolge der DNA-Bausteine in Tumorzellen unterscheidet sich zum Beispiel von jener in gesunden Zellen. Mit dem neuen Ansatz k?nnen die Forschenden in der Petrischale zehntausende Zellen mit unterschiedlichen Genvarianten erzeugen. So k?nnen sie entschlüsseln, welche von den Varianten zur Krebsentstehung beitragen und welche die Krebszellen resistent gegen g?ngige Medikamente machen.
Zwei Methoden kombiniert
Zwar war es bisher schon m?glich, im Erbgut von Zellen einzelne Ver?nderungen vorzunehmen. Das Vorhaben der ETH-Forschenden war aber wesentlich komplexer: Sie ver?nderten in zwei menschlichen Zelllinien ein Gen auf über 50'000 unterschiedliche Arten und schufen damit entsprechend viele unterschiedliche Zellvarianten. Diese Zellen testeten sie anschliessend auf ihre Funktion. Im Rahmen eines Machbarkeitsnachweises arbeiteten sie mit dem Gen EGFR. Es ist bei der Entstehung verschiedener Krebsarten zentral, darunter Lungen- Hirn- und Brustkrebs.
Damit Platt und sein Team so viele Varianten dieses Gens herstellen konnten, kombinierten sie zwei Crispr/Cas-Methoden. Forschende des MIT und der Harvard University in den USA haben diese beiden Methoden in den letzten Jahren entwickelt. Beide Methoden haben Vor- und Nachteile. Mit der einen, dem sogenannten Base Editing, lassen sich einzelne Bausteine der DNA sehr einfach und zuverl?ssig ver?ndern. Allerdings sind die M?glichkeiten des Base Editing beschr?nkt: Es kann nur den DNA-Baustein C durch den Baustein T oder A durch G ersetzen.
Mehrere zehntausend Zellen ver?ndert
Die zweite verwendete Methode ist das Prime Editing. Theoretisch ist diese Methode sehr m?chtig: ?hnlich wie bei der ?Suchen und Ersetzen?-Funktion eines Textverarbeitungsprogramms k?nnen damit einzelne Genabschnitte gezielt ver?ndert werden. ?Wir k?nnen damit jeden beliebigen DNA-Baustein durch einen anderen austauschen. Oder wir k?nnen zum Beispiel drei oder zehn Bausteine ins Genom einfügen oder die gleiche Zahl aus diesem herausschneiden?, erkl?rt Platt. ?Im Prinzip kann man damit machen, was man will.?
Aber: Das Prime Editing funktioniert nicht zuverl?ssig. Deshalb ist es schwierig, mit Prime Editing einen ganzen Pool von mehreren zehntausend unterschiedlich ver?nderten Zellen zu schaffen, die dann für ein Screening verwendet werden k?nnen. Platt ist dies mit seinem Team nun gelungen.
Wichtig für die Krebsmedizin
Zellpools mit unterschiedlichen Genvarianten sind für die Forschung sehr wichtig. Denn Onkologinnen und Onkologen analysieren immer ?fters bei Patienten die Erbinformation von Tumorzellen Baustein für Baustein. Diese Information gibt ihnen h?ufig Hinweise darauf, welche Medikamente bei einem individuellen Patienten wirken k?nnten.
In den letzten Jahren sind Datenbanken entstanden, die Tausende von unterschiedlichen Erbgutvarianten von Patienten enthalten. Bei etwa der H?lfte dieser Varianten sind auch deren Auswirkungen gut beschrieben. Von der anderen H?lfte weiss man zwar, dass sie in Patienten vorkommen, nicht aber, ob und welchen Einfluss sie auf die Entstehung oder die Therapie von Krebs haben. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sprechen hier von ?Varianten von unklarer Signifikanz?. Findet eine ?rztin bei einem Patienten eine solche Variante, nützt ihr diese Information herzlich wenig.
Forschende sind überzeugt, dass die Krebsmedizin enorm profitieren würde, wenn sie mehr Information zu diesen Varianten erhielte. Sie versuchen deshalb, im Labor Zellen mit diesen Genvarianten herzustellen. Diese Zellen k?nnen sie dann auf ihre Funktion hin untersuchen. In den letzten Jahren haben Forschende auf diese M?glichkeit hingearbeitet. Die Methode des Base Editing stand dafür bereits zur Verfügung. Das Problem: Das Base Editing allein reicht nicht aus. ?Man kann damit nur etwa ein Zehntel dieser Varianten erzeugen?, erkl?rt Olivier Belli, Doktorand in Platts Gruppe und zusammen mit Masterstudentin Kyriaki Karava Erstautor der Studie.
Neue relevante Varianten gefunden
Um systematisch Zellen mit praktisch allen m?glichen relevanten Varianten des Gens EGFR zu erzeugen, identifizierten Platt und sein Team in diesem Gen zuerst die krebsrelevanten Regionen. Das sind solche, in denen Mutationen dazu führen, dass eine gesunde Zelle zu einer Krebszelle entartet, dass eine Krebszelle gegen Medikamente resistent wird oder umgekehrt auf die Medikamente anspricht. Weil die Forschenden mittels Base Editing nicht alle diese Genvarianten erstellen konnten, nahmen sie das Prime Editing hinzu.
Anschliessend untersuchten die Forschenden diese Zellen. Für zehn EGFR-Genvarianten mit bisher unklarem Einfluss auf das Krebsgeschehen konnten sie nun eine solche Bedeutung nachweisen und sie beschreiben: Diese Varianten spielen eine Rolle bei der Entstehung von Krebs oder machen ihn resistent gegen bestimmte Medikamente. Im Rahmen dieser Studie fanden die ETH-Forschenden auch einen neuen Mechanismus, wie durch eine Mutation im EGFR-Gen Krebs entstehen kann. Ausserdem fanden sie sechs Genvarianten, die bei Krebs eine Rolle zu spielen scheinen, die aber bisher noch nicht beschrieben wurden – also v?llig neue, relevante Genvarianten.
Das EGFR-Gen ist nur eines von mehreren hundert menschlichen Genen, die mit Krebs in Verbindung stehen. Der neue Forschungsansatz ist nun bereit, um auch bei allen anderen Genen die ?Varianten von unklarer Signifikanz? zu entschlüsseln.
Literaturhinweis
Belli O, Karava K, Farouni R, Platt RJ: Multimodal scanning of genetic variants with base and prime editing. Nature Biotechnology, 12. November 2024, doi: externe Seite 10.1038/s41587-024-02439-1