Die extremen Risiken müssen unser Handeln bestimmen
Die Folgen des Klimawandels sind bereits spürbar. Was uns noch erwartet, l?sst sich aus dem vom IPCC prognostizierten, wahrscheinlichen Temperaturanstieg absch?tzen. Um Vorsorgemassnahmen zu treffen, sollten wir uns aber vor allem an den extremeren Klimaszenarien orientieren, die zwar weniger wahrscheinlich aber potenziell sehr gef?hrlich sind.
Die Wissenschaft ist sich l?ngst einig, und auch die globale Politik schwenkt langsam ein: Das sich ?ndernde Klima gef?hrdet die Menschheit. Im Hinblick auf den Pariser Klimagipfel Ende Jahr mahnte US-Pr?sident Barak Obama unl?ngst mit gem?ss New York Times ?apokalyptischen? Worten, dass keine Herausforderung für zukünftige Generationen eine gr?ssere Bedrohung darstelle als der Klimawandel. [1] Aussenminister John Kerry sprach von einer Bedrohung der Zivilisation vergleichbar dem zweiten Weltkrieg. Selbst der Papst verfasste diesen Sommer eigens eine Enzyklika zu Umwelt- und Klimaschutz, in der er die Welt zum Umdenken aufruft. [2]
Die Faktenlage ist klar
Im politischen Diskurs sind das überraschend deutliche Warnungen, die sich aber weitgehend mit den vergleichsweise nüchtern formulierten Erkenntnissen des IPCC decken. Im fünften Sachstandsbericht heisst es: ?Ohne zus?tzliche Mitigations-Massnahmen führt die Erw?rmung bis zum Ende des Jahrhunderts mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu ernsthaften, weitverbreiteten und irreversiblen Folgen weltweit. [3] Die Risiken bei Temperaturen über vier Grad umfassen substantielles Artensterben, globale und regionale Unsicherheit der Lebensmittelproduktion und daraus folgende Einschr?nkungen für menschliche Aktivit?ten?. Im Klartext heisst das: Wetterextreme, Wasser- und Nahrungsmangel, Flüchtlingsstr?me – wir haben die Horrorszenarien schon oft geh?rt.
Unwahrscheinlich – aber nicht ausschliessbar
Gem?ss IPCC steigt die Temperatur in Abh?ngigkeit der kumulierten CO2-Emissionen im Mittel linear an, allerdings mit einem Unsicherheitsbereich. Wendet man die bei Versicherungen übliche Praxis an, dann darf nicht der Mittelwert unsere vorkehrenden Massnahmen bestimmen, sondern die Ausreisser an den R?ndern des Unsicherheitsbereichs – also Klimaverl?ufe, die zwar weniger wahrscheinlich sind, aber erh?hte Gef?hrdungen mit sich bringen. Der Harvard-?konomie-Professor Martin L. Weitzman arbeitet über die Folgen des Klimawandels und behandelt diese Frage. Zusammen mit Gernot Wagner hat er den Stand dieser Arbeiten unter Einbezug der neuesten Klimaforschung in dem anfangs Jahr erschienenen Buch ?Climate Shock, The Economic Consequences of a Hotter Planet? [4] zusammengefasst. Die beiden Autoren vertreten den Standpunkt, dass wir den Klimawandel als Versicherungs- respektive Risiko-Management-Problem auf globaler Ebene behandeln sollten.
Risiken steigen überproportional an
Wagner und Weitzmann sch?tzten ab, wie gross die Wahrscheinlichkeit einer noch w?rmeren Welt in Abh?ngigkeit des prognostizierten Temperaturanstiegs ist. Bei einem vorhergesagten Anstieg um 1,3 Grad liegt demnach die Wahrscheinlichkeit einer Sechs-Grad-Erw?rmung bei 0,04 Prozent, bei 2,2 Grad bei 1,2 Prozent und bei 3,4 Grad bereits bei 11 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit einer Sechs-Grad-Welt steigt also schon bei einer geringen Zunahme der vorhergesagten Temperatur über zwei Grad hinaus sehr schnell an. Je l?nger wir also warten mit Handeln, desto wahrscheinlicher ist es, dass ein Extremereignis eintreten wird.
Wahrscheinlichkeiten sind aber nur eine Seite. Um Risiken abzusch?tzen, muss man auch das Schadenpotenzial kennen. Doch welche Folgen h?tte beispielsweise eine Sechs-Grad-Welt?
Wie bewerten, was wir nicht kennen?
In der Erdgeschichte muss man 55 Millionen Jahre zurückblicken, ins sogenannte Pal?oz?n-Eoz?n-Temperaturmaximum (PETM), um einen Temperaturanstieg von mehr als sechs Grad zu finden, der damals auch durch grosser Mengen an freigesetztem CO2 in kurzer Zeit verursacht wurde. Zwar sind die Bedingungen nicht direkt vergleichbar. Mit Hilfe von Klimamodellen k?nnen Forscher aber eine Brücke von damals zu jetzt schlagen. Solche ?vernünftigerweise beste? Sch?tzungen klingen ?infernalisch? [5]: Regionen, in denen heute die halbe Menschheit lebt, würden praktisch unbewohnbar. In grossen Teilen von China, Indien, Südeuropa und den USA k?nnte es im Sommer Tag und Nacht über 40 Grad heiss werden, dazu kommen Meeresspiegelanstieg, Versauerung, Artensterben, Unwetter.
Klimawandel-?konomen bemühen sich, solche ?apokalyptischen? Bedrohungen in Zahlen zu fassen, und stehen damit unweigerlich vor der Aufgabe, ein menschliches Massensterben zu bewerten. In einem für die Pariser Konferenz verfassten Artikel im Economist ?On the economics of the end of the world as we know it? geben Christoph Rheinberger und Nicolas Treich von der Toulouse School of Economics einen ?berblick über den Stand der Diskussion, die sich letztlich um die ungeheuer schwierige Frage nach dem Wert des Lebens dreht [6]. Die Ans?tze reichen von makaber anmutenden Kostenbewertungen erwarteter Todesf?lle bis zu Wirtschaftsmodellen unter Extrembedingungen. Wagner und Weitzman wiederum kommen zum Schluss, dass die Verluste einer Klimakatastrophe für die Gesellschaft derart gross w?ren, dass eine Kosten-Nutzen-Rechnung keinen Sinn ergibt: Einen schier unendlich grossen Verlust zu vermeiden w?re unendlich profitabel.
Wir müssen dringend handeln
Angesichts solcher Perspektiven erscheint – so das Fazit der Autoren – nahezu jeder Aufwand gerechtfertigt, ein Szenario mit mehr als zwei Grad Temperaturanstieg zu verhindern. Das Problem und seine Dringlichkeit werden immer noch massiv untersch?tzt. Man kann nur hoffen, dass die Verhandler in Paris ihrer grossen Verantwortung gerecht werden.
Weiterführende Informationen
[1] external page Artikel NYT
[2] external page Umwelt-Enzyklika von Papst Franziskusexternal page
[3] IPCC external page AR5
[4] external page Buch ?Climate Shock, The Economic Consequences of a Hotter Planet?
[5] external page Artikel National Geographic
[6] external page Artikel Economist