Richard Ernst (1933-2021)

Mit grossem Bedauern und in tiefer Betroffenheit habe ich vom Tod von Richard Ernst erfahren. Richard Ernst war f¨¹r mich mehr als nur ein Doktorvater, er war ein Mentor und v?terlicher Ratgeber. Mit seiner bahnbrechenden Forschung zur Kernresonanz legte er die Grundlage f¨¹r die sp?tere Entwicklung der Magnetresonanztomografie (MRI). Weit ¨¹ber die analytische Chemie und Strukturforschung hinaus leben seine Erkenntnisse damit t?glich in Spit?lern und radiologischen Praxen weltweit fort.

Pers?nlich begegnete ich Richard Ernst zum ersten Mal w?hrend meines Chemiestudiums an der ETH Z¨¹rich. Auch ich h?rte damals Vorlesungen bei den Professoren der Physikalischen Chemie, namentlich bei Hans Heinrich G¨¹nthard und Hans Primas. Richard Ernsts eigene Vorlesungen ¨¹ber Messtechnik und die Grundlagen der kernmagnetischen Resonanz, seine Pers?nlichkeit und die lebhafte Art seines Vortrages beeindruckten mich derart, dass ich im Fr¨¹hjahr 1974 bei ihm um ein Thema f¨¹r meine Diplomarbeit vorsprach.

Im Herbst desselben Jahres erhielt ich die Chance, als Doktorand in die Gruppe von Richard Ernst einzutreten. In seinem vollst?ndigen Engagement und bedingungslosen Einsatz f¨¹r die Wissenschaft setzte er f¨¹r sich selbst die h?chsten Massst?be und war damit allen Gruppenmitgliedern ein Vorbild, ohne sie zu ¨¹berfordern. Oft habe ich erlebt, dass wir nachmittags ¨¹ber ein wissenschaftliches Problem diskutierten und er am n?chsten Morgen mit einer in seiner sauberen Handschrift formulierten L?sung zur¨¹ckkam, die er am sp?ten Abend oder in der Nacht ausgearbeitet hatte. Unser mont?gliches Gruppenseminar war ein anderes Beispiel ¨C hatte sich ein Doktorand verhindert erkl?rt, sprang Richard Ernst ein und referierte selbst ¨¹ber das aktuelle Thema.

?usserst spannend waren diese Jahre zwischen 1974 und 1978 ¨C in dieser Zeit wurden mit der zweidimensionalen Spektroskopie die Grundlagen daf¨¹r gelegt, dass diese Technologie ihre heute ¨¹berragende Bedeutung in Chemie, Biologie und Medizin erhalten hat. In den Nachbarlabors arbeiteten meine Kollegen aus der Gruppe an der Erh?hung der Empfindlichkeit von MRI-Verfahren, und ich erlebte die Erwartungen und den Durchbruch der Bildgebung mit, w?hrend meine eigene Dissertation einen anderen Aspekt der mehrdimensionalen Spektroskopie betraf. Es bedeutete f¨¹r mich einen wichtigen Meilenstein, als ich die Arbeit mit der Doktorpr¨¹fung abschliessen konnte.

Ein zweites Mal bew?hrte sich Richard Ernst als Mentor, indem er mir riet, mir w?hrend meines Postdoc-Aufenthaltes in den USA noch eine andere experimentelle Methodik anzueignen. So fand ich meinen Weg in die Laserspektroskopie, die dann in den Jahren von 1982 bis 1986 auch Grundlage meiner Habilitation in einem anderen Team an der ETH Z¨¹rich bildete. Aber auch in dieser Zeit blieb der Kontakt mit Richard Ernst ¨C dank der Arbeit an unserem gemeinsamen Buch ¨C immer lebendig und aufrecht.

Als ich im Jahr 1991 ¨C damals schon an der Universit?t Bayreuth t?tig ¨C die Nachricht von der Verleihung des Chemie-Nobelpreises an Richard Ernst erhielt, bedeutete das nicht nur f¨¹r die Forschergemeinschaft, sondern besonders auch f¨¹r mich eine riesige Freude. Gerne erinnere ich mich auch an eine Seminarwoche im Tessin, zu der Richard Ernst anschliessend alle seine ehemaligen Doktorierenden und Mitarbeiter einlud, um mit ihnen auf die Entwicklungen der entscheidenden Jahre zur¨¹ckzublicken. Gleichzeitig war es erstaunlich zu erfahren, wie viele unterschiedliche Berufswege die Absolventen der Gruppe gew?hlt hatten ¨C auch dies ein Zeichen daf¨¹r, wie fundiert und breit abgest¨¹tzt uns Richard Ernst f¨¹r den Einstieg ins Berufsleben vorbereitet hatte. Auch er selbst stiess in andere Dimensionen des Lebens vor, darunter die klassische Musik und vor allem auch in die tibetanische Kunst. Auf diesem Gebiet entwickelte er sich zu einem profunden Kenner der Mythologie und Symbolik der Wandteppich-Malereien, der tibetanischen Thangkas.

Mit dem Nobelpreis begann eine neue Periode im Schaffen von Richard Ernst. Diese durch seine herausragenden Leistungen mehr als verdiente Auszeichnung betrachtete er eher als Verpflichtung, die M?glichkeiten der Ausstrahlung f¨¹r ein Thema zu nutzen, das ihm schon immer am Herzen gelegen war. Mit unerm¨¹dlicher Energie widmete er sich in Schriften und Vortr?gen der Verantwortung des Wissenschaftlers in der Gesellschaft und der Wichtigkeit des Reflektierens ¨¹ber Sinn und Konsequenzen des eigenen Schaffens. Mit einer intensiven Reiset?tigkeit, welche seine Grenzen der physischen Belastbarkeit ber¨¹hrte, trug er diese Ideen an internationalen Tagungen und bei Einladungen an Forschungsinstitutionen auf allen Kontinenten vor. Er setzte sich im universit?ren System der Schweiz vehement daf¨¹r ein, administrative Belastungen klein zu halten und die Freiheit der Wissenschaftler f¨¹r die Entwicklung neuer, kreativer Ideen zu bewahren.

Gleichzeitig nahm er seine Aufgaben in der Selbstverwaltung der Hochschule sowie als Berater f¨¹r zahlreiche Gremien sehr ernst und erf¨¹llte sie mit gleicher Sorgfalt wie die wissenschaftliche Arbeit. Nach seiner Emeritierung widmete er sich auch vermehrt seinen kunsthistorischen Interessen, analysierte die in den Thangkas verwendeten Pigmente, engte Ort und Zeit der Entstehung ein und gelangte bis zur F?higkeit, als Restaurator denjenigen Gem?lden, die durch die Alterung schadhaft und stumpf geworden waren, ihre urspr¨¹ngliche Ausstrahlung wieder zu verleihen.

Mit Richard Ernst verlieren wir eine vielseitige und engagierte Pers?nlichkeit, die ausserordentlich grosse Verdienste f¨¹r die ETH Z¨¹rich, die Wissenschaft und die Gesellschaft erworben hat. Seine Leidenschaft f¨¹r die Chemie und ihre sinnvolle Anwendung zum Nutzen der Gesellschaft wird uns auch nach seinem Ableben ein Vorbild sein.

Dieser Text ist eine gek¨¹rzte und bearbeitete Fassung des Nachworts zur externe SeiteAutobiographie von Richard R. Ernstcall_made, die im Verlag Hier und Jetzt erschienen ist. Ver?ffentlichung mit Genehmigung des Verlags.