Ein Plädoyer für «dual career»
Für Kolumnistin Ursula Keller bedeutet Dual Career, dass kein Partner die eigenen Tr?ume aufgeben muss. Vaterschaftsurlaub und Anstellungsvertr?ge, die Dual Careers f?rdern, erm?glichen die Chancengleichheit.
In meiner letzten Kolumne befasste ich mich mit den potentiell unterschiedlichen Berufserfahrungen von Professorinnen und Professoren: Ich legte dar, dass diese Unterschiede solange bestehen bleiben, wie nur ganz wenige Frauen im MINT-Bereich t?tig sind. In dieser Kolumne m?chte ich erneut über meine pers?nlichen Erfahrungen berichten und die Diskussion er?ffnen, wie sich die Chance zur Dual Career auf mein Leben und auf meine Berufskarriere ausgewirkt hat.
Ich bin im Herzen der Schweiz aufgewachsen, in einer traditionsverbundenen Familie. Schon mit Anfang Zwanzig war meine Mutter Hausfrau mit Vollzeitpensum und bekam drei Kinder innerhalb von fünf Jahren. 1959 geboren, beeinflusste mich in meiner Kindheit die Frauenbewegung der Sechziger und der Siebziger Jahre (Zur Erinnerung: Den Schweizerinnen wurde erst 1971 das Stimmrecht bei nationalen Wahlen und Volksabstimmungen gew?hrt!).
Meine Eltern führten eine glückliche Ehe, und meine Mutter war Ehefrau und Mutter. Ich wusste allerdings schon früh, dass ich finanziell unabh?ngig sein wollte und mich nicht allein auf die Unterstützung meines zukünftigen Ehemanns verlassen wollte. Natürlich hatte ich damals keinen Masterplan, was ich wirklich machen wollte. Zum Glück war ich eine sehr gute Schülerin, was mir Zeit zur Entwicklung gab und mich schliesslich an die ETH Zürich führte.
In der Schweiz war mir keine Frau bekannt, die ich mir zum Vorbild h?tte nehmen k?nnen, und ebenso wenig hatte ich eine Antwort parat, wenn man mir sagte, ich würde schon noch zur Vernunft kommen, wenn ich erst die biologische Uhr ticken h?ren werde. Manchmal sagte ich einfach, ich wolle weder heiraten noch Kinder bekommen, um den unliebsamen Diskussionen und Spekulationen über meine Zukunft ein Ende zu setzen.
Glücklicherweise bekam ich die Chance, ein weniger einschr?nkendes Umfeld zu erleben, als ich 1984 mein Diplom an der ETH abschloss und mich für ein Doktorat an die Stanford University in der USA begab. Obschon mir meine Professoren seinerzeit von diesem Schritt abgeraten hatten und ich immer noch keinen Masterplan für mein Leben hatte, wusste ich, dass ich dort zumindest mein Englisch verbessern würde.
Stanford war überw?ltigend und sehr inspirierend für mich. Dort gab es auf einmal viele Frauen als Vorbilder: Eine von ihnen war die Gastprofessorin Geraldine Kenney-Wallace, die mich für eine theoretische Projektarbeit w?hrend meines ersten Stanford-Jahres betreut hatte. Sie gab mir viel positives Feedback und ermutigte mich. Sie half mir auch bei der Suche nach dem ?richtigen? Professor für mein Doktorat.
Für die Unterstützung bin ich ihr heute noch sehr dankbar: Sie hat wirklich viel bei mir ausgel?st. In Stanford lernte ich auch meinen zukünftigen Mann kennen. Er war Doktorierender in derselben Forschungsgruppe. Als er mich nach dem Doktorat fragte, ob ich seine Frau werden wolle, war für uns beide klar, dass wir auch als Ehepaar eine berufliche Vollzeitkarriere anstrebten.
Nun sind wir seit mehr als 25 Jahren verheiratet, und ich kann offen sagen, dass wir unsere damalige Vision von Chancengleichheit ganz und gar umgesetzt haben. Jeweils zehn Wochen nach der Geburt unserer beiden S?hne kehrte ich an meinem Arbeitsplatz zurück, und mein Mann und ich kümmerten uns zu gleichen Teilen um die Kindererziehung.
Abgesehen vom Stillen, waren wir beide der Auffassung, dass Mütter und V?ter ihre Kinder gleichermassen kompetent betreuen und erziehen k?nnen. Gemeinsam erlernten wir die logistischen Aspekte der Kindererziehung und freuten uns über die unterschiedlichen Entwicklungsphasen unserer beiden S?hne – vom Baby zum Kleinkind und bis heute zum Teenager. Jedes Alter birgt ein ganz spezielles Glück und ist gleichzeitig eine Herausforderung.
Als vor einigen Jahren mein Mann unserem ?ltesten Sohn erkl?rte, was der Sinn des Lebens sei, wurde mir wieder bewusst, weshalb ich ihn liebe. Er sagte: ?Spass haben, lernen und die Welt in einem besseren Zustand zurücklassen als man sie angetroffen hat.? Unser Sohn behielt den Spassteil für sich und ersetzte den Rest mit ?Bedaure dein Leben nicht.? Das trifft den Nagel auf den Kopf!
Dual Career heisst für mich, dass kein Partner die eigenen Lebenstr?ume aufgeben muss, sondern beide ihre pers?nlichen F?higkeiten nutzen k?nnen, um etwas ganz Besonderes zu tun, eine passende Stelle zu finden, einen Lohn und Anerkennung zu bekommen …und letzten Endes nichts bedauern zu müssen.
Im gr?sseren Zusammenhang betrachtet, führt mir meine pers?nliche Erfahrung vor Augen, wie f?rderlich oder hinderlich der gesellschaftliche und institutionelle Wandel für Dual Careers sein k?nnen. Mein Mann und ich haben die für uns passende L?sung gefunden. Wichtige Einrichtungen jedoch wie etwa der Vaterschaftsurlaub (zum Beispiel in Schweden), sind es, die es den V?tern erm?glichen, sich verst?rkt in der Kindererziehung zu engagieren.
Solche Regelungen sind auch für Universit?ten entscheidende Massnahmen. Sie k?nnen sie zum Beispiel, aber nicht ausschliesslich, umsetzen, wenn sie Dual Career Optionen in der Ausarbeitung von Arbeitsvertr?gen berücksichtigen.
Zur Person
Ursula Keller ist seit 1993 an der ETH und seit 2010 Leiterin des nationalen Kompetenzzentrums NCCR MUST (?Molecular Ultrafast Science and Technology?). Sie wurde 1959 in Zug geboren. 1984 erhielt sie ihr Diplom an der ETH Zürich und promovierte 1989 an der Stanford University. Sie war zun?chst mit ihrem eigenen Forschungslabor an der AT&T Bell Laboratories t?tig, bevor sie an die ETH zurückkehrte. Mit ihrer derzeitigen Forschungsgruppe untersucht sie die (Mess)-Grenzen in den ultraschnellen Wissenschaften und in der Lasertechnologie. Ursula Keller erhielt mehrere Preise und hat einen Advanced Grant des Europ?ischen Forschungsrates (ERC) erhalten. Derzeit ist sie die amtierende Pr?sidentin des ETH Women Professors Forums (externe Seite ETH WPF).