«Die Energie der Studierenden fehlt mir»
Mitarbeitende der Kanzlei arbeiten trotz des Notbetriebs weiterhin im Hauptgeb?ude. Den pers?nlichen Kontakt mit ihrer wichtigsten Anspruchsgruppe vermissen sie. Sich an Unvorhergesehenes anzupassen, ist in der Kanzlei aber niemandem fremd.
W?hrend für viele ETH-?Angeh?rige die Arbeit in den Hochschulgeb?uden vorerst der Vergangenheit angeh?rt, haben einige Mitarbeitende ihren angestammten Arbeitsplatz auch nach dem Lockdown nicht verlassen. So sind Giuliana Torre und Edith Niederh?user von der Kanzlei weiterhin im Hauptgeb?ude t?tig. Die beiden bearbeiten zusammen mit Kollege Guido Lussy dieser Tage die Bachelor-?Studienbewerbungen fürs Herbstsemester 2020. Die schiere Anzahl der Bewerbungen , gekoppelt mit einer strengen Sorgfaltspflicht im Umgang mit den geforderten Originaldokumenten, l?sst für sie kein Homeoffice zu.
Der Papierflut Herr werden
So sind innerhalb der diesj?hrigen Bewerbungsfrist über 3000 Bewerbungen eingetroffen, zur intensivsten Zeit Ende April waren es bis zu 190 an einem Tag. Diese Postberge müssen schnell abgearbeitet werden. Das beginne damit, den Eingang der Bewerbung rasch zu best?tigen, meint Giuliana Torre, damit die Bewerbenden nicht unn?tig verunsichert seien.
Hinzu kommen strikte Regeln rund um den Bewerbungsprozess. So müssen die Dossiers je nach Vorbildung der Bewerbenden zum Beispiel das Schweizer Maturit?tszeugnis oder ein Passerellen-? und Berufsmaturit?tszeugnis im Original enthalten. ?Eine effiziente inhaltliche und formale Prüfung der stetig wachsenden Anzahl von Bewerbungen kann nur gew?hrleistet werden, wenn keine Zusatzprozesse hinzukommen, welche die Bearbeitung zeitlich verl?ngern?, stellt Rita Lindegger, Leiterin der Kanzlei, klar. Aus logistischen Gründen wurde also früh klar, dass einige Mitarbeitende auch im Notbetrieb ihre Stellung halten würden. Hinzu kam, dass so auch die pers?nliche Begleitung des KV-?Lernenden, Aleks Mijajlovic, m?glichst optimal sichergestellt sein würde.
?Dieses Geb?ude, das nicht lebt?
Und so stellen sich Giuliana Torre und Edith Niederh?user jeden Tag aufs Neue der Leere im Hauptgeb?ude. ?Es ist sonderbar – dieses Geb?ude, das nicht lebt?, meint Niederh?user. Der Morgenkaffee und ein Schw?tzchen mit Kolleginnen und Kollegen im Polysnack, diese Dinge, die den Alltag ausmachten, fehlten ihr. Was beide aber am meisten vermissen, ist der pers?nliche Kontakt mit ihrer wichtigsten Anspruchsgruppe: den Studierenden.
Der Alltag in der Kanzlei ist normalerweise klar strukturiert, Telefon-? und Schalter?ffnungszeiten geben den Takt vor. Nun k?nnen nur noch Mails beantwortet werden. Die Telefone werden nicht bedient, der Schalter ist geschlossen. Giuliana Torre, seit über 20 Jahren ETH-?Angeh?rige, ist sich ein lebendiges Arbeitsumfeld gewohnt: ?Ich mag es, wenn es pulsiert?, erz?hlt sie. Für sie sei es besonders sch?n, die Entwicklung der Studierenden mitzuverfolgen: ?Wenn ich jemanden am Schalter berate, dann nach Semesterbeginn in den G?ngen wiedererkenne und merke, dass zum Beispiel der Hochschulwechsel geklappt hat.? Auch Niederh?user sind die Studierenden ans Herz gewachsen: ?Bei dieser Altersgruppe spürt man eine ansteckende Energie – das fehlt mir momentan.?
Vor, w?hrend und nach dem Studium
Im Zentrum der Kanzleiarbeit stehen die rund 18'000 Studierenden an der ETH. W?hrend momentan die Studienbewerbungen besonders dr?ngend sind, erledigt die Kanzlei durch das akademische Jahr ein breites Spektrum an Aufgaben. Für die Studierenden ist sie vor, w?hrend und nach dem Studium relevant: Von der Immatrikulation über m?gliche Studienunterbrüche bis hin zur Exmatrikulation und sogar darüber hinaus.
Vor dem Studium rüstet die Kanzlei die neu eintretenden Studierenden mit allen n?tigen Informationen und Dokumenten aus, die sie für den Studienbeginn ben?tigen. Sie beantwortet alle individuellen Fragen, prüft die Vorbildungsausweise und nimmt die Immatrikulation und die erste Einschreibung vor. W?hrend des Studiums gibt sie semesterweise die Einschreibung frei, entscheidet über Gesuche zu Studiengangwechseln, bearbeitet in diesem Zusammenhang Anrechnungsgesuche und h?ndigt Studienbescheinigungen aller Art, Transcripts oder Exmatrikulationsbest?tigungen aus. Diese Dokumente ben?tigen Studierende zum Beispiel für die Anmeldung an einer anderen Hochschule oder um ein Stipendium zu erhalten. Des Weiteren werden auch für ehemalige Studierende der ETH beispielsweise Abschriften, ?bersetzungen der Abschlussdokumente und ?quivalenzbescheinigungen ausgestellt oder Studieninhalte in ?bersichtsdokumenten zusammengefasst, um die Antragstellung zur Berufsausübung im Ausland zu erm?glichen.
H?hen und Tiefen
Was muss man als Mitarbeitender der Kanzlei mitbringen? Als Voraussetzung für die Arbeit braucht es nach Ansicht von Torre vielf?ltige F?higkeiten. Einerseits sei eine hohe Flexibilit?t unabdingbar: ?Die Studienstruktur ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten deutlich komplexer geworden. Und damit auch unsere Arbeit.? Um individuelle Anfragen zu beantworten, ist bisweilen intensive Recherche gefragt. ?Manchmal ist es auch für uns eine veritable Detektivarbeit, die n?tigen Informationen zusammenzutragen?, erz?hlt Torre.
Was ebenfalls nicht fehlen darf, ist Feingefühl. Die Kanzlei bahnt den Studierenden wenn immer m?glich Wege durch das administrative Dickicht – andererseits muss sie Regeln durchsetzen. Am Schalter komme es manchmal zu angespannten und auch traurigen Momenten, schildert Edith Niederh?user: ?Der Druck im Studium ist gestiegen. Wenn man beispielsweise jemandem sagen muss, dass ?der Zug abgefahren ist?, dass die M?glichkeiten, mit dem Studium fortzufahren, ausgesch?pft sind, ist das alles andere als einfach.? Umso mehr n?hrt man sich von jenen Situationen, wo sich Positives bewirken l?sst. ?Ich liebe den Umgang mit den jungen Leuten und spüre viel Dankbarkeit, wenn ich sie ermutigen und ihnen neue M?glichkeiten aufzeigen kann?, meint Torre.
Ballung im September
Ist die Welle an Studienbewerbungen einmal abgearbeitet, n?hert sich bereits die herausforderndste Zeit des Jahres. ?Bei Semesterbeginn im September kommt alles zusammen?, meint Torre. Die Kanzlei rechnet dieses Jahr mit 4000-?4500 Neueintritten für Bachelor-? und Masterstudieng?nge. Für alle Studierenden müssen die n?tigen Informationen und Dokumente bereitgestellt werden und in den ersten Wochen gibt es viele ?nderungen bei der Semestereinschreibung sowie Austritte. Die Menge und das Tempo der Arbeit sind im September enorm. Dabei kann man auf das Team und die eigenen F?higkeiten vertrauen: ?Wir pflegen einen engen Austausch und harmonieren gut. In der Kanzlei arbeiten ganz unterschiedliche Pers?nlichkeiten mit verschiedenen St?rken und Expertisen, die sich erg?nzen?, versichert Niederh?user. So sieht sie auch dem hektischen September mit Zuversicht entgegen.