Erste Präsidentin in der Geschichte der Hochschulversammlung
Dagmar Iber, Professorin für rechnergestützte Biologie am Departement Biosysteme in Basel, übernimmt Anfang 2022 das Pr?sidium der Hochschulversammlung von Werner Wegscheider. Im Interview geben die beiden einen Einblick ins Wirken des bedeutendsten Mitwirkungsgremiums der ETH Zürich.
Die Hochschulversammlung (HV) erh?lt zum ersten Mal in ihrer knapp 30-j?hrigen Geschichte einen weiblichen Vorsitz. Dagmar Iber, Professorin für rechnergestützte Biologie am Departement Biosysteme in Basel, die seit drei Jahren in der HV mitwirkt, wurde an der Plenarversammlung vom 2. Dezember zur neuen Pr?sidentin gew?hlt. Sie übernimmt das Amt auf Anfang 2022 von Physikprofessor Werner Wegscheider, der das Organ fünfeinhalb Jahre pr?sidierte.
Auch im Vizepr?sidium gibt es einen Wechsel: Stefan Karlen, HV-Mitglied seitens der Personalkommission, übergibt sein Amt an Pascal Bleuler und Tobias Neef von der Mittelbauvereinigung AVETH.
Anl?sslich des personellen Wechsels geben Dagmar und Werner einen Einblick in das Wirken der HV.
Werner, du warst fünf Jahre Pr?sident der HV. Was macht dieses Gremium aus?
Werner Wegscheider: Die HV ist das Mitwirkungsgremium der ETH, und ich habe in meiner Zeit gelernt, dass die HV schon ziemlich einzigartig ist. Wenn du andere Universit?ten im deutschsprachigen Raum anschaust, kennen diese den Senat. Das ist typischerweise ein hierarchisch geführtes Gremium mit der Universit?tsleitung, einer Vertretung der Studierenden und weiteren Vertretungen, beispielsweise für Diversit?t. Die HV hingegen ist ein parit?tisch zusammengesetztes Gremium, in dem die Studierenden gleich viele Sitze haben wie die Dozierenden, die wissenschaftlichen Mitarbeitenden sowie das technische und administrative Personal. Und wir haben eine direkte Vertretung im ETH-Rat, dem übergeordneten Organ unserer Hochschule, also sozusagen an der Schulleitung vorbei. Auf dieses einmalige Gremium dürfen wir stolz sein und wir sollten ihm Sorge tragen.
Dagmar, du bist seit drei Jahren HV-Mitglied. Was beeindruckt dich am meisten?
Dagmar Iber: Die gute Atmosph?re, das heisst wie ruhig und entspannt die Diskussionen in der HV laufen. Es ist ja so, dass bei allen Gesch?ften die vier St?nde jeweils zusammenkommen und sie in einer kleinen Gruppe diskutieren. Und dieser Austausch verl?uft immer sehr konstruktiv.
Gibt es bei diesen Diskussionen jeweils einen Konsens, oder kommt es auch zu Mehrheitsentscheidungen?
Iber: Es gibt immer einen Konsens. Zumindest ich habe noch nie erlebt, dass eine Abstimmung stattfand. Natürlich gibt es immer mal wieder verschiedene Perspektiven. Diese werden in einer respektvollen Art so ausgetauscht, dass auch die andere Seite versteht, was einen Stand besonders besch?ftigt. Und dann findet man eigentlich immer sehr schnell zu einer Formulierung, die alles abdeckt. Ich habe das noch nie erlebt, dass es ein Problem gewesen w?re. Aber vielleicht hat Werner da eine andere Erfahrung, denn ich kann nur die Diskussionen beurteilen, an denen ich teilnahm.
Wegscheider: Ich kann das nur best?tigen. Wir diskutieren auch mal um Formulierungen, die einigen zu hart oder zu polarisierend erscheinen. Doch wir kommen immer zu einem Konsens. Ich würde fast so weit gehen und sagen, dass es eine Diskussionskultur ist, wie wir sie uns ETH-weit wünschen. Vielleicht entsteht so etwas nach rETHink.
Iber: Ich denke, es ist Werners grosser Verdienst, dass der Austausch in der HV immer sehr harmonisch und konstruktiv verlief, auch bei Themen, die in anderen Gremien durchaus sehr kontrovers diskutiert wurden.
K?nnt ihr ein Beispiel für ein solches Thema nennen?
Wegscheider: Ein kontroverses Thema war sicher das Fehlverhalten von Dozierenden und das Konfliktmanagement. Hier sind wir sehr aktiv geworden, als es darum ging, ein neues Reglement zu schaffen. Da hatten wir einen ersten Vorschlag von der Personalabteilung erhalten, mit dem wir überhaupt nicht glücklich waren. Dies führte dazu, dass die HV praktisch die Federführung bei der Ausarbeitung des Reglements betreffend Meldungen von Angeh?rigen der ETH Zürich über unangemessenes Verhalten übernahm. Im Zuge dessen haben wir auch durchgesetzt, dass die HV jetzt die Ombudspersonen nominieren darf.
Dieses Recht habt ihr euch also erk?mpft?
Wegscheider: Sozusagen, es war aber weniger ein Kampf als ein kontinuierlicher Vorgang. Als die Diskussion begann, hiess es, dass die Ombudspersonen von der Schulleitung gew?hlt werden, und die HV vielleicht auch welche nominieren darf. Irgendwann war es dann soweit, dass wir als HV die Ombudspersonen exklusiv nominieren dürfen.
Gab es weitere solche Erfolgserlebnisse?
Wegscheider: Ich denke, dass wir als HV bei vielen Gesch?ften der ETH einen wertvollen Beitrag leisten konnten, wenn auch eher im Hintergrund. Wir haben regelm?ssig Kontakt mit der Schulleitung, wo die Stimmen der St?nde vernommen werden. Seit ein paar Jahren begegnen wir uns mit viel Respekt und auf Augenh?he. Als ich das HV-Pr?sidium übernahm, war dieses Verh?ltnis nicht ganz so gut, wie es jetzt ist.
Und wie sieht es bei den weniger erfreulichen Erfahrungen aus? Gab es in den letzten Jahren auch Entt?uschungen?
Wegscheider: Wenig erfreulich ist für uns, wenn die HV übergangen wird. Es gibt ein Memorandum of Understanding, in dem festgeschrieben ist, wann wir angeh?rt werden sollen. Und das passiert manchmal nicht, nicht aus b?sem Willen, sondern meistens aus Zeitdruck. Auch wenn wir darauf eine Entschuldigung bekommen, so hatten wir dennoch keine M?glichkeit zur Mitwirkung beim betreffenden Gesch?ft. In unserer Arbeit sind wir darauf angewiesen, dass jene, welche die Entscheidungen treffen, uns h?ren wollen.
Die HV geh?rt zu den wichtigsten Organen der ETH Zürich. Dennoch ist sie bei vielen ETH-Angeh?rigen wenig bekannt. Wie steht es um die Wertsch?tzung für eure Arbeit?
Wegscheider: Das ist das andere, das teilweise sehr entt?uschend ist: die geringe Bekanntheit der HV innerhalb der ETH. Wenn die Leute wissen, was wir machen, dann werden wir sehr wohl wertgesch?tzt. Aber die meisten haben keine Ahnung, dass es uns überhaupt gibt.
Iber: Ich glaube, das liegt auch an der hierarchischen Struktur, die bei so vielen Studierenden und Mitarbeitenden notwendig ist. Ich habe den Eindruck, dass beispielsweise unsere Departements-Angeh?rigen sehr gut wissen, wer ihre Interessen vertritt. Aber vom Department geht es auf die ETH-Ebene des VSETH, der AVETH, der PeKo und der KdL, und diese senden ihre Vertretung in die HV. Ich glaube, das ist ein Schritt zu viel, um den Kontakt zu den einzelnen ETH-Angeh?rigen zu halten.
Nun steht in der HV ein Wechsel im Pr?sidium an. Dagmar, du trittst in Werners Fussstapfen. Was war deine Motivation, HV-Pr?sidentin zu werden?
Iber: Werner hat beschlossen, das HV-Pr?sidium nach fünfeinhalb Jahren erfolgreicher Arbeit abzugeben. Die Konferenz des Lehrk?rpers (KdL) hat das Vorschlagsrecht für die Nachfolge, und die KdL Pr?sidentin hat mich gefragt, ob ich mir das vorstellen k?nnte. Da ich inzwischen einige Jahre in der HV und bereits sehr lange in der Konferenz des Lehrk?rpers mitwirke, habe ich mich zur Verfügung gestellt. Nun bin ich gespannt auf die neue Aufgabe. Generell m?chte ich das fortsetzen, was Werner so hervorragend gemacht hat und die sehr gute Atmosph?re in der HV behalten.
Gibt es auch neue Dinge, die du in Angriff nehmen m?chtest?
Iber: In den letzten Jahren hatten wir so viele Gesch?fte, zu denen wir unsere Meinung bilden mussten, dass wir haupts?chlich reaktiv t?tig waren. Sollten wir in ruhigeres Fahrwasser kommen, was wir nur hoffen k?nnen, würde ich gerne gemeinsam mit den vier St?nden neue Themen ausloten, bei denen wir zusammen die ETH weiterbringen k?nnen. Zun?chst werde ich erst einmal mit jedem einzelnen Stand reden, um zu verstehen, was ihm wichtig ist.
Aufgaben der Hochschulversammlung
Die Hochschulversammlung (HV) setzt sich aus gew?hlten Mitgliedern des Lehrk?rpers (KdL), des akademischen Mittelbaus (AVETH), des Studierendenverbands (VSETH) sowie der administrativen und technischen Mitarbeitenden (PeKo) zusammen. Im Zentrum ihrer T?tigkeit steht die Mitbestimmung, die im ETH-Gesetz verankert ist. Die Hochschulversammlung hat das Recht, Antr?ge zu allen rechtsetzenden, die ETH betreffenden Erlassen des ETH-Rates und der ihm untergeordneten Organe zu stellen. Sie muss zum Budget und zur Planung der ETH sowie zur Schaffung und Aufhebung von Unterrichts- und Forschungseinheiten angeh?rt werden, sowie zu Struktur- und Mitwirkungsfragen. Die HV publiziert die Protokolle ihrer Plenarsitzungen und ihre Stellungnahmen zu ?nderungen in Regelwerken für alle einsehbar auf der Website.