Braucht die ETH eine Frauenquote für Führungspositionen?

Zwei ETH-?Mitarbeiterinnen argumentieren für beziehungsweise gegen die Einführung einer Frauenquote bei Führungspositionen.

Pro

Annegret Kern, Mitarbeiterin im Stab Pr?sident

Annegret Kern

Seit vielen Jahren sind die ETH und andere Schweizer Universit?ten darum bemüht, den Frauenanteil bei ihren Führungspositionen zu erh?hen. Laut dem j?hrlich durchgeführten Equality Monitoring der ETH stieg der Frauenanteil bei den Professuren zwischen 2020 und 2021 allerdings lediglich von 16,3 auf 18 Prozent. Auch die Aussage zur sogenannten Leaky Pipeline bleibt in ihrem Kern seit Jahren konstant: Der Anteil der Frauen sinkt nach Abschluss des Studiums mit jeder weiteren Stufe auf der Karriereleiter. Und dies trotz zahlreicher Bemühungen wie etwa der verabschiedeten Genderstrategie 2021–2024 des ETH-Rats zur Erh?hung der Chancengleichheit.

In den entscheidenden Positionen sitzen nach wie vor meistens M?nner: Sie führen Personalgespr?che, leiten Teams und stellen ein – und zwar mehrheitlich M?nner. Dieses Ph?nomen heisst homosoziale Reproduktion. Menschen, die andere Menschen einstellen, entscheiden sich in der Regel für Personen, die ihnen selbst ?hnlich sind. Denn ?hnlichkeit schafft Vertrauen und Vorhersehbarkeit. Gleichzeitig führt dieses Ph?nomen aber zu einer grossen Einschr?nkung von Potenzial und Talent. Zudem ist es schlicht und einfach ungerecht.

?Die Quote zwingt uns, unser Vertrauen nicht nur der ?hnlichkeit, sondern auch der Andersartigkeit zu schenken.?
Annegret Kern

Die Einführung einer Frauenquote ist eine reale Chance, diesen Kreislauf unbewusster Vorurteile zu durchbrechen und einen sinnvollen Beitrag zur Verbesserung der Chancengleichheit zu leisten. Eine Frauenquote würde vielen qualifizierten Frauen erst die M?glichkeit bieten, sich zu beweisen und ihr volles Potenzial zu entfalten. Gleichzeitig würde sie mehr weibliche Vorbilder schaffen – die wiederum anderen Frauen Mut geben würden, sich eine Führungsposition zuzutrauen.

Zusammen mit den weiteren Massnahmen der ETH für mehr Chancengleichheit kann mit der Erh?hung des Frauenanteils auf der Führungsebene der Grundstein für eine kulturelle Ver?nderung gelegt werden. Eine Ver?nderung ist aber nur m?glich, wenn verschiedene Menschen ausreichend vertreten und offen für die St?rken und Schw?chen der anderen sind. Die Quote zwingt uns, unser Vertrauen nicht nur der ?hnlichkeit, sondern auch der Andersartigkeit zu schenken.

Im besten Fall schaffen wir es durch die Einführung der Frauenquote, den Frauenanteil so zu erh?hen und die Kultur so zu ver?ndern, dass wir schon in einigen Jahren keine Quote mehr brauchen. Dann h?tten wir alle unser Ziel erreicht.

Kontra

Stephanie Habicht, Mitarbeiterin bei den Informatikdiensten

Stephanie Habicht

Wenn mich jemand fragt, ob es mehr Frauen in Führungspositionen braucht, sage ich ganz klar: ja. An der ETH und auch generell. Man muss jedoch abw?gen, wie man am besten zu diesem Ziel gelangt. Eine Frauenquote würde das Problem der Anzahl vielleicht l?sen, aber gleichzeitig neue Probleme mit sich bringen.

So w?re zum einen jede Frau in einer Führungsposition der Frage und dem Misstrauen ausgesetzt, ob sie nur aufgrund ihres Geschlechts oder aufgrund ihrer Eignung dort ist.

Damit zementieren wir das Vorurteil, dass Frauen eigentlich gar nichts k?nnen (müssen). Und es würde dem Ziel entgegenlaufen, eine faire Verteilung und Diversifizierung zu erreichen, die eben nicht ein bestimmtes Geschlechtsmerkmal bevorzugt oder in den Vordergrund stellt. Ich – als weiblich gelesene Person – würde lieber aufgrund meiner Eignung als aufgrund meines Geschlechts ausgew?hlt werden. Im schlimmsten Fall würde bei der Einführung einer Frauenquote ein sich dadurch gegen seinen Willen verpflichtet fühlender Arbeitgeber seinen Unmut an der neu eingestellten Führungskraft auslassen.

?Langfristig sollten wir wegkommen von der strikten Trennung zwischen Mann und Frau.?
Stephanie Habicht

Zum anderen f?nden sich auch vermehrt führungsschwache Frauen in Führungspositionen, da man eine Frauenquote zu erfüllen hat, auch wenn sich keine geeignete weibliche Person bewirbt. Und bekanntermassen k?nnen sich ungeeignete Führungspersonen sowohl auf die Organisation als auch auf die Mitarbeiter*innen in ihrem Team sehr negativ auswirken.

Sinnvoller als fixe Frauenquoten w?re daher eine Frauenbevorzugung bei gleicher Qualifikation. In Kombination mit gezielter Frauenf?rderung k?nnte so die Anzahl der Frauen in wichtigen Positionen in der nahen Zukunft erh?ht werden. Damit würde sich mit der Zeit das Gleichgewicht einstellen, das wir anstreben.

Langfristig sollten wir aber wegkommen von der strikten Trennung zwischen Mann und Frau. Um auch Trans*personen und intergeschlechtliche oder nonbin?re Personen zu inkludieren, w?re eine Frauenquote nicht geeignet. Wie würden wir zum Beispiel eine Trans*frau behandeln, die ihr Leben lang als Mann sozialisiert wurde? Würden wir Trans*m?nner aus der Quote ausschliessen oder gar eine eigene Trans*quote einführen? Besser w?re es, wenn man sich unter den diversen Auspr?gungen der Geschlechtsidentit?t nach geeigneten Führungspersonen umsehen würde. So w?re eine Diversifizierung quasi ?Bottom- up? garantiert, und man müsste nicht nach Quoten agieren.

Dieser Artikel ist in der Juli-Ausgabe des life-Magazins erschienen.

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