Interview: Wie ChatGPT die Lehre und das Prüfen verändert
Sprachmodelle wie ChatGPT werden an der ETH Zürich nicht nur Prüfungen ver?ndern. Im Interview sprechen die Lehrexperten Gerd Kortemeyer und Manuel Sudau über die Folgen des Sprachmodells für Dozierende und Studierende.
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Gerd Kortemeyer, Manuel Sudau: ChatGPT wirft bei Dozierenden aktuell viele Fragen auf. Welche?
Gerd Kortemeyer: Dozierende sind pl?tzlich mit maschinell erzeugten Texten konfrontiert, die sie nicht notwendigerweise von menschgemachten Texten unterscheiden k?nnen. Einfache Schreibarbeiten, also kleine Essays oder Zusammenfassungen, werden dadurch wohl obsolet. Wir sind deshalb mit Fragen konfrontiert wie: ?wie kann man ChatGPT blockieren? oder ?wie kann ich Texte der KI erkennen??. Ich verstehe diese Sorgen natürlich. Die Diskussion erinnert mich an die Zeit, als Taschenrechner aufgekommen sind. Auch damals gab es zuerst eine besorgte Abwehrhaltung. Danach fragte man sich, was das neue Werkzeug für den Mathematikunterricht bedeutet. KI komplett vom Unterricht auszusperren, ist wie beim Taschenrechner keine Option.
Woher rührt die Skepsis gegenüber ChatGPT?
Manuel Sudau: Die abwehrende Haltung kommt wohl daher, dass viele noch nicht die Zeit hatten, sich selbst mit solchen Werkzeugen auseinanderzusetzen. Ich wünsche mir als Lehrspezialist, dass wir dem Thema mit Neugierde begegnen und ausprobieren, welche M?glichkeiten und Chancen sich daraus ergeben. Auf Grundlage eigener Erfahrungen k?nnen wir uns selbstkritisch fragen, ob alle unsere Prüfungsformen noch Sinn machen und ob wir auch wirklich das abfragen, was wir tats?chlich prüfen wollen.
?Ich wünsche mir als Lehrspezialist, dass wir dem Thema mit Neugierde begegnen und ausprobieren, welche M?glichkeiten und Chancen sich daraus ergeben.?Manuel Sudau
Was ist neu an ChatGPT?
Kortemeyer: Das Thema ist nicht neu. An den Technologien, die dahinterstecken, hat die ETH selbst mitgearbeitet. Neu ist aber, dass eine solche Anwendung ?ffentlich zug?nglich ist. Und neu ist auch das Datenvolumen, mit dem die Modelle trainiert wurden. In Forschungsprojekten für KI erreicht man kaum Volumina wie bei einem solchen kommerziellen Produkt.
Was kann ChatGPT und wo hat es Schw?chen?
Kortemeyer: GPT-3, die Vorg?ngerversion des derzeit aktuellen GPT-4, hatte nachweislich Probleme mit symbolischen und numerischen Grundrechenarten. Das Modell rechnete nicht zuverl?ssig. GPT-4 ist etwas besser, hat aber immer noch nicht das Niveau eines durchschnittlichen Studierenden an der ETH. Aber Achtung: Trotz dieser Schw?chen habe ich in einem Experiment zeigen k?nnen, dass GPT-3 einen an US-Colleges üblichen Physikkurs mit den dazugeh?rigen ?bungen, Quizzen und Prüfungen haarscharf bestehen würde – mit rund der H?lfte der erreichbaren Punkte.
Sudau: Wir diskutieren hier jetzt über St?rken und Schw?chen eines Status Quo, respektive über eine bereits veraltete Version von ChatGPT. Aber was bringt die Zukunft? Die Entwicklung l?sst sich nicht aufhalten. Wir sollten uns besser damit befassen, wie wir mit Sprachmodellen und anderen KI-gestützten Werkzeugen umgehen werden, die noch weit besser sind. KI-Anwendungen werden schon bald allgegenw?rtig sein, in quasi allen Bereichen des Lebens.
Rund um Prüfungen scheint es aktuell am meisten Fragen zu geben. Was raten Sie den Dozierenden?
Kortemeyer: KI ist ein Werkzeug. Genauso wie zum Beispiel Rechtschreibkorrektur, Taschenrechner, Literatursuchmaschinen und Statistikprogramme Werkzeuge sind. Als solches k?nnte es auch in Prüfungen integriert werden. Ein Ansatz k?nnte sein, Studierende KI-Antworten oder -Erzeugnisse beurteilen zu lassen. Denn genau diese F?higkeit wird künftig st?rker gefragt sein.
?Ein Ansatz k?nnte sein, Studierende KI-Antworten oder -Erzeugnisse beurteilen zu lassen. Denn genau diese F?higkeit wird künftig st?rker gefragt sein.?Gerd Kortemeyer
Das heisst, Prüfungen w?ren dann ?fter Open-Book, respektive Open-KI?
Kortemeyer: Natürlich nicht nur. Es wird immer grundlegende Aufgaben geben, die Studierende ohne jegliche Hilfe von aussen, weder menschlich noch künstlich, erledigen k?nnen müssen. Eine L?sung k?nnten zwei- oder mehrphasige Prüfungen sein, bei denen die Studierenden zuerst Aufgaben ohne Zugang zu KI und anderen Werkzeugen l?sen und dann weitere mit Zugang zu diesen Werkzeugen. Die eine Phase für unentbehrliche Grundlagen, die andere für authentische Arbeitsweisen. Für solche mehrphasige Online-Prüfungen boten wir an der ETH schon vor dem Aufkommen von ChatGPT technische L?sungen und Support.
Welche Vorteile bringt ChatGPT für die Lehre?
Kortemeyer: Das wird sich zeigen. Aber wenn KIs Studierenden in ?bungen und Prüfungen gewisse Arbeiten abnehmen, ?ffnet das vielleicht auch Raum für Neues. Als Studierende ihre Aufgaben noch ohne Taschenrechner l?sen mussten, brauchten sie viel Zeit fürs reine Rechnen. Danach wurde diese Zeit pl?tzlich frei und man konnte sie für das eigentliche L?sen der Probleme einsetzen. Wir k?nnen uns auch heute fragen, ob wir durch die Integration von KI gewisse Dinge anspruchsvoller machen k?nnen. Und auch, welches die typischen menschlichen F?higkeiten sind, die geprüft werden sollen.
Zum Beispiel?
Kortemeyer: Kreativit?t. Sprachmodelle m?gen manchmal zwar kreativ wirken, sie sind es aber nicht. Und sie haben keine Visionen. Vielleicht k?nnen andere Modelle dies eines Tages, aber ein Sprachmodell kann das nicht. ETH-Ingenieur:innen müssen das aber k?nnen. Dazu kommt die F?higkeit, kritisch zu denken. Studierende sollten sich fragen, ob ein Ergebnis wirklich so sein muss, ob es so Sinn macht?
Nebst den Prüfungen: Wo hat ChatGPT noch Konsequenzen für ETH-Dozierende?
Sudau: Zum Beispiel in der Curriculumsentwicklung. Wir müssen uns überlegen, was wir künftig lehren wollen. Was zu den Grundlagen geh?rt und welche überfachlichen Kompetenzen ETH-Absolvent:innen ben?tigen. Schliesslich müssen sie in der zukünftigen Berufswelt mit solchen Werkzeugen umgehen und arbeiten und sich auch unbekannten Herausforderungen des Arbeitsmarktes anpassen k?nnen. Die dazu n?tigen Kompetenzen müssen wir unterrichten mit unseren Studierenden üben.
Kortemeyer: Das geschieht auch schon. Mit Dozierenden des Departements Informatik zum Beispiel diskutieren wir bereits darüber, welche Folgen ChatGPT für Kurse zur Programmiersprache Python haben k?nnte. Was die Studierenden lernen müssen, damit sie KI-generierten Python-Code testen k?nnen. Genau solche Gedanken sollte man sich jetzt machen, damit man sp?ter bereit ist dafür, das Werkzeug in die Lehre zu integrieren.
Wissen wir eigentlich, wie die Studierenden ChatGPT heute nutzen?
Sudau: Wir wissen noch relativ wenig. Eine kleine, nicht repr?sentative Umfrage von meinem Kollegen Christian Sailer und mir bei Studierenden im D-BAUG und D-USYS hat aber gezeigt, dass ChatGPT von Bachlorstudierenden am seltensten und von Doktorierenden am h?ufigsten als nützlich erachtet wurde. Sprich: Je weiter im Studium beziehungsweise je erfahrener, desto nützlicher. Das zeigt mir auch, dass wir Studierende unbedingt bef?higen müssen, solche Werkzeuge nutzen und sie kritisch und reflektiert einsetzen zu k?nnen.
Welche anderen Werkzeuge neben Chat GPT sollten wir auf dem Radar haben?
Kortemeyer: Als N?chstes wird wohl Googles Sprachmodell Bard bei uns aktuell, Nvidia ist ebenfalls an Entwicklungen dran. Unmittelbar aktuell wird wohl auch der “Co-Pilot” von Microsoft werden, der in alle Office-Tools integriert werden soll – da hat man dann KI mitten in Word oder PowerPoint. KI wird wohl kaum wieder verschwinden, da k?nnen wir beim Lehren und Prüfen nicht den Kopf in den Sand stecken.
Zu den Personen
Gerd Kortemeyer ist Leiter der Abteilung Lehrentwicklung und -technologie (LET) an der ETH Zürich.
Manuel Sudau arbeitet im LET zu Curriculumsentwicklung und Faculty Development und ist Lehrspezialist am Departement Umweltsystemwissenschaften (D-USYS).
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