Der Sinn der Nachhaltigkeit
Da dies ein neuer Blog über Nachhaltigkeit ist, ist es meiner Meinung nach wichtig zu fragen, ob die Idee der Nachhaltigkeit an sich überhaupt Sinn macht.
Insbesondere, da die erste Antwort auf diese Frage, die ich selbst vor zwanzig Jahren h?rte, als das Konzept der ?nachhaltigen Entwicklung? noch relativ jung war, ?nein? lautete.
Die negative Antwort stammte von einem Professor für Umwelt- und Ressourcen?konomik, und sie hatte mit der Unterscheidung zwischen der Nachhaltigkeit im Umgang mit einer bestimmten Umweltressource und der Nachhaltigkeit des gesellschaftlichen Gemeinwohls zu tun. Billige fossile Brennstoffe etwa haben es den Leuten erm?glicht, hochproduktiv zu sein und reich zu werden. Dieser Reichtum hilft wiederum dabei das Energiesystem der n?chsten Generation zu erfinden, in welchem fossile Brennstoffe keine Rolle mehr spielen, und wird in dieses investiert. Die Ersch?pfung einiger Ressourcen k?nnte eine Voraussetzung für ein h?heres Gemeinwohl in der Zukunft sein. ?hnlich wie für ein Kind das Leeressen seines Tellers die Voraussetzung sein mag, dass es Dessert bekommt. ?berdies steigen die Marktpreise für Ressourcen umso mehr, je knapper eine bestimmte Ressource wahrgenommen wird. Das bedeutet, dass umso weniger Leute sich eine Ressource leisten k?nnen oder wollen, je n?her diese ihrer Ersch?pfung ist. Als Folge davon sind die einzigen Ressourcen, die sich vollst?ndig ersch?pfen werden, entweder jene mit wenig oder keinem wirtschaftlichen Nutzen, oder solche, für welche es Ersatz gibt. Es besteht also tats?chlich kein Grund zur Sorge.
Neoklassische versus Evolutions?konomik
Besagter Professor war ein extremes Beispiel eines neoklassischen ?konomen. Diese Sorte ?konomen gehen von einer Reihe vernünftiger Annahmen über das menschliche Verhalten aus und formalisieren diese mathematisch. Aufbauend auf diesen Annahmen zeigen sie, dass eine Marktwirtschaft, die über eine Reihe an Ressourcen, Technologien und den n?tigen F?higkeiten ihrer Arbeiter verfügt, diese Ressourcen effizient verteilt und den Leuten dadurch zum gr?sstm?glichen Wohlstand verhilft. Gef?hrlich wird es, wenn M?rkte unvollst?ndig sind. Ein Beispiel dafür liefert die Umweltverschmutzung. Eine nachl?ssige Firma kann den Schmutz, den sie verursacht, bei ihren Nachbarn abladen und nicht für die Folgen zahlen. Die simple L?sung der neoklassischen ?konomen liegt darin, ein Rechtssystem zu schaffen, in welchem sie zahlen muss. Beispielsweise durch eine Umweltsteuer, oder indem sie sich die Rechte zur Umweltverschmutzung im Voraus erkaufen muss.
Aber neoklassische ?konomen sind nicht allein. Die Evolutions?konomik etwa ist ein ziemlich neuer Zweig der Wirtschaftswissenschaft, der explizit den Fall eines technologischen Wandels prüft und analysiert, wie Leute lernen, Technologien in Echtzeit zu nutzen. Sie zeigen, dass die Leute oftmals bei unterlegenen Technologien bleiben, wenn sich dies auszahlt, einfach weil sie mit diesen vertraut sind und auch alle anderen diese nutzen. Deshalb k?nnte sich der Markt in einem von vielen Gleichgewichten einpendeln, wovon einige bedeutend mehr zum Gemeinwohl beitragen als andere. Welches Gleichgewicht, das ist schwierig oder sogar unm?glich vorherzusehen. Politische Interventionen k?nnen die Gesellschaft erfolgreich aus einem schlechten Gleichgewicht herausholen und in ein besseres überführen, aber üblicherweise müssen sie auf dem Weg zum Wandel verschiedene Hindernisse überwinden. Diese Hindernisse k?nnen ?konomischer, aber auch gesellschaftlicher, psychologischer oder institutioneller Art sein.
Hindernisse und M?glichkeiten
Um auf das Beispiel des Energiesystems zurückzukommen: Unsere Gesellschaft wird eine Ressource vielleicht ersch?pfen (fossile Brennstoffe) und eine andere durch Kohlenstoffverschmutzung ziemlich sicher zerst?ren (ein prognostizierbares Klima). Neoklassische ?konomen zerbrechen sich über das Problem der Ressourcenersch?pfung nicht allzu sehr den Kopf und schlagen vor, das Problem der Umweltverschmutzung zu l?sen, indem auf Kohlenstoffemissionen eine Abgabe erhoben wird. Aus evolution?rer Perspektive jedoch besteht Grund, über das Problem der Ressourcenersch?pfung besorgt zu sein. Ausserdem besteht Grund zur Annahme, dass die L?sung des Marktes auf das Problem der Umweltverschmutzung ungenügend sein k?nnte. Die Tatsache, dass Ersatz in Form von erneuerbaren Energien existiert, bedeutet nicht, dass die Leute zwingend Zugang zu ihnen haben. Ich pers?nlich lebe zum Beispiel im Kanton Zürich und pendle mit einem Zug zur Arbeit, der gr?sstenteils mit erneuerbarer Energie betrieben wird. In dem Land, aus dem ich hierher zog, gab es keinen direkten Zug, und obschon es teuer war, fuhr ich deshalb h?ufig mit dem Auto zur Arbeit. Eine neue Zugstrecke zu verlegen w?re indessen aus wirtschaftlichen und politischen Gründen schwierig, denn was vor dreissig Jahren offene Landschaft war, ist nun dicht besiedelt. In besagtem Land scheint es kein Entfliehen vor Kohlenstoffemissionen wie auch stetig steigenden Brennstoffpreisen zu geben, wodurch alle schlechter abschneiden.
In einer abstrakten Welt idealisierten menschlichen Verhaltens mag Nachhaltigkeit keinen Sinn ergeben. In unserer realen Welt tut sie es aber. Die Gesellschaft man?vriert sich in Sackgassen, nicht aus Dummheit, sondern weil der Bauplan der Welt unglaublich kompliziert ist und sich dauernd ?ndert. Wissenschaft und Technologie k?nnen uns helfen, manche Fallen zu vermeiden, und uns helfen, anderen wieder zu entkommen. Die L?sungen müssen in der Regel jedoch mehrgleisig sein, weshalb es für viele verschiedene Gebiete der Wissenschaft und der Technologie ? einschliesslich der menschlichen Verhaltens- und Institutionsforschung ? so wichtig ist, miteinander zu kommunizieren. Darum geht es in diesem neuen Blog der ETH Zürich.