Aufgeschoben statt aufgehoben

Die Kluft zwischen den Standpunkten ist nach wie vor gross: an der Klimakonferenz in Warschau, die letzten Samstagabend zu Ende ging, ist eine Einigung nur unwesentlich n?her gerückt. Worin bestehen die Gegens?tze? Und warum sind sie so schwer zu überwinden?

Weltkarte (Illustration: Ventrilock / Freedigitalphotos)
Die Welt am Verhandlungstisch (Illustration: Ventrilock / Freedigitalphotos)

Ich bin diesen Sommer von den Industriel?ndern als sogenannter Co-Facilitator des Structured Expert Dialog [1] für die UN-Klimakonferenz in Warschau gew?hlt worden. Meine Aufgabe war und ist es, neueste wissenschaftliche Erkenntnisse, wie sie etwa im fünften IPCC-Bericht dargestellt sind, in die Verhandlungen einzubringen. Dabei wird das 2010 beschlossene Schutzziel überprüft [2], n?mlich die globale mittlere Erw?rmung unter zwei Grad Celsius gegenüber vorindustriellem Klima zu halten. Mehrere L?nder, insbesondere die Inselstaaten, fordern, diese Erw?rmungsgrenze auf 1.5 Grad zu senken.

Mehrere IPCC-Autoren, darunter auch solche von der ETH, haben die Verhandelnden informiert und mit ihnen die neuesten wissenschaftlichen Ergebnisse diskutiert. An verl?sslichem Wissen mangelt es also nicht; und die neuesten Erkenntnisse sind auch in die beschlossenen Texte eingeflossen. Damit war auch allen Verhandlungsteilnehmern klar, dass nur sofortige und massive Emissionsreduktionen die Einhaltung des Schutzziels gew?hrleisten k?nnen. Worüber nach wie vor heftig gestritten wurde, ist die Frage, wer, was, wo und wie viel zum Klimaschutz beitragen soll oder kann.

Super-Taifun pr?gt Konferenz

Zu Beginn der Konferenz hatte der Leiter der philippinischen Delegation einen Hungerstreik angekündigt, den er erst beenden wollte, wenn die versprochenen 100 Millionen Dollar in den Fonds für die Anpassungen an den Klimawandel (UN-Anpassungsfonds) einbezahlt würden. Der Anlass war der aussergew?hnliche Taifun Haiyan, der Anfang November über die Philippinen fegte und mehr als fünftausend Todesopfer forderte. In der Tat, Sturmst?rke und Meerestemperaturen waren ungew?hnlich hoch, doch wir wissen, dass nur eine Erh?hung der H?ufigkeit extremer Ereignisse, nicht aber ein einzelnes Extremereignis auf den Klimawandel zurückgeführt werden kann. Zudem steht die genaue Analyse noch aus, ob und in welchem Ausmass der Klimawandel den Taifun Haiyan begünstigt hat. Das erfordert aufwendige Nachrechnungen mit Zirkulationsmodellen des Ereignisses mit und ohne menschlichem Einfluss auf das Klima.

Tiefer Graben zwischen Nord und Süd

Vergr?sserte Ansicht: Vorhang Eröffnung Cop19 in Warschau
Gespaltene Meinungen an den UN-Klimaverhandlungen Cop19 in Warschau (Bild: Mateusz W?odarczyk)

Obwohl sich vorl?ufig kein eindeutiger Zusammenhang zwischen Haiyan und Klimawandel herstellen l?sst, verdeutlichte der Vorfall die Standpunkte exemplarisch: die Entwicklungsl?nder sind überzeugt, dass solche Extremereignisse haupts?chlich durch uns Industriel?nder verursacht werden, und dass wir für den Klimaschutz zu wenig tun. Hier wird auch mit dem Argument der ?historischen Verantwortung? gefochten. In die gleiche Kerbe schl?gt das sogenannte ?Brazilian Proposal?, das den Anteil der einzelnen L?nder an der bisherigen Erw?rmung von 0.85 Grad absch?tzen will. Demgegenüber weisen die Industriel?nder auf das fehlende Wissen um den menschgemachten Klimawandel vor 1990 und auf die leeren und verschuldeten Staatskassen hin. Auch unterschiedliche ordnungspolitische Vorstellungen prallen aufeinander, zum Beispiel wenn es darum geht, welche Rolle der Privatsektor im Vergleich zur ?ffentlichen Hand spielen soll, insbesondere bei der 2010 versprochenen, j?hrlich ansteigenden Alimentierung des Green Climate Fund. An der damaligen Klimakonferenz in Cancun (Mexiko) wurde entschieden, dass bis 2020 j?hrlich 100 Milliarden Dollar vom Norden in den Süden fliessen sollen. Nun verlangen die Industriel?nder zu Recht, dass derartige Geldmengen nur bei überprüfbaren Leistungen zum Klimaschutz seitens der Empf?nger fliessen k?nnen.

Was wurde erreicht?

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Verhandler der Arbeitsgruppe ADP [3] bereinigen die letzte Differenz im Arbeitsplan für das neue Klimaregime im Hinblick auf dessen Verabschiedung 2015 in Paris (Bild: Andreas Fischlin / ETH Zürich)

Trotz gegenseitiger Schuld-
zuweisungen konnte man sich in mehreren Punkten einigen: Beispielsweise konnte das wichtige Regelwerk zur Eind?mmung von Rodungen in tropischen W?ldern im Wesentlichen abgeschlossen werden. Die ?berprüfung der freiwilligen Anstrengungen für den Klimaschutz in Entwicklungsl?ndern konnte geregelt werden. Mit Beteiligung der Schweiz mit 10 Millionen Dollar glückte auch die Alimentierung des Anpassungsfonds, womit der Delegationsleiter der Philippinen seinen Hungerstreik beenden kann. Zudem wurde vereinbart, den Green Climate Fund mit den erforderlichen Mitteln zu versehen. Schliesslich wurden die Warschauer Mechanismen beschlossen, welche bei Sch?den und Verlusten an Leib und Leben (Loss and Damage) zum Zuge kommen sollen.

Ausblick auf den Meilenstein 2015

An der Klimakonferenz in Paris Ende 2015 soll das neue Klimaabkommen verabschiedet werden. Bis dann ist noch viel zu leisten, sollen das gegenseitige Misstrauen abgebaut, der politische Wille gest?rkt und all die offenen Fragen bezüglich einer genügend fairen L?sung gekl?rt werden. In Anbetracht neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse [4][5] ist ein wirksamer Klimaschutz h?chst dringlich. Ich denke es gilt: ?Last Call? – die letzte Gelegenheit, das Schutzziel vielleicht doch noch einhalten zu k?nnen! Soll wie beschlossen die Erw?rmung wirklich unterhalb zwei Grad bleiben, so sind gr?sste Anstrengungen erforderlich, wie das auch im Beitragvon Prof. Reto Knutti dargelegt wird. 2015 w?re demnach ein griffiges Abkommen erforderlich. Nur so dürfte auch die n?tige Signalwirkung für die Zeit bis 2020 zustande kommen, damit tats?chlich alle L?nder und Sektoren auf einen wirtschaftlich und sozial vertr?glichen Klimaschutzpfad einschwenken.

Weiterführende Informationen

[1] Der ?externe SeiteStructured Expert Dialog? ist für den Input an bestem wissenschaftlichen Wissen zust?ndig und ist Teil des sog. Review 2013-2015 [2].

[2] Der ?externe Seite2013-2015 Review? überprüft die Angemessenheit des Schutzziels von z.B. maximaler globaler mittlerer Erw?rmung von 2°C gegenüber vorindustriellen Verh?ltnissen in Anbetracht des ?externe SeiteZweckartikels der Klimakonvention?.

[3] externe SeiteADP: Ad Hoc Working Group on the Durban Platform for Enhanced Action

[4] Kurzfilme:
? ?externe SeiteBeitrag der Arbeitsgruppe I zum fünften Sachstandsbericht des IPCC?
? ?externe SeiteIGBP Film zum Beitrag der Arbeitsgruppe I zum fünften Sachstandsbericht des IPCC?

[5] IPCC, 2013. Summary for policymakers. In: Stocker, T. F., Qin, D., Plattner, G.-K., Tignor, M., Allen, S. K., Boschung, J., Nauels, A., Xia, Y., Bex, V., & Midgley, P. M. (eds.). externe SeiteClimate change 2013: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Cambridge University Press: Cambridge, UK and New York, NY, USA. 33.

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