Bis ans Unerklärliche vordringen
Für seine Grundlagenforschung in Molekülspektroskopie erhielt Frédéric Merkt, Professor für Physikalische Chemie, eine Vielzahl von Preisen. Dabei begann seine Forscherkarriere mit Glück im Unglück.
Ein Moment der Unaufmerksamkeit stellte die Weichen im Leben von Frédéric Merkt, Professor für Physikalische Chemie. Als er sich für ein Medizinstudium einschreiben wollte, sass er just am einzigen Tag, da dies m?glich war, im Arrest beim Milit?r. ?Ich hatte Teile meiner Ausrüstung verloren und musste den Tag in der ?Kiste‘ sitzen, der für das Einschreiben vorgesehen war?, erinnert er sich, nach all den Jahren noch immer etwas peinlich berührt.
Seine Wunschuniversit?t in Neuenburg, wo er auch seine Matur abgelegt hatte, und andere Schweizer Universit?ten reagierten auf seine versp?tete Anmeldung wenig kulant. ?Nur die ETH machte eine Ausnahme und nahm mich noch auf?, sagt Merkt. Der 47-J?hrige in seinem mit Fachliteratur vollgestopften Büro l?chelt viel, so auch jetzt, wenn er an dieses kleine Missgeschick vor seinem Studium zurückdenkt.
Das Problem war, dass die ETH damals wie heute kein Medizinstudium anbietet. ?Ich überlegte, was der Medizin wohl am ?hnlichsten w?re, und entschied mich für Chemie.? Im Rückblick ist, was sich wie ein Unglück anh?rt, pures Glück. Denn der Chemie blieb er treu. Ebenso der ETH: sieben Jahre nach seinem abgeschlossenen Chemiestudium kehrte er als Assistenzprofessor zurück und hat seit 1999 eine Professur für Physikalische Chemie inne.
Spezielle Molekülzust?nde entschlüsseln
Als etwas medienscheu bezeichnet Merkt sich und seine Arbeitsgruppe. Seine Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Molekülspektroskopie mag auf den ersten Blick nicht auf das Interesse einer breiten ?ffentlichkeit stossen: Er und sein Team interessieren sich dafür, wie sich Moleküle in Isolation (zum Beispiel in der Gasphase) verhalten. Den Fokus seiner Forschung legt er insbesondere auf sogenannte Rydberg-Zust?nde: elektronisch hoch-angeregte Zust?nde von Atomen und Molekülen, die entstehen, wenn sich ein negativ geladenes Elektron sehr weit vom positiv geladenen Atom- oder Molekülrumpf entfernt befindet.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die sogenannte Photoionisation, ein Prozess, bei dem ein Photoelektron von einem Molekül abgespalten wird und letzteres als positiv geladenes Teilchen (Ion) zurückl?sst. Dieser Prozess findet zum Beispiel in der oberen Atmosph?re (der Ionosph?re) oder im Weltraum in molekularen Wolken statt. Die Eigenschaften von Molekülen, die solche Prozesse durchlaufen oder sich in speziellen Zust?nden befinden, messen Merkt und seine Mitarbeiter mittels hochaufl?sender Spektroskopie. Dabei wird die Wechselwirkung von Molekülen mit elektromagnetischer Strahlung untersucht. Aus den daraus entstehenden Linienspektren k?nnen die Chemiker wiederum Rückschlüsse auf die Eigenschaften der Moleküle ziehen.
Ausgezeichnete Forschung
Dass Merkt nie damit haderte, nicht Medizin studiert zu haben, merkt man daran, dass er in seinem Fach eine absolute Kapazit?t geworden ist. Von der ?ffentlichkeit unbemerkt, aber von der Forschungsgemeinschaft hoch gesch?tzt, erhielt Merkt mit seiner Grundlagenforschung eine Reihe von bedeutenden Auszeichnungen, angefangen mit dem nationalen Latsis-Preis des Schweizerischen Nationalfonds und dem Alfred-Werner-Preis der Schweizerischen Chemischen Gesellschaft 1999. Die folgenden Jahre brachten ihm ausserdem den Akademiepreis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften 2004, einen ERC Advanced Grant 2008, sowie 2010 den William F. Meggers Award der Optical Society of America und die Carus-Medaille der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina ein, um nur eine Auswahl zu nennen. In diesem Jahr erh?lt er zudem den Otto-Bayer-Preis der Bayer Science & Education Foundation (siehe Kasten).
Was bedeuten ihm die Preise? ?Ich freue mich natürlich über die Anerkennungen?, so Merkt. Allerdings gebe es viele brillante Forschende, die Grosses leisteten und Auszeichnungen verdienten. So k?nne er sich die H?ufung der Preise für seine Arbeit auch nicht ganz erkl?ren. Diese Bescheidenheit begründet sich vielleicht auch in seiner Leidenschaft für die Forschung : ?Ich bin immer glücklich, wenn ich ein Molekülspektrum sehe. Das Sch?ne ist, dass das fast t?glich geschieht.?
Dass Merkt nicht der Typ Wissenschaftler ist, der nichts anderes als seine Forschung im Kopf hat, zeigt sich in seiner zweiten Leidenschaft: der Musik. Als Klarinettist spielte er schon w?hrend des Studiums und auch sp?ter noch in Ensembles, inzwischen mehr mit seinen Kindern. Besonders die Klarinetten-Quintette von Mozart und Brahms h?tten es ihm angetan, sagt er.
Schwierigkeiten und Glücksmomente
Die sieben Jahre nach Abschluss seines Chemie-Studiums und vor seiner Rückkehr an die ETH lesen sich wie die Traumkarriere eines Wissenschaftlers: Cambridge, Paris, Oxford, Standford. ?Es liest sich vielleicht gut, aber es gab auch schwierige Zeiten?, gibt Merkt zu bedenken. Im ersten Jahr seiner Doktorarbeit in Cambridge habe gar nichts funktioniert.? Schwierigkeiten zu überwinden und zu merken, dass etwas pl?tzlich funktioniert, sind die Glücksmomente in der Forschung.? So ermutige er seine Studierenden, dass es trotz Durststrecken doch gut komme, wenn man wirklich will.
Es gibt noch viele Forschungsfragen, die er beantworten m?chte. So arbeiten er und sein Team derzeit daran, Moleküle so stark wie m?glich abzukühlen, um sie in (fast) Bewegungslosigkeit besser und l?nger beobachten zu k?nnen. Das grosse Ziel seiner Forschung? ?So weit zu forschen, bis man in den Bereich kommt, in dem man Ergebnisse nicht mehr erkl?ren kann?, sagt Merkt. Das Vordringen ins Unbekannte mache Wissenschaft aus.
Otto-Bayer-Preis
Der mit 75'000 Euro dotierte Preis der Bayer Stiftung für Wissenschaft & Bildung gilt als eine der angesehensten und begehrtesten Auszeichnungen für Chemiker und Biochemiker im deutschsprachigen Raum. Seit 1984 wird der Preis im Andenken an den 1982 verstorbenen Preisstifter und Erfinder der Polyurethan-Chemie Otto Bayer verliehen. Die Auszeichnung wird j?hrlich für wegweisende Forschungsbeitr?ge in innovativen Bereichen der Biochemie und Chemie vergeben. Der Otto-Bayer-Preis 2014 wird Frédéric Merkt für seine herausragenden wissenschaftlichen Arbeiten im Bereich der Molekülspektroskopie verliehen (siehe externe Seite Medienmitteilung der Bayer Stiftung für Wissenschaft & Bildung).