Perlen fischen im Datenmeer

Was machen 130 Vertreter aus Industrie, Forschung und Politik in einer kahlen Betonhalle im f¨¹nften Untergeschoss des LEE-Neubaus an der Z¨¹rcher Leonhardstrasse? Sie suchen die N?he zu Daten; zu unglaublichen Mengen von Daten. Denn hier werden nach Fertigstellung des Baus im Juni zahlreiche Rechnert¨¹rme Unmengen von Forschungsdaten speichern und verarbeiten. ?Big Data? nennt sich dies in Neudeutsch ¨C und um Chancen und Risiken bei der aktiven Nutzung von ausufernden Datenmeeren sollte es am zweist¨¹ndigen Lokaltermin gehen, zu dem ETH-Pr?sident Ralph Eichler und die ETH Z¨¹rich Foundation vergangenen Mittwoch geladen hatten.

Technologische Revolution

Dirk Helbing, ETH-Professor f¨¹r Soziologie, veranschaulichte die schiere Flut an Daten, die heute weltweit generiert wird, mit einigen eindr¨¹cklichen Zahlen: In einem Jahr werden heute mehr Daten produziert als in der gesamten bisherigen Menschheitsgeschichte. Die Prozessorleistung von Computern verdoppelt sich alle 18 Monate und in zehn bis 15 Jahren sind Computer mit der Leistungsf?higkeit des menschlichen Hirns verf¨¹gbar. ?Wir befinden uns in einer technologischen Revolution?, konstatierte Helbing. ?Und das wird auch den Arbeitsmarkt durcheinander wirbeln.?

F¨¹r Helbing birgt dieses Datenmeer, zusammengesetzt aus E-Mails, Tweets, Youtube-Videos, Gesch?ftsberichten, Sensordaten und Bildern, unglaubliche M?glichkeiten: Simulationen mit Daten aus Finanzm?rkten, der Realwirtschaft, von Epidemien, Konflikten und Umwelt-Ver?nderungen k?nnten in Echtzeit Informationen dar¨¹ber liefern, wie sich politische, ?konomische und ?kologische Entscheidungen auf unsere zuk¨¹nftige Welt auswirken. ?Big Data wird uns helfen, wesentlich besser informierte Entscheidungen zu treffen?, ist Helbing ¨¹berzeugt.

Big Data in der Medizin

?Big Data? ist schon heute praktisch nicht mehr aus der Wissenschaft wegzudenken. Alleine von den sechs Forschungsvorhaben, die bis Januar 2013 um EU-Flagship-Projekte und damit um eine Milliarde Euro F?rdergelder buhlten, versprachen drei neue Erkenntnisse aufgrund der Analyse riesiger Datenmengen. Egal ob Neurowissenschaften, Krebsforschung oder Soziologie: die meisten Disziplinen werden in Zukunft zumindest partiell auch zu ?Big Data?-Wissenschaften.

Ausgesprochen interessiert an Big Data ist derzeit die Medizin, wie Joachim M. Buhmann, ETH-Professor fu?r Informatik, in seinem Inputreferat ausf¨¹hrte. Mediziner sammeln f¨¹r Diagnosen und Prognosen unz?hlige Daten. Meist werden diese nach einer partiellen Auswertung archiviert, ohne weiter genutzt zu werden. Das soll sich ?ndern: Buhmann entwickelt Systeme, um Patientendaten und Diagnose-, Prognose- und Therapiedaten der Mediziner zu verbinden. Algorithmen k?nnten dann zum Beispiel in Bildern von Gewebeentnahmen berechnen, wo die wesentliche Information im Bild steckt und diese gleichzeitig mit tausenden von ?hnlichen Datens?tzen vergleichen. Oder die Algorithmen machen sich auf die Suche nach sogenannten Biomarkern, die Hinweise auf bestimmte Krankheiten geben, wie zum Beispiel Krebs. All dies mit dem Ziel, die Information solange zu verdichten, bis m?glichst wahrscheinliche Aussagen ¨¹ber den Verlauf einer Krankheit und die Erfolgsaussichten von Therapien m?glich sind. Buhmann sprach sich denn auch f¨¹r die Etablierung einer ?Health Data Science? aus, einer Wissenschaft mit Experten, die mit solchen Daten umzugehen wissen.

Technische H¨¹rden und Datenschutz

Martin Erkens, Vizedirektor und Global Head of Pharma Research & Early Development Informatics bei F. Hoffmann-La Roche, warnte jedoch vor allzu hohen Erwartungen: ?Die Realit?t hinkt derzeit noch hinter den Versprechungen her.? Seine Erfahrung in der Pharmabranche hat ihn gelehrt, dass noch sehr viele technische Probleme zu l?sen sind, um Patientendaten in ?Big Data?-Anwendungen sinnvoll nutzen zu k?nnen.

Zus?tzlich zu den technischen Problemen stellen sich aber auch Datenschutz-Fragen: Derzeit k?nne man die Datenauswertung noch im Unternehmen selbst leisten, so Erkens. Das k?nnte sich k¨¹nftig jedoch ?ndern, wenn dermassen ausufernde Datenmengen anfallen, dass das Unternehmen bei Auswertungen auf externe Hilfe angewiesen ist.

Donald Kossmann, ETH-Professor fu?r Informatik, skizzierte in seinem Inputreferat m?gliche L?sungen, um Risiken beim Umgang mit pers?nlichen Daten zu minimieren. Er stellte eine Technologie vor, mit welcher unterschiedliche Datens?tze in einer ?Cloud? verbunden und Dritten zug?nglich gemacht werden k?nnen, ohne dass daf¨¹r die Rohdaten aus der Hand gegeben werden.

Datenweitergabe aus Not heraus

Besonders in der Medizin ist der Pers?nlichkeitsschutz oberste Priorit?t. Doch wer von ausgefeilten Prognosen profitieren will, muss mit eigenen Patientendaten zum Datenpool beitragen. Brigitte Tag, Professorin am Lehrstuhl fu?r Strafrecht, Strafprozessrecht und Medizinrecht an der Universit?t Zu?rich, betonte, dass die Weitergabe von medizinischen Daten oft nicht freiwillig, sondern aus einer Notsituation heraus geschieht. F¨¹r eine schnelle Genesung ist dem Patienten oft jedes Mittel recht. F¨¹r sie gilt deshalb: ?Vertrauen ist gut, doch Kontrolle ist besser.? Der Umgang mit Patientendaten m¨¹sse einerseits gesetzlich klar geregelt werden, andererseits m¨¹ssten Nutzer Vertrauen schaffen, dass die Daten tats?chlich zum Wohle der Allgemeinheit eingesetzt werden. Dass die Gesetzgebung heute immer einen Schritt hinter der rasanten technologischen Entwicklung her hinke, liege in der Natur der Sache. Wo das Recht heute noch nicht greife, da komme die Ethik ins Spiel, erkl?rte Tag.

Dass auch diese nicht immer greift, zeigte unl?ngst ein Beispiel in England: Haus?rzte haben dort eine nationale Datenbank mit Patientendaten gef¨¹ttert, ohne die Patienten dar¨¹ber zu informieren. Das Projekt ?care.data? wurde gest?ppt, weil sich die ?ffentlichkeit emp?rte. ?Es muss klar geregelt sein, wer welche Daten hat und was damit gemacht werden darf?, forderte Tag. ?Und wir m¨¹ssen uns stets die Frage stellen: Was wollen die Menschen, von welchen wir unsere Daten erhalten.?

Eine M?glichkeit zur Sicherung der eigenen Datenhoheit skizzierte Soziologieprofessor Dirk Helbing: ?ber ein pers?nliches digitales Datenkonto k?nnte der Nutzer k¨¹nftig frei ¨¹ber seine Daten verf¨¹gen und sie bei Bedarf auch l?schen. Pers?nliche Daten k?nnten dann auch an eine Art App-Store verkauft werden, so die Vorstellung Helbings, wo sie nach Qualit?t bewertet werden und Unternehmern f¨¹r ihre Business-Ideen zur Verf¨¹gung stehen.

Drei neue ?Big Data?-Professuren

ETH-Pr?sident Ralph Eichler bekr?ftigte gegen Ende des Lokaltermins die Absicht, die ?Data Science? an der ETH weiter auszubauen. Daf¨¹r sollen in naher Zukunft drei neue Professuren geschaffen werden: Eine f¨¹r ?Medical IT? zusammen mit dem Universit?tsspital Z¨¹rich, eine f¨¹r ?Informationssysteme? und eine f¨¹r ?Social Network Analysis?. Das dadurch generierte Wissen zu ?Big Data? soll nicht zuletzt auch dem Wirtschaftsstandort Schweiz zugute kommen. Weiter k¨¹ndigte Eichler an, dass die ETH f¨¹r die Periode 2017 bis 2020 eine Botschaft ins Parlament bringen werde, die die Vereinheitlichung der Datenstruktur aller Schweizer Universit?tsspit?ler zum Ziel hat.