Der Bancomat schlägt zurück

Heisser Schaum könnte Kriminelle künftig in die Flucht schlagen, wenn sie einen Geldautomaten beschädigen. ETH-Forscher haben eine Folie entwickelt, die bei Zerstörung heftig reagiert. Vorbild war ein Käfer, der Angreifer mit einer Gasexplosion vertreibt.

Vergr?sserte Ansicht: Bombardierkäfer
Der Bombardierk?fer diente den ETH-Forschern als Vorbild. (Bild: jayvee18 – Fotolia)

Sein Kopf und der Halsschild sind meist rostrot, das Hinterteil blau oder grün gl?nzend: Der etwa ein Zentimeter lange Bombardierk?fer kommt in Mitteleuropa h?ufig vor und wirkt auf den ersten Blick harmlos, doch er besitzt das wohl aggressivste chemische Abwehrsystem in der Natur. Droht Gefahr, st?sst der Bombardierk?fer mit einem Knall einen ?tzenden Spray aus. Damit kann er Ameisen t?ten oder Fr?sche in die Flucht schlagen. Den Sprengstoff stellt der K?fer bei Bedarf selbst her. In einer Reaktionskammer am Hinterteil werden zwei getrennt lagernde Chemikalien vermischt und mit Hilfe von Enzymen zur Explosion gebracht.

?Wenn man sieht, wie elegant die Natur Probleme l?st, merkt man, dass die technische Welt oft festgefahren ist?, sagt Wendelin Jan Stark, Professor am ETH-Departement Chemie und Angewandte Biowissenschaften. Er und sein Team liessen sich deshalb vom Bombardierk?fer inspirieren und entwickelten einen chemischen Abwehrmechanismus, der Vandalismus verhindern soll – eine selbstverteidigende Oberfl?che, die aus verschiedenen Kunststoffschichten sandwichartig aufgebaut ist. Wird die Oberfl?che besch?digt, spritzt dem Angreifer ein heisser Schaum ins Gesicht. Damit k?nnte man vor Vandalismus abschrecken oder wertvolle Güter schützen. ??berall dort, wo etwas nicht angefasst werden sollte, w?re ein Einsatz denkbar?, sagt Stark. In Land- und Forstwirtschaft liesse sich beispielsweise verhindern, dass Tiere B?ume anknabbern.

Wie eine Sprengkapsel

Für ihre selbstverteidigende Oberfl?che verwenden die Forscher Kunststofffolien mit einem Wabenmuster. Sie füllen die Hohlr?ume mit einer der zwei Chemikalien Wasserstoffperoxid oder Mangandioxid und kleben die Folien aufeinander. Eine Schicht Klarlack trennt die unterschiedlich gefüllten Folien. Bei einem Stoss zerbricht die Trennschicht. Wasserstoffperoxid und Mangandioxid mischen sich. Es kommt zu einer heftigen Reaktion, bei der Wasserdampf, Sauerstoff und W?rme produziert wird. W?hrend beim Bombardierk?fer Enzyme als Katalysatoren wirken, erfüllt im Laborexperiment das Mangandioxid als kostengünstigere Variante diese Aufgabe.

Im Vergleich zum K?fer sei das Resultat der Reaktion in der Folie eher ein Schaum als ein Spray, schreiben die Forscher. Dies zeigen Filmaufnahmen in Zeitlupe. Auf Infrarotbildern ist zu sehen, dass der Schaum 80 Grad heiss wird. Wie in der Natur braucht es auch im Labor nur wenig mechanische Energie, um eine viel gr?ssere Menge chemischer Energie freizusetzen, ?hnlich wie bei einer Sprengkapsel oder einem elektrisch gezündeten Verbrennungszyklus in einem Motor.

Folie
Die Bildfolge des Zerst?rungstests im Labor zeigt, wie der Schaum aus der selbstverteidigenden Folie austritt. Auf den Infrarotaufnahmen l?sst sich der Temperaturanstieg auf 80 Grad verfolgen. (Bild: ETH Zürich)

Attacken auf Bancomaten nehmen zu

Für den Schutz von Bancomaten oder Geldtransporten k?nnte sich die neu entwickelte Folie besonders gut eignen, schreiben die Forscher in ihrem Paper, das im ?Journal of Materials Chemistry A? erschienen ist. In den Geldautomaten lagern die Banknoten in Kassetten, die regelm?ssig ausgetauscht werden. Die Zahl der Bancomat-Attacken stieg in den letzten Jahren, wie das ?European ATM Security Team? in Edinburg berichtet. Im ersten Halbjahr 2013 wurden in Europa über 1000 Angriffe auf Geldautomaten gemeldet, wobei ein Verlust von 10 Millionen Euro entstand.

Zwar gibt es bereits Schutzvorrichtungen, mit denen Geldr?uber und Scheine besprüht werden k?nnen. Doch dies seien mechanische Systeme, erkl?rt Stark. ?Ein Mot?rchen wird in Gang gesetzt, wenn es von einem Sensor einen Impuls erh?lt. Das braucht Strom, ist st?ranf?llig und teuer.? Ziel seiner Forschungsgruppe sei, komplizierte Regeltechnik durch geschickte Materialien zu ersetzen.

Wertlose Geldscheine

Banknote
Vor- und Rückseite eines 5-Euro-Scheins, der durch die selbstverteidigende Oberfl?che blau eingef?rbt wurde. (Bild: ETH Zürich)

Genau diese Aufgabe soll die selbstverteidigende Oberfl?che erfüllen. Für den Schutz von Geldkassetten pr?parieren die Forscher die Folie mit dem Mangandioxid zus?tzlich. Sie fügen einen Farbstoff und in Nanopartikel gehüllte DNA hinzu. Wird die Folie zerst?rt, tritt mit dem Schaum auch der Farbstoff aus und entwertet das Geld. Durch die ebenfalls freigesetzten DNA-Nanopartikel sind die Scheine zudem markiert, so dass ihr Weg zurückverfolgt werden kann. Laborexperimente mit 5-Euro-Banknoten zeigten, dass das Verfahren funktioniert. Und auch die Kosten seien vernünftig, schreiben die Forscher. Sie rechnen mit einem Preis von gut 40 Dollar pro Quadratmeter Folie.

Schon früher entwickelten die ETH-Forscher in einem ?hnlichen Projekt eine mehrschichtige Schutzhülle für Saatgut, das normalerweise aufw?ndig chemisch behandelt wird. Die Forscher kopierten den Schutzmechanismus von Pfirsichen und anderen Früchten, die giftige Blaus?ure freisetzen, damit ihre Kerne nicht gefressen werden. Weizensamen werden mit Substanzen umhüllt, bei deren Reaktion ebenfalls Blaus?ure entsteht. Allerdings sind die Ausgangsstoffe in verschiedenen Schichten voneinander getrennt und reagieren erst, wenn ein Pflanzenfresser in den Samen beisst. ?Die Natur imitieren und einfache Ideen mit High-Tech-Methoden umsetzen?, so charakterisiert Stark die erfolgreiche Forschungsmethode.

Literaturhinweise

Halter JG, Cohrs NH, Hild N, Paunescu D, Grass RN,  Stark WJ: Self-defending anti-vandalism surfaces based on mechanically triggered mixing of reactants in polymer foils. J. Mater. Chem. A, Online-Publikation 7. M?rz 2014, DOI:externe Seite10.1039/C3TA15326F

Halter JG, Chen WD, Hild N, Mora CA, Stoessel PR, Koehler FM, Grass RN, Stark WJ: Induced cyanogenesis from hydroxynitrile lyase and mandelonitrile on wheat with polylactic acid multilayer-coatings produces self-defending seeds, J. Mat. Chem. A, 2014, 2: 853-858, DOI: externe Seite10.1039/C3TA14249C.

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