Der Bauch redet mit
Das dumpfe Gefühl in der Magengegend angesichts einer bedrohlichen Situation ist eine Volksweisheit. Forschende der ETH Zürich konnten erstmals bei Ratten nachweisen, dass das «Bauchgefühl» massgeblich das Angstverhalten beeinflusst.
Ein unbeleuchtetes, einsames Parkhaus bei Nacht, Schritte in der Dunkelheit. Das Herz schl?gt schneller, der Magen zieht sich zusammen. Bedrohliche Situationen spüren wir oft im Bauch. Diesem sprichw?rtlichen Bauchgefühl wollen Forschende zunehmend auf den Grund gehen, nachdem lange das Gehirn als Zentrum aller Emotionen galt.
Nicht nur das Gehirn kontrolliert Vorg?nge in der Bauchh?hle, sondern der Bauch sendet auch Signale zurück ans Gehirn. Im Zentrum des Zwiegespr?chs zwischen Gehirn und Bauchraum steht der Vagusnerv, der Signale in beiden Richtungen, vom Gehirn an die inneren Organe (über sogenannte efferente Nervenstr?nge) und umgekehrt vom Bauch ans Gehirn (über afferente Str?nge), übermittelt. Indem sie die afferenten Nervenstr?nge bei Ratten kappten, machten Urs Meyer, Wissenschaftler in der Gruppe von ETH-Professor Wolfang Langhans, und seine Kollegen die Zweiwegkommunikation zur Einbahnstrasse, um der Rolle des Bauchgefühls auf den Grund zu gehen. Das Gehirn konnte bei den Versuchstieren weiter Prozesse im Bauchraum steuern, erhielt aber keine Nachrichten mehr von dort.
Furchtloser ohne Bauchgefühl
In Verhaltensstudien stellten die Forschenden fest, dass die Ratten weniger Scheu vor offenen Fl?chen und hellem Licht zeigten als Kontrolltiere mit intaktem Vagusnerv. ?Das angeborene Angstverhalten scheint deutlich durch Signale vom Bauch ans Gehirn beeinflusst zu werden?, sagt Meyer.
G?nzlich furchtlos machte der Verlust des Bauchgefühls die Ratten aber nicht: Denn die Situation bei erlerntem Angstverhalten sah anders aus. In einem Konditionierungsexperiment lernten die Ratten, einen neutralen akustischen Reiz – einen Ton – mit einer unangenehmen Erfahrung zu verbinden. Dabei schien der Bauch-Gehirn-Signalweg keine Rolle zu spielen, und die Versuchstiere lernten ebenso wie die Kontrolltiere, den Ton mit negativen Folgen zu assoziieren. Stellten die Forschenden jedoch von einem negativen auf einen neutralen Reiz um, brauchten die Ratten ohne ?Bauchgefühl? deutlich l?nger, den Ton mit der neuen, nun neutralen Situation zu assoziieren. Das passe auch zu den Ergebnissen einer von anderen Forschern kürzlich ver?ffentlichten Studie, wonach die Stimulation des Vagusnervs das Umlernen f?rdere, sagt Meyer.
Diese Erkenntnisse sind auch für die Psychiatrie von Interesse. Beim Post-Traumatischen Stresssyndrom (PTSD) werden ebenfalls neutrale Reize mit durch Extremerfahrungen ausgel?ster Angst verknüpft. Die Stimulation des Vagusnervs k?nnte Patienten mit PTSD dabei helfen, die ausl?senden Reize wieder mit etwas Neutralem zu assoziieren. ?rzte wenden die Vagusnervstimulation bereits bei Epilepsie und in Einzelf?llen bei Depressionen an.
Bauch beeinflusst Signalstoffe im Gehirn
?Weniger angeborene Scheu, aber l?ngeres Festhalten an erlernter Angst – das klingt vielleicht widersprüchlich?, r?umt Meyer ein. Angeborene und erlernte Angst seien aber zwei unterschiedliche Verhaltensdom?nen, bei denen verschiedene Signalsysteme im Gehirn angesprochen werden. So fanden die Forschenden bei genauerer Untersuchung der Rattengehirne auch, dass der Verlust der Signale vom Bauchraum die Produktion von bestimmten Signalstoffen im Gehirn, sogenannten Neurotransmittern, ver?nderte.
?Wir konnten zum ersten Mal zeigen, dass das gezielte Unterbrechen des Signalwegs vom Bauch ins Gehirn komplexe Verhaltensmuster ver?ndert. Bisher wurden diese Verhaltensmuster immer allein dem Gehirn zugeschrieben?, sagt Meyer. In ihrer Studie zeige sich nun klar, dass der Bauch beim Angstverhalten ebenfalls mitrede. Was der Bauch sage, also was genau signalisiert werde, sei allerdings noch nicht klar. Die Forschenden hoffen jedoch, in zukünftigen Studien die Rolle des Vagusnervs und der Zwiesprache zwischen Gehirn und K?rper weiter aufzukl?ren.
Literaturhinweis:
Klarer M, Arnold M, Günther L, Winter C, Langhans W, Meyer U: Gut Vagal Afferents Differentially Modulate Innate Anxiety and Learned Fear. The Journal of Neuroscience, May 21, 2014. DOI: externe Seite 10.1523/JNEUROSCI.0252-14.2014