Grenzenloses Wirtschaftswachstum ade – was folgt?

Politik, Wirtschaft und Medien fordern und f?rdern es unabl?ssig: Das Wachstum! Es gilt als Lebenselixier unserer Gesellschaft. Doch das westliche Wachstumsmodell l?sst sich ?kologisch nicht durchhalten und es verursacht inzwischen mehr gesellschaftliche Probleme, als es l?st. Weswegen wir uns auf eine Postwachstums?ra einstellen sollten.

Geringes, ausbleibendes oder gar negatives Wirtschaftswachstum bestimmt aktuell die Schlagzeilen und Politikersorgen. Wer meint nicht, es müsse alles getan werden, damit unsere ?konomien wieder – und mehr – wachsen? Dazu überschwemmen die Notenbanken die Finanzm?rkte mit Geld, riskieren sehenden Auges neue Finanzblasen und scheitern gleichwohl an der vielerorts begrenzten Kreditnachfrage durch Unternehmen und Private (was angesichts deren hohen Verschuldung nicht erstaunt). Regierungen wollen sich vom engen Korsett der Ausgabendisziplin befreien und eine expansive Fiskalpolitik betreiben, also mit ?ffentlichem Geld Wachstum ankurbeln – und damit die ?ffentliche Verschuldung weiter erh?hen.

Das Wachstum st?sst an seine Grenzen

Bei genauerem Hinsehen irritiert diese Fixierung auf Wachstum. Denn fast jedes westliche Land, inkl. OECD, r?umt inzwischen ein, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP), jene Masseinheit also, deren Zuwachs Wirtschaftswachstum bedeutet, keinen Aufschluss über das Wohlbefinden der Bev?lkerung gibt [1]. Mehr noch: Vieles deutet darauf hin, dass sich in reichen L?ndern Wirtschaftswachstum negativ auf das Wohlbefinden auswirkt. Auch h?ufen sich inzwischen Studien, die nachweisen, dass in den letzten Wachstumsjahrzehnten die sozialen Unterschiede deutlich zugenommen haben [2]. Diesen Trend würde eine anziehende Wirtschaft nicht umkehren, hat man doch bislang keine neue Verteilungspolitik eingel?utet – oft gerade auch, um das Wachstum nicht zu gef?hrden. Weiter: In den letzten Jahrzehnten ist in den meisten L?ndern die Arbeitslosigkeit kontinuierlich gestiegen. Dies unter anderem, weil Wachstum aufgrund technischen Fortschritts Arbeit freisetzt – vielmals mehr, als es neue Arbeit kreiert [3]. Schliesslich: Wachstum und Umweltverbrauch sind eng gekoppelt, der Umweltverbrauch nimmt mit Wachstum proportional zu [4]. Klima- und Ressourcenschutz ist bei Wachstum eine Illusion, grünes Wachstum ist eine Leerformel.

All dies zeigt deutlich, dass Wachstum keine fundamentalen Probleme der Gesellschaft (mehr) l?st, sondern vielmehr Probleme versch?rft. Und trotzdem: Wachstum wird lautstark und von gewichtigen Stellen gefordert. Weshalb?

Warum wir Wachstum scheinbar ?brauchen?

Der Grund liegt darin, dass zentrale Bereiche unserer Gesellschaft existentiell wachstumsabh?ngig sind: Unser Renten-und Gesundheitssystem, viele Unternehmen, insbesondere die grossen, der Banken- und Finanzsektor, die Konsumindustrie und die ?ffentlichen Finanzen. Diese Bereiche in ihrer heutigen Form sind in einer Zeit entstanden, als man von dauerhaftem Wachstum ausging [5]. Entsprechend sind sie systembedingt auf Wachstum angewiesen, um zu funktionieren. Doch es zeigt sich, dass die westlichen Industriestaaten die ?Traum?-Wachstumsquoten früherer Jahrzehnte – vergleichbar mit denjenigen aufstrebender Schwellenl?nder – nicht mehr erreichen. Wenn nun die genannten Gesellschaftsbereiche wegen unzureichendem gesamtwirtschaftlichem Wachstum – sei es strukturell oder krisenbedingt – in existentielle Not geraten, wird die Politik alles machen, um dies zu verhindern – und sie wird das fordern, was sie kennt, n?mlich Wachstum.

Postwachstumsgesellschaft als Aufgabe

Eine Abkehr von der Wachstumsfixierung setzt ein ?ffentliches Bewusstsein für das Problem voraus, vor allem aber L?sungen, wie man die Wachstumsabh?ngigkeit in den einzelnen Bereichen beenden kann. Doch gerade zu Letzterem wissen wir noch wenig. Solange aber weder die Politik noch unsere Gesellschaft wissen, wie die wachstumsabh?ngigen Bereiche umstrukturiert und auf einen wachstumsneutralen Weg gebracht werden k?nnen, wird keine Abkehr vom Wachstumsparadigma stattfinden. Denn die Politik l?sst sich nicht auf Experimente mit ungewissem Ausgang ein, sondern h?lt lieber am Bekannten fest.

Die Herausforderung, die sich daraus ergibt: Politik und vor allem die Zivilgesellschaft müssen Konzepte für die Transformation der wachstumsabh?ngigen Bereiche entwickeln und Erfahrungen mit deren Umsetzung sammeln. Dabei müssen wir das Rad nicht neu erfinden. In vielen Bereichen gibt es bereits lange Reformdebatten sowie gelebte Ans?tze und Experimente in Nischen. Was es bedarf sind viel Kreativit?t, Innovationsgeist, Gestaltungskraft und Bereitschaft, neue Wege zu gehen.

Aufgabe ist es nun, den unvermeidlichen ?bergang in eine Postwachstumsgesellschaft zu gestalten. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass die zentralen gesellschaftlichen Bereiche wachstumsunabh?ngig sind, dass es weder ein Wachstumsgebot noch ein Wachstumsverbot gibt und die Ressourcen- und Umweltnutzung ein nachhaltiges Niveau hat.

Weiterführende Informationen

[1] Stiglitz, J., Sen A., Fitoussi, J. P. (2009) Report of the commission on the measurement of economic performance et social progress, Paris. (externe Seitewww.stiglitz-sen-fitoussi.fr/documents/rapport_anglais.pdf)

[2] OECD (2011). Divided We Stand. Why inequality keeps rising. Paris, OECD.

[3] Reuter, N. (2010). Der Arbeitsmarkt im Spannungsfeld von Wachstum, ?kologie und Verteilung. Postwachstumsgesellschaft. Konzepte für die Zukunft. I. Seidl und A. Zahrnt. Marburg, Metropolis-Verlag: 85-102.

[4] Wiedmann, T.O., Schandl, H., Lenzen, M., Moran, D., Suh, S., West, J., Kanemoto, K. (2013): The material footprint of nations. PNAS. www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1220362110

[5] Seidl, I. und A. Zahrnt, Eds. (2010). Postwachstumsgesellschaft. Konzepte für die Zukunft. Marburg, Metropolis-Verlag.

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