Sensitiver Säuresensor steuert Insulinproduktion

ETH-Forscher des Departements Biosysteme in Basel (D-BSSE) entwickelten eine implantierbare Prothese, welche die S?urebildung im K?rper bei Diabetes pr?zise überwacht und bei drohender Azidose Insulin produziert.

Vergr?sserte Ansicht: saeuresensor
Ein Implantat mit Bluts?uresensor und insulinproduzierenden Zellen bringt ein aus der Balance geratener Zuckerspiegel wieder ins Lot. (Grafik: ETH Zürich)

Viele Stoffwechselfunktionen im Menschen laufen nur einwandfrei, wenn der S?uregrad im K?rper neutral und stabil bleibt. Für Menschen ist zum Beispiel ein Blut-pH-Wert zwischen 7,35 und 7,45 normal. Zum Vergleich: im nüchternen Magen ist es extrem sauer, der pH-Wert liegt bei 1,5.

Der enge pH-Bereich wird im K?rper konstant überwacht und bei Abweichungen von den Soll-pH-Werten sehr rasch ausgeglichen. Denn werden w?ssrige L?sungen im K?rper nur schon geringfügig saurer, k?nnen viele Proteine ihre Funktionen nicht mehr wahrnehmen. Sie werden instabil, ver?ndern ihre Struktur oder die Wechselwirkungen zu anderen Proteinen. Dadurch versagen ganze Stoffwechselwege ihren Dienst.

Von ?bers?uerungen besonders betroffen sind Personen, die an Diabetes-Typ-1 leiden. Ihnen fehlt Insulin, das Hormon, das den Blutzuckerspiegel reguliert, komplett. K?rperzellen k?nnen darum keine Glukose aus dem Blut aufnehmen und müssen eine andere Energiequelle anzapfen: die Fettreserven. Dabei entsteht in der Leber die S?ure Beta-Hydroxybutyrat, welche über den Blutkreislauf Muskeln und Gehirn mit Energie versorgt. Bei anhaltendem Verbrauch der Fettreserven entsteht jedoch so viel S?ure, dass der pH-Wert des Blutes drastisch sinkt. Derweil zirkulieren die Zuckermoleküle ungenutzt im Blut. Wird der Insulinmangel nicht rechtzeitig bemerkt oder behandelt, k?nnen Diabetes-Typ-1-Patienten an einer sogenannten Ketoazidose – einem ?berschuss an Beta-Hydroxybutyrat und dem daraus resultierenden Stoffwechselschock – sterben.

Sensor misst S?uregrad

Nun haben ETH-Bioingenieure des Departements Biosysteme (D-BSSE) in Basel eine neuartige molekulare Prothese entwickelt, die aus zwei Modulen besteht: einem Sensor, welcher konstant den S?uregrad des Blutes misst, und einem Genregelkreis, der die ben?tigte Menge an Insulin produziert. Die beiden Module sind aus biologischen Komponenten wie verschiedenen Genen und Proteinen konstruiert und wurden in kultivierte Nierenzellen eingebaut. Millionen dieser massgeschneiderten Zellen betteten die Forscher in Kapseln ein, welche als Implantat in den K?rper eingesetzt werden k?nnen.

Das Herzstück der molekularen Prothese ist der pH-Sensor. Dieser misst den S?uregrad des Blutes pr?zise und reagiert sensibel auf geringe Abweichungen vom Soll-pH-Wert. Sinkt der pH-Wert unter 7,35, sendet der Sensor ein Signal aus, um die Produktion von Insulin anzustossen. Ein derart tiefer pH-Wert ist spezifisch für Typ-1-Diabetes. Zwar sinkt der pH-Wert auch bei Alkoholmissbrauch oder sportlichen Aktivit?ten aufgrund der ?bers?uerung der Muskeln, doch unter 7,35 f?llt der Wert bei diesen Azidosen nicht. Das Hormon Insulin sorgt dafür, dass die normalen K?rperzellen Glukose wieder aufnehmen und ihren Stoffwechsel von Fett- auf Zuckernutzung umstellen. Der pH-Wert steigt dadurch wieder an. Ist der Soll-pH-Wert erreicht, schaltet sich der Sensor aus und die umprogrammierten Zellen stellen die Insulinproduktion ein.

Insulin-Pegel wieder normal

Bis anhin testeten die Forscher ihre Erfindung erst an M?usen, die an Diabetes-Typ-1 und den damit verbundenen Azidosen leiden. Die Resultate lassen aufhorchen: M?use, denen die Kapseln implantiert wurden, produzierten den jeweiligen S?uremessungen entsprechende Mengen an Insulin. Der Hormonpegel im Blut war mit demjenigen von gesunden M?usen, deren Insulinpegel auf natürliche Art reguliert wurde, vergleichbar. Das Implantat glich auch gr?ssere Ausschl?ge des Blutzuckerspiegels wirkungsvoll aus.

?Auf diesem Prototypen basierende Anwendungen für Menschen sind denkbar, aber noch nicht entwickelt?, sagt Martin Fussenegger, Professor für Biotechnologie und Bioingenieurwissenschaften. ?Wir wollten vorerst einen Prototypen schaffen, um zu sehen, ob solche Feinabstimmungen von metabolischen Prozessen durch molekulare Prothesen überhaupt m?glich sind?. Ein entsprechendes Produkt zur Marktreife zu bringen, würde aber die personellen und finanziellen Ressourcen seines Instituts bei weitem übersteigen. Dies müsse in Zusammenarbeit mit einem Industriepartner weitergeführt werden.

Reiche Erfahrung bei metabolischen Krankheiten

Forscherinnen und Forscher um Martin Fussenegger ist es in der Vergangenheit schon mehrmals gelungen, mit solchen synthetischen Netzwerken Schlagzeilen zu machen. So entwickelten sie ein Implantat, dessen Gene mit Blaulicht angeschaltet werden k?nnen und in der Folge GLP-1 produzieren, welches die Bildung von Insulin regelt. Auch haben sie ein Netzwerk zusammengesetzt, welches das metabolische Syndrom beseitigt. Starten l?sst sich dieses über einen zugelassenen Blutdrucksenker. Allen diesen Netzwerken ist gemeinsam, dass sie auf ein Signal hin reagieren und eine hormonaktive Substanz produzieren. Das Spezielle am neuen Regelkreis ist, dass das Signal im K?rper selbst entsteht und dieses von einem Sensor wahrgenommen wird, welcher eine fein abgestimmte therapeutische Gegenreaktion ausl?st.

An der vorliegenden Arbeit waren drei Gruppen des D-BSSE beteiligt. Fusseneggers Gruppe entwickelte das genetische Netzwerk, Andreas Hierlemann, Professor für Biosystems Engineering, und seine Mitarbeiter testeten den S?uresensor mithilfe von mikrofluidischen Plattformen und J?rg Stelling, Professor für computergestützte Systembiologie, modellierte es, um die Dynamik der Insulinbildung absch?tzen zu k?nnen.

Literaturhinweis

Ausl?nder D, Ausl?nder S, Charpin-El Hamri G, Sedlmayer F, Müller M, Frey O, Hierlemann A, Stelling J, Fussenegger M. A synthetic Multifunctional Mammalian pH Sensor and CO2 Transgene-Control Device. Molecular Cell, Online-Publikation vom 10. Juli 2014, doi: externe Seite10.1016/j.molcel.2014.06.007

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