Mit Robotern der menschlichen Evolution auf der Spur

Mithilfe von Robotern k?nnen Arch?ologen ihre Funde vielleicht schon bald mit Daten von Tausenden von Referenzproben vergleichen, um dadurch die Verwendung von Werkzeugen aus der Steinzeit zu bestimmen. ETH-Wissenschaftler entwickelten ein entsprechendes Robotersystem und pr?sentierten es nun an der Industriemesse in Hannover.

Vergr?sserte Ansicht: Kuka-Roboter
Der Kuka-Leichtbauroboter mit einer montierten Steinwerkzeug-Replik in den Laboren der ETH Zürich. (Bild: Fabio Bergamin / ETH Zürich)

Radu Iovita ist Arch?ologe. Er erinnert sich noch gut an seine Studienzeit, als er für ein Taschengeld stundenlang mit Repliken von Werkzeugen, die man auf arch?ologischen Ausgrabungsst?tten gefunden hatte, auf Tierfellen schabte. Durch die Analyse der Gebrauchsspuren unter dem Mikroskop wollten die Arch?ologen darauf schliessen, wie die Werkzeuge vor Tausenden von Jahren eingesetzt wurden. Diese Methode, unter der Bezeichnung ?Gebrauchsspuren-Analyse? bekannt, ist heute in der modernen experimentellen Arch?ologie Standard.

?Die manuelle Gebrauchsspuren-Analyse ist allerdings unglaublich zeitaufwendig, und vor allem k?nnen wir Faktoren, wie die Kraft mit welcher ein Werkzeug genutzt wird, oder die Position nicht kontrollieren?, erkl?rt Iovita. Er suchte in den vergangenen Jahren immer wieder nach M?glichkeiten für kontrollierte Experimente. Ein erster Erfolg war ein System, das es erm?glichte, mit Luftkanonen die aufprallabh?ngige Abnutzung von steinzeitlichen Speerspitzen kontrolliert zu testen.

Arch?ologe und Robotiker spannen zusammen

Doch der Arch?ologe war auf der Suche nach M?glichkeiten, um s?mtliche Werkzeuge und deren Anwendungsformen systematisch zu untersuchen – und dies m?glichst automatisiert. Iovita, heute wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungszentrum Monrepos (RGZM-Leibniz Forschungsinstitut für Arch?ologie) in Neuwied, Deutschland, erinnerte sich an Jonas Buchli, Professor am Institut für Robotik und Intelligente Systeme der ETH Zürich. Die beiden hatten sich vor zehn Jahren w?hrend einer Summer School über komplexe Systeme kennengelernt. Der ETH-Professor war von Beginn weg begeistert von Iovitas Idee, arch?ologische Untersuchungen durch den Einsatz von Robotern zu automatisieren und die Messungen zu standardisieren.

Buchlis damaliger Masterstudent Johannes Pfleging bestückte Repliken von Steinwerkzeugen mit Sensoren. Und wie einst Iovita w?hrend seiner Studienzeit schabte Pfleging damit auf Tierh?uten, nur dass er dabei die Bewegungen und den Krafteinsatz vom Computer aufzeichnen liess. So erbrachte er den Beweis, dass mit den Sensoren wichtige Daten für die sp?tere Reproduzierbarkeit und den Vergleich von Experimenten gesammelt werden k?nnen. Aufwendig blieb die Gebrauchsspuren-Analyse aber trotzdem.

Eine glückliche Fügung wollte es, dass just in diesem Moment die Firma Kuka einen Innovationsaward ausschrieb, und Leichtbau-Roboter mit Kraftsteuerung für innovative Forschungsprojekte zur Verfügung stellte. Diese Roboter zeichnen sich dadurch aus, dass sie sehr leicht sind im Vergleich zu ihrem Lastgewicht und dass sie die eingesetzten Kr?fte innert Millisekunden dem erfahrenen Widerstand anpassen k?nnen.

Mit Roboterarm zur vollautomatisierten Analyse

Seit vergangenen Dezember steht ein solcher Kuka-Roboter in Buchlis Labor. Pfleging, mittlerweile Doktorand, hat den grauen Roboterarm mit sieben Freiheitsgraden auf einem Holztisch festgeschraubt. An der Armspitze steckt eine Plastikhalterung mit einem Holzstück, in das er eine Replik eines Steinwerkzeugs eingeleimt hat. Sobald Pfleging ein selbstgeschriebenes Computerprogramm startet, beginnt der Arm selbstst?ndig mit dem Stein auf einem Stück Leder zu schaben, das auf dem Tisch befestigt wurde. Nach einigen Durchg?ngen biegt er sich und führt das Stück unter ein Mikroskop, das neben ihm auf dem Tisch steht. Auf Pflegings Computer erscheint nun das 80-fach vergr?sserte Bild des Steins, auf welchem feine Abriebspuren zu entdecken sind.

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?Wir k?nnen mit einem solchen System nicht nur die mühsame Anfertigung von Gebrauchsspuren automatisieren, sondern auch die Analyse der bearbeiteten Replik?, erkl?rt Buchli. Mehrere Roboter k?nnten einst 24 Stunden am Tag mit Werkzeug-Repliken auf Leder, Stein oder Holz schaben und das Werkzeug beispielsweise nach jeder 50. Stossbewegung unter das Mikroskop führen, um Bilder der Oberfl?che zu schiessen. Dadurch liesse sich in Kombination mit den Daten zu Bewegung und Kraftausübung des Roboterarms sp?ter exakt rekonstruieren, wie bestimmte Abriebe zustande gekommen sind. ?Mit solchen Analysedaten k?nnten wir künftig riesige Datenbanken anlegen, die s?mtliche Charakteristiken von arch?ologisch relevanten Informationen zu Materialien und deren Abnutzungserscheinungen enthalten?, erkl?rt Buchli.

Vertiefter Einblick in frühzeitliche Kulturen

Solche erweiterten Vergleichsm?glichkeiten haben das Potential, die Wissensproduktion in der Arch?ologie und der Pal?oanthropologie zu beschleunigen. Bei einem interessanten Werkzeugfund k?nnten die Forscher ein Mikroskopiebild mit Tausenden von Datens?tzen aus Abnutzungsexperimenten auf der ganzen Welt vergleichen und darüber auf die einstige Verwendung des Werkzeugs schliessen.

?Wir haben uns in der Arch?ologie bisher vor allem mit der Morphologie von Gegenst?nden besch?ftigt?, erz?hlt Iovita. ?Aber erst wenn wir die Verwendung von Werkzeugen kennen, k?nnen wir auch auf die damit verbundene Kulturform schliessen.? Zudem geht man heute davon aus, dass sich aus dem Werkzeuggebrauch und den dafür notwendigen kognitiven F?higkeiten die frühzeitliche evolution?re Entwicklung des Menschen erschliesst. Insbesondere in der Zeit zwischen 3 Millionen und 50`000 Jahren vor heute tappen die Wissenschaftler noch weitgehend im Dunkeln, was die Verwendung der damaligen Werkzeuge betrifft.

Paradigmenwechel im Gang

Derzeit erf?hrt Iovita noch relativ viel Gegenwind aus der eigenen Zunft. Die einen schw?ren darauf, dass manuell ausgeführte Experimente n?her bei den einstigen Realit?ten liegen, andere finden, dass die Gebrauchsspuren-Analyse die arch?ologische Theoriebildung generell nicht weiterbringt. Für Iovita hat dies vor allem damit zu tun, dass die meisten Arch?ologen einen geisteswissenschaftlichen Hintergrund haben und die Welt der Ingenieure nicht kennen. ?Derzeit findet jedoch ein Generationen- und Paradigmenwechsel statt?, ist er überzeugt. ?Das Interesse an automatisierter Analytik w?chst, und immer mehr Arch?ologen haben Zugang zu entsprechender Technologie.?

Iovita stellt aktuell einen Antrag für die Errichtung eines Spurenlabors im Forschungszentrum in Neuwied, wo in zwei bis drei Jahren erste Gebrauchsspuren-Analysen mit Robotern durchgeführt werden sollen. Buchli und Pfleging haben ihr Robotersystem soeben im Rahmen des Kuka Innovation Award an der Industriemesse in Hannover vor Experten pr?sentiert. Als n?chstes werden sie in ihrem Labor einen Prototypen eines Roboters entwickeln, der besser für den arch?ologischen Einsatz geeignet und gleichzeitig günstiger ist als g?ngige Leichtbau-Roboter mit Kraftsteuerung. ?In zehn Jahren sollten robotergesteuerte Analysen in der Arch?ologie Standard sein?, so Buchlis Vision. ?Zum ersten Mal w?ren die Forschungsergebnisse dann wirklich vergleichbar, weil die Methodik dahinter standardisiert und die Ger?te dafür kalibriert sind.?

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