Renaissance des Röntgenlichts

ETH-Professor Marco Stampanoni war massgeblich an der Weiterentwicklung von Mikroskopen mit Röntgenblick beteiligt. Selbst dreidimensionale und extrem hochaufgelöste Filmaufnahmen sind heute möglich.

Ihre Filmaufnahmen erregten weltweites Aufsehen. Sie zeigen mikroskopisch vergr?ssert und detailreich im Brustkorb einer Fliege verborgene Kraftmuskeln, die sich 120-mal pro Sekunde zusammenziehen und wieder entspannen. ?ber Gelenke, die zu den komplexesten in der ganzen Natur geh?ren, treiben diese Muskeln die Flügel des Insekts an. Ebenfalls sichtbar sind auf diesen Aufnahmen zus?tzliche winzige Steuermuskeln, die jeden Flügelschlag pr?zise kontrollieren und damit die Flugrichtung der Fliege bestimmen.

 

Es sind dreidimensionale und extrem hochaufgel?ste Bewegtbilder des Flugapparats von Schmeissfliegen, die Marco Stampanoni, Professor an der ETH Zürich und Gruppenleiter am externe SeitePaul Scherrer Institut (PSI) im aargauischen Villigen, zusammen mit Forschungskollegen des Imperial College London und der Universit?t Oxford pr?sentierte. Für Stampanoni war es eines seiner pers?nlichen Forschungshighlights des vergangenen Jahres.

?Wir k?nnen Strukturen abbilden, die man mit herk?mmlicher R?ntgentechnik nur unscharf erkennt.?Marco Stampanoni

Die bewegten dreidimensionalen Aufnahmen mit der Aufl?sung von wenigen Mikrometern sind ein gutes Beispiel dafür, wie viel Wissenschaftler heute, 120 Jahre nachdem Wilhelm Conrad R?ntgen die nach ihm benannte Strahlung entdeckte, damit erreichen k?nnen. Marco Stampanoni geh?rt zu jenen Wissenschaftlern, die in den vergangenen Jahren die R?ntgenmikroskopie massgeblich weiterentwickelt haben. Was auch immer der 41-j?hrige Tessiner an seinem Hauptarbeitsplatz, der externe SeiteSynchrotron Lichtquelle Schweiz (SLS) am PSI, heute unter sein Mikroskop legt, er kann hochaufl?sende dreidimensionale Bilder des Innern seiner Untersuchungsobjekte herstellen.

M?glich sind solche pr?zisen Messungen und selbst Filme von bewegten Objekten wie den Schmeissfliegen, weil die SLS sehr intensives Licht, sogenannte Synchrotronstrahlung, produziert. ?Pro Sekunde f?llt sehr viel R?ntgenlicht auf das Untersuchungsobjekt?, erkl?rt der ETH-Professor, ?dies erlaubt uns, mit extrem kurzen Belichtungszeiten zu messen. Wenige Millisekunden reichen uns für ein hochaufgel?stes Bild.?

Um die Synchrotronstrahlung zu gewinnen, ist eine Grossanlage wie etwa die SLS erforderlich. ?Diese Strahlung entsteht beispielsweise auch beim bekannten Teilchenbeschleuniger LHC am Cern in Genf. Dort ist sie allerdings ein Abfallprodukt, das nicht genutzt wird, weil der LHC für einen anderen Zweck gebaut wurde?, erkl?rt ETH-Professor Stampanoni. ?Die SLS hingegen ist speziell gebaut worden, um die Synchrotronstrahlung zu nutzen.?

Obschon diese Strahlung sehr intensiv ist, für das menschliche Auge ist sie nicht sichtbar – sie liegt im Wellenl?ngenbereich von R?ntgenstrahlung und von kurzwelliger UV-Strahlung. Dass Wissenschaftler diese Strahlung Licht nennen und folglich auch SLS für ?Synchrotron Lichtquelle Schweiz? steht, hat historische und physikalische Gründe. Denn mit R?ntgenstrahlung lassen sich Objekte durchleuchten. Ausserdem ist elektromagnetische Strahlung im ganzen Spektrum von Gammastrahlung und R?ntgenstrahlung über das sichtbare Licht bis hin zu Mikrowellen und Radiowellen im Wesentlichen ein und dasselbe. Diese Strahlung unterscheidet sich einzig in ihrer Wellenl?nge.

Klassisches R?ntgen weiterentwickelt

Neben ihrer Intensit?t hat die in der Synchrotron Lichtquelle entstehende R?ntgenstrahlung noch einen weiteren Vorteil: Sie ist so genannt koh?rent, das heisst, sie besteht aus Wellen mit einem einheitlichen Schwingungsmuster. Diese Koh?renz ist eine wichtige Voraussetzung für das so genannte Phasenkontrast-R?ntgen, eine derzeit intensiv erforschte Weiterentwicklung des klassischen R?ntgens, die noch mehr Details im Innern von Untersuchungsobjekten offenbart. Das Phasenkontrast-R?ntgen ist ein weiteres Forschungsstandbein von ETH-Professor Marco Stampanoni.

Vereinfacht gesagt wird beim herk?mmlichen R?ntgen Strahlung auf einen K?rper geschickt und dahinter gemessen, wie viel davon den K?rper durchdringen konnte. Knochen beispielsweise absorbieren die R?ntgenstrahlung, Weichteile hingegen werden vom R?ntgenlicht durchdrungen. Mit konventionellem R?ntgen k?nnen im Innern eines K?rpers also Strukturen sichtbar gemacht werden, die sich in ihren Absorptionseigenschaften wesentlich von ihrer Umgebung unterscheiden.

Beim Phasenkontrast-R?ntgen hingegen zeichnen Detektoren nicht nur die Intensit?t des nicht absorbierten R?ntgenlichts auf. Zus?tzlich messen sie auch, ob die Strahlung im Innern des Objekts wegen der beiden physikalischen Ph?nomene der Beugung und Brechung geringfügig abgelenkt wurde. ?Daraus k?nnen wir sehr scharfe und kontrastreiche Bilder berechnen und im Gewebe Strukturen abbilden, die mit der herk?mmlichen R?ntgentechnik nicht oder nur unscharf zu erkennen sind?, sagt Stampanoni.

Interessant für Mammografie

Bis vor Kurzem waren Wissenschaftler für die für das Phasenkontrast-R?ntgen so zentrale koh?rente Strahlung auf Synchrotron-Grossforschungsanlagen angewiesen. Forschenden des PSI ist es vor wenigen Jahren jedoch gelungen, auch herk?mmliche R?ntgenr?hren, wie es sie zum Beispiel in Arztpraxen und Spit?lern gibt und die nichtkoh?rente Strahlung herstellen, für diese Zwecke zu nutzen. Die Wissenschaftler benutzen dazu einen Trick und eine Anordnung von mehreren speziell angefertigten Gittern mit einer Abfolge von ?usserst dünnen, parallel angeordneten Stegen und Schlitzen. Ein erstes solches Mikrogitter aus Gold zwischen R?ntgenr?hre und Untersuchungsobjekt macht die R?ntgenstrahlung koh?rent, ein zweites Gitter aus Silizium teilt die elektromagnetischen Wellen auf in mehrere, sich überlagernde Wellen. Ein drittes Mikrogitter aus Gold hilft den Wissenschaftlern, im entstandenen ?berlagerungmuster ?nderungen festzustellen und daraus zu berechnen, wie stark die Strahlung gebeugt und gebrochen wurde.

?Interessant ist diese Technik unter anderem in der Mammografie zur Früherkennung von Brustkrebs?, so Stampanoni. Erste Tests der Forschenden mit Proben von Brustgewebe weisen darauf hin, dass sich damit verschiedene Arten von Mikroverkalkungen in der weiblichen Brust unterscheiden lassen, die sich bisher mit konventionellem R?ntgen nicht unterscheiden liessen. Diese Mikroverkalkungen sind ein Hinweis auf einen Tumor im Frühstadium, weshalb die Technik ?rzten künftig helfen k?nnte, auf nichtinvasive Weise b?sartige Brustver?nderungen besser zu erkennen. Diese Arbeit bezeichnet der Physiker als sein zweites Forschungshighlight des letzten Jahres: ?Es ist ein sehr sch?nes Beispiel, wie man Know-how aus der Grundlagenforschung an einer Forschungsgrossanlage nehmen und jedem Menschen zur Verfügung stellen kann.?

Bislang arbeiteten die Wissenschaftler um Stampanoni mit einem Prototyp, der für den Einsatz in der Klinik nicht geeignet ist. Ausserdem untersuchten sie vorerst Proben von Brustgewebe, nicht aber direkt Patientinnen. ?Zu unseren n?chsten Zielen geh?rt jedoch, ein spitaltaugliches Ger?t zu entwickeln und damit auch erste klinische Studien durchzuführen?, so Stampanoni.

Plastiksprengstoff erkennen

Auch für weitere Anwendungen k?nnte das Phasenkontrast-R?ntgen dereinst infrage kommen, etwa für verbesserte Flughafen-Gep?ck-Scanner. Bisherige Scanner k?nnen beispielsweise nicht zwischen Plastiksprengstoff und K?se unterscheiden, da diese beiden Stoffe vergleichbare Absorptionseigenschaften haben. Die Beugungs- und Brechungseigenschaften dieser Stoffe unterscheiden sich jedoch, weshalb das Phasenkontrast-R?ntgen Vorteile bringen würde.

Marco Stampanoni arbeitet derweil an seinen n?chsten Mikroskopieprojekten: Er m?chte einerseits das Gehirn einer Maus nichtinvasiv dreidimensional mit allen, selbst kleinsten Blutgef?ssen in einer bisher nie erreichten Aufl?sung von weniger als einem Mikrometer kartieren. Zum Vergleich: Bei heutigen, mit einem herk?mmlichen Computertomografen erstellten Gehirnbildern ist die Aufl?sung rund tausendmal schlechter. Eine grosse Herausforderung wird es dabei sein, ein Bild mit so grossen Datenmengen in vernünftiger Zeit aufzunehmen. Andererseits ist Stampanoni daran, die Lunge einer lebenden und atmenden Maus inklusive der kleinsten Lungenver?stelungen zu mikroskopieren. Wegen der Lungenbewegungen ist dort speziell die Geschwindigkeit seiner Methode gefragt. ?Die Zeit ist reif für solche Weiterentwicklungen?, so Stampanoni, ?denn wir erleben derzeit eine Renaissance des R?ntgenlichts.? Beim Phasenkontrast-R?ntgen seien die Fortschritte der letzten Jahre so gross, dass sie nun auch für die medizinische Diagnostik interessant werde. Ausserdem existierten heute sehr schnell messende Detektoren.

H?tte man vor zehn Jahren ein vergleichbar hochaufl?sendes dreidimensionales Bild des K?rperinneren einer Schmeissfliege erstellen wollen, h?tte eine Messung mehrere Stunden gedauert, sagt Stampanoni. An einen Film mit zehn dreidimensionalen Bildern pro Sekunde w?re noch nicht zu denken gewesen.

Synchrotron Lichtquelle Schweiz

Die externe SeiteSLS ist eine Grossforschungseinrichtung am Paul Scherrer Institut. Forschende des Instituts sowie solche aus aller Welt nutzen die damit produzierte Synchrotronstrahlung für ihre wissenschaftlichen Experimente. Kernstück der SLS ist eine Kreisbahn mit 90 Metern Durchmesser, die in einer imposanten runden Halle untergebracht ist und auf der Elektronen beinahe mit Lichtgeschwindigkeit kreisen.

Die Synchrotronstrahlung entsteht, wenn diese Elektronen abgelenkt werden – was mit in regelm?ssigen Abst?nden angeordneten Magneten geschieht.

Vergr?sserte Ansicht: Marco Stampanoni
Marco Stampanoni (Foto: Giulia Marthaler)
JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert