Energieraum Arktis – Konfliktfabrik oder Kontaktzone?

Russland sorgt in der Arktis immer wieder für Aufsehen. Mit viel Muskelspiel und Symbolpolitik will Moskau seinen Einfluss in dieser ressourcenreichen Region vergr?ssern. Doch die Ambitionen Russlands allein auf seinen Rohstoffhunger zurückzuführen, greift zu kurz. Das Land verfolgt in der Arktis eine hundertj?hrige Priorit?t.

Vergr?sserte Ansicht: Russischer Atomeisbrecher
Für Eins?tze in polaren Regionen konstruiert: Der Atomeisbrecher ?50 Let Pobedy? ist Russlands gr?sstes Schiff der Arktika-Klasse. (Bild: Wikipedia / Kiselev d)

Kola und Tschukotka: Diese zwei arktischen Regionen bedeuten mehr als nur endlose, menschenleere Tundra. Die Halbinsel Kola im ?ussersten Nordwesten und Tschukotka als ihr ?stliches Pendant bilden die jeweiligen Endpunkte einer 14‘000 Kilometer langen Küste. An diesem eisig kalten Ufer st?sst das russische Festland auf den Arktischen Ozean. Doch nicht nur die Küstenlinie der russischen Arktis ist gewaltig. Grosse Teile des Landes liegen n?rdlich des Polarkreises; zwei der weltweit vier Millionen Arktisbewohner leben in Russland. St?dte wie Murmansk, Norilsk oder Workuta bilden urbane Inseln in einem Meer der K?lte. Nickel, Gold, Apatit und vor allem Erd?l und Erdgas werden aus dem eisigen Boden an die Erdoberfl?che bef?rdert. Rohstoffe aus den Polargebieten versorgen die Rüstungsindustrie, heizen Wohnungen von der Ostsee bis an den Pazifischen Ozean und schmücken die H?nde frisch verm?hlter Paare.

Moskau und der Norden – eine alte Liebe

Vergr?sserte Ansicht: Karte Russland
1400 Kilometer russische Arktisküste: Die Halbinsel Kola ganz im Nordwesten (Murmansk) bildet den Anfang, Tschukotka (Chukotka) das nord?stliche Ende. (Bild: Armstrong, Terence [5])

Russische Ambitionen im Polarraum haben in den vergangenen Jahren viel Aufmerksamkeit erfahren. Mit viel Symbolpolitik, Muskelspielen und Diplomatie versucht Moskau, sein Hoheitsgebiet in der Arktis über die bestehenden Grenzen hinaus auszudehnen – reiche Vorkommen fossiler Brennstoffe werden auf dem Grund des Arktischen Ozeans vermutet. Es w?re jedoch falsch, das russische Interesse am Hohen Norden nur auf den Wettlauf um Rohstoffe zurückzuführen. Die Str?nge, die das Land mit der Arktis verbinden, sind komplexer [1, 2]. Sp?testens seit der Machtübernahme der Bolschewiki im Jahre 1917 rückte der Polarraum in den Fokus des Riesenreichs. Mit den Kommunisten um Wladimir Lenin übernahmen M?nner die Führung, die einen v?llig neuen Herrschaftsanspruch hatten. Sie grenzten sich von der punktuellen Pr?senz des Zarenreichs im Hohen Norden ab und wollten die Arktis umfassend erschliessen: Industrie, Eisenbahnen, Elektrizit?t, aber auch Wissenschaft und sogar Ackerbau sollten in die Tundra gebracht werden. Die endlosen Weiten des Nordens erschienen den Bolschewiki als weisse Leinwand, auf die sie ihre Idee der Zukunft malen konnten. Dieser ?Zukunftsraum Arktis‘ entwickelte sich zu einem zentralen Propagandamotiv des Stalinregimes (1928-1953).

Die Halbinsel Kola als Prestigeprojekt

Vision Windenergie
Eine Vision aus dem Jahr 1937, wie in der Arktis Windenergie genutzt werden k?nnte. (Bild: Var?avskij, A. [6])

Die Herrschenden in Moskaus warmen Bürostuben wollten ihre arktischen Territorien also in ein sowjetisches Prestigeobjekt verwandeln – in eine Region, die sozialistisch gepr?gt und vollkommen modernisiert sein sollte. Besonders deutlich zeigte sich das auf der Halbinsel Kola. Sie war rohstoffreich, verfügte über reichlich Apatit, Nickel, Eisenerz und verschiedene Seltene Erden. Wie vom Zentralkomitee in Moskau verfügt, migrierten w?hrend des Ersten Fünfjahresplans (1928-1932) Hunderttausende in die zuvor nur dünn besiedelte Region. Die meisten von ihnen waren Zwangsarbeiter und Deportierte. Sie stampften oft ohne technische Hilfsmittel St?dte aus dem Boden, zogen Industriebetriebe hoch und bauten das erste leistungsstarke Energienetz der Arktis.

Das Beispiel Kola zeigt aber nicht nur, wie stark der Kreml seit der Machtübernahme der Bolschewiki seinen Blick gen Norden richtete. Es zeigt auch, dass aufeinandertreffende Interessen verschiedener Staaten in der Arktis keine Neuheit des 21. Jahrhunderts sind. Um die Halbinsel Kola mit Kohle zu versorgen, nutzten die Sowjets seit den sp?ten 1920er Jahren Konzessionen auf dem norwegischen Archipel Spitzbergen. Diese sowjetischen Kohleminen blieben auch w?hrend des Kalten Krieges in Betrieb, obwohl Norwegen als Nato-Staat offiziell zum Feindeslager geh?rte. Doch nicht nur auf dem fernen Archipel, sondern auch auf dem Festland bef?rderte der Energiehunger Kolas die internationale Zusammenarbeit. Finnische und norwegische Unternehmen errichteten zwischen 1945 und 1970 insgesamt sechs Wasserkraftwerke auf der Halbinsel. Diese Anlagen liefern bis heute einen Teil der Energie nach Norwegen. An den vergangenen Kooperationen zeigt sich, dass eine diplomatische L?sung internationaler Energiefragen in der Arktis durchaus machbar ist. Die Aussage des russischen Aussenministers Sergej Lavrov, dass die Arktis ein ?Territorium des Dialogs? und nicht der kriegerischen L?sungen sei [3], k?nnte also durchaus mehr sein als eine leere, diplomatische Phrase.

Vergr?sserte Ansicht: Kirovsk auf Kola
Warmes Licht in eisiger K?lte: Die Stadt Kirovsk auf Kola. (Bild: Baschi Bender)

Immer weiter Richtung Norden

Es überrascht nicht, dass Moskau auch heute eine aktive Politik in dieser Region betreibt [4]. Das Land ist abh?ngig von immer neuen Rohstoffquellen, weshalb es nun auch über das russische Festland hinaus in den Arktischen Ozean blickt. Grosse Vorkommen fossiler Brennstoffe werden unter der n?rdlichen Polkappe vermutet. Dass Energieprojekte in dieser Region aber ?usserst schwierig durchzuführen sind, zeigt etwa das Stockmann-Feld. Dieses gigantische Erdgasvorkommen liegt in der Barentssee, n?rdlich der Halbinsel Kola. Es wurde in den 1980er Jahren entdeckt. Weil Russlands gr?sster Gaskonzern Gazprom auf ausl?ndisches Know-How angewiesen ist, entschied man sich, das Feld international zu erschliessen: Norwegens Statoil und die franz?sische Total beteiligten sich am Projekt.

Vergr?sserte Ansicht: Karte Stockmann-Feld
Geplante Gaspipelines und Flüssiggas- Route (LNG: Liquefied natural gas), die das Stockmann-Feld und die Halbinsel Kola ans existierende Pipelinenetz anschliessen sollen. (Grafik: Shtokman Development AG)

Bis heute fliesst kein Gas vom Stockmann-Feld Richtung Süden; der F?rderbeginn wird regelm?ssig verschoben. Wirtschaftssanktionen, technische Probleme und der volatile ?lpreis werfen das Vorhaben immer wieder zurück. Hinzu kommen die Proteste von Umweltaktivisten, die den Rohstoffabbau in der Arktis zu Recht als Hochrisiko-Projekt ansehen. Sie mahnen zu Recht, dass die ?kosysteme im Hohen Norden extrem empfindlich seien und sich nur schwerlich von m?glichen Umweltkatastrophen erholen k?nnten.

Die zukünftige Entwicklung von arktischen Energieprojekten h?ngt also von kaum prognostizierbaren Variablen ab. Gewiss ist aber, dass Russland in der Arktis an die Grenzen des Machbaren gehen wird. Grund dafür sind die Abh?ngigkeit des Landes vom Energiesektor und sein Führungsanspruch in der Region. Denn: Die grosse Aufmerksamkeit, die der Arktis im 21. Jahrhundert zukommt, mag westliche Beobachter überraschen. Aus russischer Perspektive geht es jedoch um eine hundertj?hrige Priorit?t.

Weiterführende Informationen

[1] Paul R. Josephson: The conquest of the Russian Arctic, Cambridge / London 2014.

[2] Taracouzio, T.A.: Soviets in the Arctic. An historical, economic and political study of the Soviet advance into the Arctic, New York 1938.

[3] Lavrov: nikakoj neobchodimosti v prisutstvii NATO v Arktike net, in: RIA Novosti, 20.10.2014 [http://ria.ru/world/20141020/1029130671.html].

[4] Logbuch Arktis. Der Raum, die Interessen und das Recht. Osteuropa 61 (2011), H. 2-3.

[5] Armstrong, Terence: The Russians in the Arctic. Aspects of Soviet exploration and exploitation of the Far North, 1937-57, Westport 1972, S. 183.)

[6] Var?avskij, A.: 1950 god v Arktike, in: Technika - Molode?i (1937), H. 7, S. 27-31, hier: 28.

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