Wie sich Zellen Freiraum schaffen
Damit sich Zellen der Darmwand teilen k?nnen, müssen sie ihre dichtgepackte Umgebung verlassen und an die Oberfl?che wandern. Wie die Zellen dies schaffen, haben ETH-Forschende nun herausgefunden – mit einem winzigen Nagelbrett.
Der menschliche K?rper erneuert sich fortw?hrend. Tag für Tag sterben mehrere Billionen unserer K?rperzellen. Ebenso viele entstehen in diesem Zeitraum neu, weil sich andere Zellen teilen. Damit sie dies k?nnen, nehmen Zellen eine Kugelform an. Nur so klappt die Aufteilung der Chromosomen auf die zwei entstehenden Tochterzellen problemlos. Tag für Tag kommt es daher in unserem K?rper billionenfach zu folgendem Schauspiel: Eine Zelle ?ndert ihre für ihre Funktion charakteristische Form zu einer Kugel, sie teilt sich, und die Tochterzellen nehmen wieder ihre arttypische Gestalt an.
Besonders drastisch und schwierig ist diese Form?nderung bei s?ulenf?rmigen, nebeneinandergereihten Zellen, etwa bei den sogenannten Epithelzellen, die die Darmwand und andere Schleimh?ute und Gef?ssw?nde bilden. Diese Zellen stehen ?hnlich wie Zahnstocher in einer Dose dichtgepackt Seite an Seite mit Nachbarzellen. Um sich für die Zellteilung zur Kugel umzuformen, haben die Zellen im Wandgewebe kaum Platz. Mit welchem Mechanismus sie es trotzdem schaffen, haben Forschende am Departement Biosysteme der ETH Zürich in Basel nun herausgefunden.
Membranproteine pumpen die Zellen auf
Bereits bekannt ist der grunds?tzliche Mechanismus, wie die Zellen zur Kugel werden. Daniel Müller, Professor für Biophysik, und sein Team zeigten vor einigen Jahren, wie die Zellen dazu molekulare Pumpen in ihrer Aussenhülle aktivieren. Diese transportieren Salz-Ionen ins Zellinnere. Die Ionen erzeugen einen sogenannten osmotischen Druck, der Wasser in das Zellinnere nachstr?men l?sst, wodurch sich die Zelle zu einer Kugel ausdehnt.
Ebenfalls bekannt von Beobachtungen unter dem Mikroskop ist, wo die st?bchenf?rmigen Epithelzellen den Platz finden, um sich zur Kugel zu formen: ?Die Zellen wandern aus der Epithelschicht hinaus an die Oberfl?che?, erkl?rt Müller. ?Dort teilen sie sich und wandern anschliessend wieder zurück in die Epithelschicht.?
Zellen zw?ngen sich aus der Wand
Doch wie gelangen die Zellen an die Oberfl?che? In einer neuen Studie haben Mitglieder aus Müllers Gruppe gemeinsam mit anderen Forschungsgruppen am Departement Biosysteme nun zeigen k?nnen, dass die Epithelzellen dazu denselben Mechanismus verwenden wie alle anderen Zellen. ?Die Zellen pumpen sich mit Salz-Ionen voll und werden wegen des osmotischen Drucks prall. Ausserdem zieht sich das innere Skelett der Zellen zusammen. Die Zelle kann so die notwendige Kraft erzeugen, um sich selbst gegen ?ussere Widerst?nde quasi aus der Epithelschicht rauszuzw?ngen und an die Oberfl?che zu ploppen?, sagt Müller.
Herausgefunden haben die Forschenden dies in Zellkultur. Zusammen mit der Gruppe von Andreas Hierlemann, Professor für Biosystems Engineering, entwickelten sie eine Art Mikronagelbrett aus Kunststoff. Zwischen den ?N?geln? (oder besser: S?ulen) liessen sie Epithelzellen wachsen. Unter dem Mikroskop konnten die Forschenden beobachten, wie sich die Zellen verhalten.
Testumgebung für Krankheiten
Hemmten die Wissenschaftler die Ionentransportproteine der Zellen in ihrer Aktivit?t, konnten sie beobachten, dass der Salzhaushalt der Zellen nicht nur für die Form?nderung zur Kugel verantwortlich ist. Auch das ?Herauszw?ngen? aus der Epithelschicht hing davon ab. Ausserdem konnten die Wissenschaftler über die Auslenkung der Kunststoffs?ulen berechnen, welche Kr?fte die Zellen für ihre Wanderung an die Epitheloberfl?che erzeugen.
Das Mikronagelbrett dient den Forschenden schliesslich auch als Testumgebung für bestimmte Krankheiten. Beispielsweise ist bekannt, dass Epithelzellen, die zur Zellteilung nicht an die Oberfl?che der Epithelschicht gelangen und sich dadurch nicht ungest?rt teilen k?nnen, eine Abl?sung der Epithelschicht verursachen k?nnen. Dies kann zur Entstehung und Ausbreitung von Tumoren führen, etwa im Magen, Darm, in der Niere oder Galle. ?Mit unserem mikroskopischen ?Nagelbrett? k?nnen wir nun untersuchen, unter welchen Bedingungen Zellen sich nicht mehr an die Oberfl?che hieven k?nnen?, erkl?rt Müller. Man habe bereits damit begonnen, in dieser Testumgebung nach den genetischen Ursachen für einige Krankheiten zu suchen. Ausserdem k?nne man damit die Wirksamkeit neuer Medikamente testen.
Literaturhinweis
Sorce B et al.: Mitotic cell contract actomyosin cortex and generate pressure to round against or escape epithelial confinement. Nature Communications, 25. November 2015, doi: externe Seite 10.1038/ncomms9872