Unklare Klimaziele

In der breiten ?ffentlichkeit gilt das Zwei-Grad-Ziel als universell gültige Grenze, die Wissenschaftler noch als sicher betrachten, um sch?dlichen Klimawandel zu vermeiden. Diese Wahrnehmung ist falsch. Das Zwei-Grad-Ziel ist weit weniger klar bestimmt als gemeinhin angenommen. Noch weniger klar ist, wie wir es erreichen.

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(Foto: Colourbox.de)

Seit einigen Tagen laufen in Paris die Verhandlungen über das n?chste weltweite Abkommen zum Klimaschutz, welches das Kyoto-Protokoll abl?sen soll. Das erkl?rte Fernziel ist, die Erw?rmung der Erdatmosph?re auf zwei Grad gegenüber vorindustrieller Zeit zu beschr?nken. Aber wie klar ist dieses Klimaziel überhaupt? Und ist es als Ziel geeignet? Um diese Fragen dreht sich unser aktueller Perspective-Artikel ?A scientific critique of the two-degree climate change target? im Wissenschaftsmagazin Nature Geoscience. [1]

Zwei Grad als (un)sichere Leitplanke

Das Zwei-Grad-Ziel ist zwar politisch etabliert und weitherum bekannt, wird aber oft falsch verstanden. Gem?ss der vorherrschenden Meinung identifizierten Klimawissenschaftler zwei Grad als sicheres Ziel, mit dem ein gef?hrlicher Klimawandel verhindert werden kann. Das ist nicht korrekt: Es gibt keine wissenschaftliche Untersuchung, die zwei Grad Erw?rmung je als sicher bezeichnet h?tte.

Zum einen gibt es keine klare Grenze zwischen gef?hrlich und sicher. An einigen Orten und in einigen Bereichen ist der Klimawandel heute schon ein Problem, in anderen selbst bei drei Grad kaum. Zum andern l?sst sich das nicht rein objektiv bewerten. Ein Gedankenexperiment: W?re es gef?hrlich, wenn der Eisb?r aussterben würde? Der Eisb?r beeinflusst unser Leben kaum, und er hat in einer Kosten-Nutzen-Rechnung für viele wohl keinen hohen Preis. Aber er hat für viele einen emotionalen oder immateriellen Wert. Was gef?hrlich ist, ist immer auch ein Werturteil und liegt wie die Sch?nheit im Auge des Betrachters. Die Wahrnehmung von Risiken ist individuell: Die einen finden Fallschirmspringen toll, andere würden das nie im Leben wagen.

Unserer Meinungen nach ist die globale Oberfl?chentemperatur durchaus das am besten geeignete Mass für ein Klimaziel: Temperaturanstieg und totale CO2-Emissionen h?ngen praktisch linear zusammen, und für jedes Temperaturziel gibt es damit ein bestimmtes Budget an Emissionen. Welchen Zielwert man aber als sicher bezeichnen kann, l?sst sich kaum beantworten.

Viele Fragen bleiben offen

Unklar ist zum Beispiel, wie graduell die Auswirkungen um zwei Grad sein werden. W?re 10 Prozent über dem Ziel einfach 10 Prozent schlimmer? Gibt es lokale Kipppunkte im System, die pl?tzlich auftreten, wie etwa eine spontan ?ndernde Ozeanzirkulation, der Kollaps eines ?kosystems oder das Auftauen von Permafrost? Und mit welcher Wahrscheinlichkeit wollen wir das Ziel erreichen?  Die heute diskutierten CO2-Absenkpfade haben meist eine Wahrscheinlichkeit von bis zu 33 Prozent, dass wir das Ziel verfehlen. Bei Flugzeugen oder Kernkraftwerken werden Fehlerraten von weit weniger als eins zu tausend akzeptiert. Niemand würde in ein Flugzeug steigen, das mit 33 Prozent Wahrscheinlichkeit abstürzt. Welche Sicherheit wollen oder müssen wir haben, dass wir das Ziel nicht überschreiten? Auch dies ist wieder eine normative Frage, die die Wissenschaft nicht alleine beantworten kann.  

Alternative 1.5 Grad?

Vor kurzem hat die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) in einem langen Prozess evaluiert, ob das Zwei-Grad-Ziel auf 1.5 Grad versch?rft werden sollte (siehe Blogbeitrag von Andreas Fischlin). Der Bericht kommt zum Schluss, dass zwei Grad Erw?rmung alles andere als sicher ist, und wir versuchen sollten, soweit wie m?glich darunter zu bleiben. Mit Blick auf die drohenden Auswirkungen mag das gerechtfertigt sein, aber machen wir uns nichts vor: 1.5 Grad sind h?chstwahrscheinlich nur mit einer tempor?ren ?berschreitung und anschliessend negativen Emissionen zu erreichen. Negative Emissionen bedeuten, dass der Atmosph?re mehr CO2 entnommen wird als zugefügt – dass also die Sequestrierung die menschgemachten Emissionen übersteigt. Dies ist einerseits problematisch, weil wir so auf Kosten der Zukunft leben und die n?chsten Generationen unser CO2 wieder ?einfangen? muss – mit Technologien, die es heute noch nicht gibt, oder die schlicht zu teuer sind. Eine gef?hrliche Spekulation also. Zudem ist nicht klar, wie graduell das Klimasystem reagiert, und ob alle Auswirkungen reversibel sind.

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?nderungen von Temperatur und Niederschlag im Jahresmittel in einer zwei und einer vier Grad w?rmeren Welt. (Illustration: ETH Zürich / Reto Knutti)

Die Wissenschaft kann die Auswirkungen von 1.5 Grad, 2 Grad oder anderen Klimazielen durchaus zu einem gewissen Teil bestimmen und mit einer 4-Grad-Welt ohne Klimaschutz vergleichen. Viele Aussagen sind also objektiv m?glich. Aber ?hnlich wie ein Tempolimit von 120 km/h auf der Autobahn ist zwei Grad Erw?rmung auch ein normatives Ziel, das wir als Gesellschaft festgelegt haben: ein Kompromiss zwischen Kosten, Nutzen und Risiken, der gepr?gt ist von pers?nlicher (und kollektiver) Wahrnehmung sowie vom Anspruch auf Fairness. Denn es wird nicht uns am ersten und st?rksten treffen, sondern diejenigen die heute schon wenig haben.

Handeln müssen wir ohnehin

Die Realit?t ist: Unsere CO2-Emissionen bewegen sich im Moment am oberen Rand der Szenarien ohne Klimaschutz, und die von den L?ndern für Paris vorgeschlagenen Reduktionen sind für das Zwei-Grad-Ziel ungenügend [2]. Dass in Paris das uns noch verbleibende CO2-Budget aufgeteilt wird, daran glaubt niemand. Ein bedeutender Erfolg w?re schon, ein Abkommen unter Dach zu bringen, bei dem zum ersten Mal alle Staaten mitmachen.

Die Diskussion, ob das Zwei-Grad-Ziel das richtige und ob es noch erreichbar ist, soll also nicht vom wirklichen Problem ablenken: Die Welt muss handeln. Ziele zu vereinbaren, für die kein Politiker oder CEO je verantwortlich gemacht werden kann, ist einfach. Aber diese Ziele sind wertlos, wenn die Bereitschaft fehlt, die notwendigen Schritte zu machen, um sie zu erreichen. Uns steht ein langer, zum Teil noch unbekannter Weg bevor: Wir müssen uns jetzt einig werden, wo wir ihn beginnen – und nicht, wo wir ihn beenden.

Eine gekürzte Version dieses Textes erscheint demn?chst als Autorenbeitrag im Tagesanzeiger.

Weiterführende Informationen

[1] Nature Geoscience Perspective: externe SeiteA scientific critique of the two-degree climate change target (Reto Knutti, Joeri Rogelj, Jan Sedlá?ek & Erich M. Fischer)

[2] externe SeiteClimate Action Tracker

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