Barrieren in den Köpfen abbauen
Welche Rolle spielt Technik für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung? Darüber diskutierten Experten und Wissenschaftler an der ETH Zürich im Vorfeld des weltweit ersten Cybathlon.
Technik allein ist nicht die L?sung. Darin waren sich alle Teilnehmenden der Podiumsdiskussion, die von Niklaus Walter, dem Ressortleiter Wissen bei der SonntagsZeitung und dem Tages-Anzeiger, moderiert wurde, einig. Genauso wichtig wie innovative Assistenztechnologien sei der Abbau von Alltagshindernissen und eine gr?ssere Akzeptanz von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft. ?Assistenztechnologien bergen sogar die Gefahr, dass die notwendigen Anpassungen der Umwelt vernachl?ssigt werden, da davon ausgegangen wird, dass sich der einzelne Mensch anpasst?, warnte Brian McGowan, Pr?sident des Vereins Sensability.
Integration schon in der Schule
Der seit seiner Kindheit an Muskelschw?che erkrankte McGowan setzt sich mit dem nahe Bern ans?ssigen Verein für die Verst?ndigung zwischen behinderten und nicht-behinderten Menschen ein. Nicht das Individuum, sondern die Gesellschaft solle L?sungen finden, forderte er. ?Gleichstellung ist für mich der Abbau von Behinderungen.?
Integrative Schulen sind für McGowan ein gutes Mittel, um Menschen mit Behinderungen einen gleichwertigen Zugang zu Bildung und Beruf zu erm?glichen und zugleich mehr gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen. Wer schon als Kind mit Menschen mit Einschr?nkungen in Berührung k?me, werde früh sensibilisiert für deren t?gliche Herausforderungen.
Bereits in seiner Begrüssungsrede an die rund 100 Besucherinnen und Besucher hatte ETH-Vizepr?sident Ulrich Weidmann die Frage gestellt, ob die Unterteilung in behinderte und nicht-behinderte Menschen überhaupt sinnvoll sei. Vielfach, so Weidmann, würde von einem 25-j?hrigen gesunden Mann als Normmensch ausgegangen – dies beispielsweise bei der Planung baulicher Massnahmen. ?Doch Kinder oder alte Menschen haben auch nicht die gleichen F?higkeiten wie dieser Normmensch?, betonte Weidemann, der an der ETH Zürich unter anderem für die Zug?nglichkeit der Geb?ude zust?ndig ist.
Alle Menschen benutzen Hilfsmittel
Auch die Kultur- und Medienwissenschaftlerin Karin Harrasser von der Kunstuniversit?t Linz stellte die Grenze zwischen Behinderung und Nicht-Behinderung infrage. Sie pl?dierte dafür, radikal andere Lebensentwürfe zuzulassen und betonte, dass alle Menschen gewissermassen Prothesen nutzten, zu denen die Kulturwissenschaft auch Ger?te wie Fernseher oder Smartphone z?hlt.
Das Smartphone war dabei für alle Teilnehmenden der Diskussion ein gutes Beispiel für ein Hilfsmittel, dass allen Menschen diene – ob mit oder ohne Einschr?nkungen. ?Es hat auch das Problem gel?st, dass Rollstuhlfahrende in Telefonzellen das Telefon nicht erreichen konnten, und Geh?rlose k?nnen es über SMS verwenden?, sagte der Zürcher Gemeinderat Joe Manser. Er leitet die Fachstelle für hindernisfreies Bauen und benutzt selbst einen Rollstuhl. Für Manser ist Hightech ein Element, um die Gleichstellung zu erreichen, sofern sie auf die Bedürfnisse der k?rperlich eingeschr?nkten Menschen abgestimmt sei. Dies, das zeigte die Diskussion sehr deutlich, ist jedoch oft noch nicht der Fall.
Betroffene in die Entwicklung einbinden
So wünschten sich die meisten Diskussionsteilnehmenden, dass bei der Entwicklung von Assistenztechnologien die Betroffenen schon viel früher involviert würden. Robert Riener, ETH-Professor für Sensomotorische Systeme und Initiator des Cybathlon, berichtete, dass dies in seiner Forschungsgruppe bereits so gehandhabt wird. Am Forschungszentrum für Paraplegiologie der Universit?tsklinik Balgrist testet er neue Technologien, unter anderem mit Reha-Patienten. ?Die Technik ist allerdings noch lange nicht so gut, wie es die Menschen br?uchten?, r?umte er ein.
Um weitere Fortschritte zu machen, wünscht er sich noch mehr interdisziplin?ren Austausch und hat auch deswegen den Cybathlon ins Leben gerufen. McGowan erg?nzte, dass es zielführend sei, wenn auch Menschen mit Behinderungen schon bei der Konzeption von L?sungen und in der Forschung dabei w?ren. Und Andreas Rieder, Leiter des Eidgen?ssischen Büros für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, verwies darauf, dass man neben k?rperlichen Einschr?nkungen auch geistige oder psychische Behinderungen nicht aus dem Auge verlieren dürfe.
Ein wichtiger Punkt für die Anwesenden war insbesondere, dass ihnen Leistungstr?ger wie die Invalidenversicherung (IV) ein gr?sseres Mitspracherecht bei der Auswahl einr?umen. ?Das Problem ist, wenn andere entscheiden, was für mich einfach und zweckm?ssig ist?, brachte es Rüdiger B?hm auf den Punkt. B?hm verlor 1997 bei einem Verkehrsunfall beide Beine und arbeitet heute als Motivationstrainer und Coach.
Technik darf nicht zum Zwang werden
Trotz der Verfügbarkeit von Assistenztechnologien sollte ihre Nutzung jedoch nicht zum Zwang werden – dies ein weiteres wichtiges Anliegen der Teilnehmenden an diesem Abend. Die Technik helfe nicht nur Alltagshindernisse zu überwinden, sondern sie baue auch neue Abh?ngigkeiten auf und verdr?nge zum Teil gar eigenst?ndige L?sungen, wie zum Beispiel die Kultur der Geb?rdensprache. Zum Abschluss wünschte sich Joe Manser auf die Frage von Moderator Walter eine Erfindung, mit der die Barrieren in den K?pfen der Menschen verschwinden.
Impressionen von der Podiumsdiskussion
Nationalrat Christian Lohr, befragt von Moderator Nik Walter.
ETH-Vizepr?sident Ulrich Weidmann w?hrend seiner Rede.
Karin Harrasser, Robert Riener und Andreas Rieder auf dem Podium. Brian McGowan w?hrend seines Referats.
Gebannte Zuh?rerschaft im Auditorium Maximum.
Moderator Nik Walter.
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