Metall in Ketten

Quantenmechanisch m?gliche Energiezust?nde seiner Elektronen entscheiden darüber, ob ein Festk?rper ein Isolator ist oder als Metall elektrischen Strom leitet. ETH-Forscher haben nun theoretisch ein neuartiges Material vorhergesagt, das eine noch nie beobachtete Besonderheit dieser Energiezust?nde aufweisen soll.

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Kristallstruktur (links) und ein Teil der Bandstruktur (rechts) von Iridium-Tetrafluorid. Die besondere Symmetrie des Kristallgitters führt zu den Knotenketten (blau) in der Bandstruktur. (Grafik: aus Bzdusek et al, Nature 2016)

Blickte man mit einem Super-Mikroskop tief in drei verschiedene Festk?rper hinein, so würde man dort im Prinzip immer dasselbe sehen: Atomkerne, die in einem Kristallgitter angeordnet sind, und Elektronen, die teils um die Atomkerne kreisen und teils im gesamten Kristallgitter hin- und herschwirren.

Dennoch k?nnte es sein, dass sich diese Materialien v?llig verschieden verhalten, wenn man eine elektrische Spannung an sie anlegt. Dann würde etwa der erste Festk?rper elektrischen Strom gut leiten, der zweite entpuppte sich als perfekter Isolator, und der dritte w?re vielleicht ein Halbleiter – ein Material also, dessen Leitf?higkeit mit zunehmender Temperatur steigt (anstatt, wie bei Metallen, abzunehmen) und das Ausgangsstoff für Transistoren und Computerchips ist.

Physiker um Manfred Sigrist, Alexey Soluyanov und Andreas Rüegg vom Institut für theoretische Physik der ETH Zürich haben nun eine neue Art von Festk?rper vorhergesagt, den sie ?Knotenketten-Metall? nennen und der bislang unbekannte Eigenschaften haben sollte. Einen potenziellen Kandidaten unter bekannten Stoffen haben die Forscher bereits ausgemacht.

Bandstruktur und Fermienergie

Im Wesentlichen entscheiden zwei Gr?ssen darüber, ob und wie ein Festk?rper Strom leitet: seine Bandstruktur und seine Fermienergie. Die Bandstruktur bezieht sich auf die m?glichen Energiezust?nde, welche die Elektronen in ihm einnehmen k?nnen. W?hrend ein freies Elektron immer mehr Bewegungsenergie ansammelt, je schneller es sich bewegt, k?nnen in einem Kristallgitter eingebettete Elektronen nur Energiewerte annehmen, die sich in gewissen Intervallen oder ?B?ndern? befinden. Dies folgt aus ihrer quantenmechanischen Wellennatur, die auch dazu führt, dass einige Werte der Bewegungsenergie für die Elektronen ?tabu? sind; man spricht dann von Bandlücken.

Die Fermienergie wiederum ergibt sich aus der Tatsache, dass Elektronen so genannte fermionische Teilchen sind, von denen nie zwei denselben Energiezustand einnehmen k?nnen. Baute man den Festk?rper Stück für Stück auf, so würde jedes neu hinzugefügte Elektron, von null angefangen, nach und nach immer h?here Energieniveaus zu füllen versuchen. Die Energie des letzten Elektrons ist dann die Fermienergie.

Ob ein bestimmtes Material ein Metall oder ein Isolator ist, l?sst sich nun einfach vorhersagen, wenn man seine Energieb?nder und seine Fermienergie kennt: Liegt die Fermienergie innerhalb eines Bandes, so k?nnen sich die energiereichsten Elektronen leicht bewegen und damit elektrischen Strom leiten. F?llt sie dagegen mit einer Bandlücke zusammen, so hat man es mit einem Isolator zu tun. Wiederum andere Stoffe sind zwar eigentlich Metalle, haben aber auf der H?he der Fermienergie nur wenige m?gliche Energiezust?nde. ?Das von uns vorhergesagte Material ist, wenn man so will, ein Cousin solcher so genannten Halbmetalle?, erkl?rt Tomà? Bzdu?ek, ein Doktorand von Sigrist und Soluyanov.

Knoten im Halbmetall

Ein Halbmetall, das Schlagzeilen gemacht hat, ist Graphen. Die besondere Art und Weise, in der die Energieb?nder der Graphen-Elektronen einander an so genannten Dirac-Punkten nahekommen, führt zur ungew?hnlichen Strom- und W?rmeleitf?higkeit dieses Materials, dessen Entdecker 2010 mit dem Physik-Nobelpreis geehrt wurden. Da die Bandlücke an den Dirac-Punkten komplett verschwindet, nennt man diese auch Knoten (in Analogie mit den Knoten einer Stehwelle). In anderen Halbmetallen wiederum berühren sich die Energieb?nder nicht an vereinzelten Punkten, sondern entlang bestimmter Linien oder Fl?chen.

?Das Besondere an unserem neuen Material ist, dass sich seine Energieb?nder l?ngs von ineinander verketteten Knoten berühren, und diese Knoten bilden eine Kette?, sagt Sigrist. ?Das h?rt sich zwar seltsam und sehr theoretisch an, aber wir haben tats?chlich ein wirkliches Material gefunden, das wahrscheinlich so beschaffen ist. Dass solche Knotenketten in einem Material auftreten ist kein Zufall, sondern wird von den Symmetrien seines Kristallgitters bestimmt?.

Physiker k?nnen hier übrigens eine interessante Parallele zwischen Festk?rpern und der Hochenergie-Teilchenphysik ziehen. In Hochenergie-Theorien w?ren Knotenketten aufgrund des hohen Grades an Symmetrie des Vakuums unm?glich. In einem Kristall hingegen gibt es weit weniger Symmetrien, so dass eine Art neues Vakuum entsteht.

Das Knotenketten-Material zu finden war eine Fleissarbeit, die erst auf Umwegen zum Ziel führte. Da sie dachten, das sei einfacher, suchten die Forscher zun?chst nach Materialien mit einem einzigen Knoten und rechneten theoretisch aus, welche Symmetrieeigenschaften das Kristallgitter eines solchen Stoffes haben sollte.

Insgesamt 230 verschiedene Arten von Kristallsymmetrien sind bekannt, und diese Symmetrien bestimmen massgeblich, wie die Bandstruktur eines Materials beschaffen ist. Soluyanov und seine Kollegen durchk?mmten anschliessend Online-Datenbanken (ICSD – Inorganic Crystal Structure Database), in denen Tausende bekannter Festk?rper mit ihren Kristallstrukturen aufgeführt sind. Schliesslich stiessen sie auf einen, der nicht nur einen Knoten hatte, sondern sogar die kompliziertere Knotenkette: Iridium-Tetrafluorid. ?Das war eine unerwartete ?berraschung?, gibt Quan Shen Wu zu, der im ETH-Team mitarbeitet.

Ein m?glicher Prototyp

Dieser wenig bekannte und bislang nicht sonderlich nützliche Stoff k?nnte der Prototyp einer neuen Sorte von Materialien sein, die m?glicherweise aus technologischer Sicht interessante Eigenschaften aufweisen. Die Zürcher Physiker sagen zum Beispiel voraus, dass die Leitf?higkeit solcher Festk?rper auf charakteristische Weise durch Magnetfelder beeinflusst werden sollte. Dieses Ph?nomen ist auch als Magnetowiderstand bekannt und spielt eine wichtige Rolle in modernen Speichertechnologien. Zudem weist die Bandstruktur von Iridium-Tetrafluorid Besonderheiten auf, die mit der Supraleitung bei h?heren Temperaturen in Verbindung gebracht wurden. ?Das ist natürlich alles sehr weit hergeholt?, r?umt Sigrist ein. Die experimentelle Erforschung der neuartigen Knotenketten-Metalle steht allerdings noch aus, und ?berraschungen sind da durchaus m?glich.

Literaturhinweis

Bzdu?ek T, Wu QS, Rüegg A, Sigrist M, Soluyanov AA: Nodal-chain metals. Nature, 24. August 2016, doi: externe Seite10.1038/nature19099

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