Mehr Zuversicht in der Klimapolitik

Will die Welt das Zwei-Grad-Ziel erreichen, muss sie ihre CO2-Emissionen bis zur Mitte dieses Jahrhunderts auf null reduzieren. Zu ambitioniert, sagen viele Experten. Ein Blick auf die Verbreitung neuer Technologien erkl?rt, warum manche Klimapolitik-Optimisten dies für machbar halten.

Vergr?sserte Ansicht: Ein Schlot emittiert CO2
In den n?chsten 40 Jahren sollten die Treibhausgas-Emissionen global vollst?ndig verschwinden. (Bild: acinquantadue / Fotolia) 

Die Staaten wollen dazu beitragen, die Erderw?rmung seit der Industrialisierung auf unter zwei Grad Celsius zu begrenzen. Dazu müssten unter anderem die globalen CO2-Emissionen in den n?chsten vier Jahrzehnten komplett verschwinden. Ich denke, dass dies nicht nur m?glich, sondern auch gar nicht so unwahrscheinlich ist. Allerdings geh?re ich damit klar zur Minderheit der Klimawissenschaftler. Warum bin ich optimistisch, wenn viele andere pessimistisch sind?

Simples lineares Denken

Ein Grund ist die g?ngige Annahme über die Entwicklung des CO2-Abbaus in den kommenden Jahren. Die folgende Grafik zeigt zwei m?gliche Verl?ufe. Die linke Kurve ist linear. Ihre einfache Logik n?hrt den Pessimismus vieler Klimaexperten: ?ber die n?chsten rund 40 Jahre gilt es, derzeit 36 Gigatonnen (Gt) CO2 pro Jahr auf null zu senken. Das würde eine j?hrliche Reduktion um etwa 1 Gt CO2 pro Jahr n?tig machen. Die Selbstverpflichtungen, welche die L?nder bis jetzt abgegeben haben, reichen aber bei weitem nicht aus. So scheint klar, dass wir nicht auf Kurs sind.

Ich bin der Meinung, dass die CO2-Reduktion sich eher an der rechten Verlaufskurve orientieren wird. Diese verl?uft anf?nglich flach, nimmt dann aber immer st?rker ab. Das bedeutet, dass selbst gem?ssigte Vorschritte in den ersten Jahren zum Ziel führen k?nnen, solange diese die Grundlage bilden für viel schnellere Reduktionen sp?ter. Ich halte das für ein plausibles Szenario.

Vergr?sserte Ansicht: Zwei Wege zur emissionsfreien Gesellschaft
Zwei Wege zur emissionsfreien Gesellschaft: lineare (links) und S-f?rmige Dekarbonisierung (rechts). (Grafik: Anthony Patt / ETH Zurich)

Technologie diffundiert S-f?rmig

Bedenken wir, wie sich diese beiden Verlaufskurven in der Realit?t auswirken. Das Tempo, mit dem wir Emissionen reduzieren, ist eng verknüpft mit der Ausbreitung neuer Technologien, die die Energieeffizienz verbessern oder erneuerbare Energietr?ger wie Wind oder Sonne begünstigen.

Für eine lineare Reduktion der Treibhausgase müssten sich auch die neuen Technologien linear ausbreiten. Das heisst: Dieses Szenario geht davon aus, dass der Startschuss erst erfolgt, wenn alle Fabriken für diese Technologien fertig gebaut und die Ingenieure dafür ausgebildet sind. Erst danach würden alle Fabriken zeitgleich den Betrieb aufnehmen und konstant und ohne weitere Verbesserungen produzieren. Wenn das Ziel erreicht ist, würden alle gleichzeitig mit der Produktion von klimafreundlichen Technologien aufh?ren.

So funktioniert die Welt aber nicht. Neue Technologien brauchen Anlauf, bevor sie ins Rollen kommen. Dann steigen zusehends frische Akteure ein, weitere Fabriken ?ffnen, die Produktivit?t nimmt zu und die Lernkurve steigt an. Irgendwann ist der Markt ges?ttigt, das Wachstum verlangsamt sich, vielleicht kombiniert mit der n?chsten aufsteigenden Innovation. Diesem Muster – beschleunigen, rasant wachsen, verlangsamt ausklingen – folgen alle Diffusionsprozesse – nicht nur technologische, sondern auch natürliche, beispielsweise eine bestimmte Baumart, die nach einem Waldbrand ein Gebiet erobert.

Warum bin ich einer der wenigen Optimisten?

Ich bin deshalb Optimist, weil die Idee relativ neu ist, dass Emissionsreduktionen eher durch die Geschwindigkeit der technologischen Diffusion bestimmt wird als durch immer strengere staatliche Richtlinien, die eher einen linearen Absenkpfad begünstigen. Heute sind die Menschen zunehmend bereit, CO2-arme Technologien zu nutzen – auch ohne entsprechende staatliche Vorschriften.

Zudem vermute ich, dass viele Menschen, die sich über den Klimawandel Sorgen machen, andere Leute über Alarmrufe wie ?Ihr verliert den Kampf! Macht schneller!? zum Handeln motivieren wollen. Auch ich sorge mich um das Klima, denke aber, dass uns eine positive Haltung eher ans Ziel führt.

Der steile Teil steht noch bevor

Ich bin also verhalten optimistisch. Schliesslich werden erneuerbare Energiesysteme zunehmend besser und billiger und behaupten sich immer effektiver gegenüber fossilen Brennstoffen. Das ist eine direkte Folge staatlicher F?rderung. Nun gelangen wir zusehends in den steilen Teil der Kurve, teils aufgrund von Marktmechanismen, teils dank Politikern, die auch willens sind, veraltete Technologien über strengere Regulierung ausser Betrieb zu setzen.

Wenn wir diesen Kurs halten, wird eine Phase der schnellen Transformation anbrechen für Technologien der Energiebereitstellung, Energiespeicherung und Energienutzung. Es wird Sieger und Verlierer geben, und die Verlierer werden darauf dr?ngen, das Tempo zu drosseln. Es kann also noch vieles schief gehen: Regierungen k?nnten die F?rderung der erneuerbaren Energien vorzeitig zurückfahren, bevor diese effektiv wettbewerbsf?hig sind oder Subventionen für fossile Energietr?ger weiter ausbauen, die notabene immer noch h?her sind als für erneuerbare Energien. Denkbar sind auch regulatorische Hürden, welche die erneuerbaren Energien zurückbinden.

Die kommende Zeit wird unberechenbar sein. Politiker und Regulatoren müssen die Transformation aufmerksam verfolgen, damit das gesamte System auf Kurs bleibt. Der Kampf ums Klima ist noch nicht gewonnen – aber auch bei weitem nicht verloren.

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