Ab in die Bäume!
Im Sommerhalbjahr untersuchen Umweltwissenschaftler anhand von einzelnen Bl?ttern, wie B?ume mit Licht, Wasser und N?hrstoffen haushalten und wie dies die CO2-Aufnahme ganzer W?lder beeinflusst.
Hilfsassistentin Eva Merz steht am Fuss einer m?chtigen Buche, mitten im Wald. Zwei Kletterseile h?ngen aus der Krone des Baumes hinab. In schwindelerregender H?he turnen die Baumkletterer Markus Gysin und Anja Erni gut gesichert durchs Ge?st, schneiden einen Zweig ab und seilen ihn an einer dünnen Leine sorgf?ltig ab. Merz greift sich den Zweig, l?st ihn von der Leine. ?Ich bin wieder weg?, ruft sie den beiden zu und eilt mit der Ernte zum ?Basislager?.
Das Basislager befindet sich auf einem Kiesweg in einem Wald am Südhang der L?geren, ?stlich von Wettingen. Messger?te stehen bereit, zum Teil auf einem kleinen Campingtisch, die gr?sseren Ger?te auf dem Boden. Merz, die Austauschstudentin Aldara Sabuz Millàn und Postdoktorand Christoph Bachofen aus der Gruppe von ETH-Professorin Nina Buchmann beginnen sofort, die Bl?tter des abgeschnittenen Zweigs zu untersuchen. Sie messen mit einem Fluoreszenzspektrometer die Menge des Blattgrüns (Chlorophyll), mit einem Porometer, wie viel Wasser das Blatt über seine Spalt?ffnungen verdunstet, und mit einem Infrarot-Gasmessger?t, wie viel CO2 das Blatt bei unterschiedlichen Lichtverh?ltnissen mit der Photosynthese aufnimmt.
Das muss alles rasch geschehen: Innert Minuten nach dem Abschneiden des Zweigs reagieren die Bl?tter auf Wassermangel und ver?nderte Umweltbedingungen: Die Bl?tter schliessen ihre Spalt?ffnungen, verdunsten weniger Wasser, bauen Chlorophyll ab und reduzieren die Photosynthese.
Bl?tter der gesamten Baumkrone
Doch wozu all die Ger?te und die ganzen Analysen? Bachofen und seine Helferinnen arbeiten zusammen mit ETH-Postdoc Petra D'Odorico an einem zweij?hrigen Projekt namens ?Leaf2Canopy?. Ziel ist es, den CO2-Austausch von Wald?kosystemen mit der Atmosph?re besser zu verstehen und m?glichst auch besser modellieren zu k?nnen. Diesen Austausch k?nnen Wissenschaftler mit Blattmessungen berechnen. Bisherige Berechnungen beruhen oft auf leicht zu erreichenden, bodennahen Bl?ttern. ?Wir beschreiben hingegen Bl?tter aus dem gesamten Kronenraum. So versuchen wir, die Modelle realistischer zu machen?, erl?utert Bachofen.
Auch für den Waldbestand an der L?geren werden seit über zehn Jahren Gasaustausch-Messungen auf ?kosystem-Ebene vorgenommen. Auf einem Turm, der für ein nationales Beobachtungsnetzwerk errichtet wurde, messen Sensoren CO2-Konzentration, Windrichtung und Windgeschwindigkeit über dem Bl?tterdach. Aus diesen Daten werden laufend CO2-Aufnahme und -Abgabe des Waldes errechnet. ?Diese Berechnungen muss man allerdings vorsichtig interpretieren?, erkl?rt Bachofen. Vor kurzem konnte eine ETH-Doktorandin zeigen, dass die Luftschichten oberhalb und unterhalb des Kronenraums nicht immer gut durchmischt werden. Bei voller Belaubung erfassen die Turm-Messungen einen betr?chtlichen Teil des Gasaustausches mit der Atmosph?re nicht.
Umsatz der B?ume bestimmt
Mit seinem Projekt m?chte der Postdoktorand nun in erster Linie die Photosynthese und die Verdunstung aus verschiedenen Stockwerken des Kronenraums quantifizieren, um davon besser auf den Wasserdampf- und CO2-Umsatz der B?ume und letzten Endes des ganzen Waldes zu schliessen.
Um an genaue Daten zu gelangen, untersuchen die Forschenden dieses Jahr zwei verschiedene Baumarten, die Buche und die Weisstanne. Von je drei Exemplaren jeder Art sammeln sie pro Probennahme je zwei Zweige auf vier verschiedenen Stockwerken und von zwei verschiedenen Ausrichtungen des Baums. Von jedem Zweig wiederum analysieren die Wissenschaftler zwei Bl?tter detailliert.
Baumkletterer an Fixseilen
An diesem Tag Anfang August sind drei Buchen dran. Schon Ende des Monats werden die B?ume damit beginnen, ihr Chlorophyll abzubauen und die N?hrstoffe aus den Bl?ttern zurückzuziehen – der Herbst und damit der Blattfall nahen. Die Untersuchung von Buchenbl?ttern ist dann nicht mehr m?glich. ?Zurzeit haben wir Chlorophyll-H?chststand?, sagt Bachofen.
Dieses Jahr haben er und seine Helferinnen die Probefl?che siebenmal im Mai, dreimal im Juli und eben im August besucht, um Blattmaterial zu sammeln. Beziehungsweise: sammeln zu lassen. Denn das Klettern in die B?ume ist den beiden professionellen Baumpflegern Markus Gysin und Anja Erni vorbehalten. Flink steigen sie entlang von Fixseilen in die Baumkronen; dort filmen und fotografieren sie die Orte, von denen sie Zweige abschneiden.
Test mit einer Drohne
Bachofen findet, dass die Beprobungsmethode gut funktioniere, doch einen grossen Nachteil habe: Die Forscher sind permanent auf die Hilfe der Baumkletterer angewiesen. Beprobungstage müssen frühzeitig vorbereitet werden. Dazwischen ist es unm?glich, Bl?tter zu sammeln und zu analysieren. Auch erreichen die Baumkletterer nicht s?mtliche Stockwerke der Baumkrone. Die ?ussersten Zweige sind selbst für die Profis unerreichbar.
Technische Mitarbeiter von Buchmanns Gruppe experimentieren deshalb mit einer Drohne, welche anstelle der Baumkletterer aussen und ganz oben wachsende Zweige ernten soll. Die Drohne ist mit einem Greifer und einem kleinen Schneidwerk ausgerüstet. Erste Versuche damit sind schon vielversprechend, wie die Wissenschaftler sagen. Allerding müsse die Methode noch optimiert werden, um damit systematisch Bl?ttern hoch im Kronendach sammeln zu k?nnen. Die Drohne macht die Baumkletterer auch nicht überflüssig, weil sie im Gegensatz zu den Baumkletterern im Innern des Baums keine Zweige schneiden kann.
Baum im Dilemma
Das Projekt Leaf2Canopy l?uft seit 2016. Aus dem ersten Jahr hat Bachofen erste Ergebnisse. So best?tigt der Forscher, dass bei den Buchen die obersten Bl?tter in der gleichen Zeit mehr Photosynthese betreiben als die Bl?tter in den unteren zwei Stockwerken. Die unteren Bl?tter von Buchen k?nnen dafür Licht effizienter ausnützen. Sie erreichen ihre maximale Photosynthese-Rate bereits bei Lichtverh?ltnissen, bei denen Sonnenbl?tter ihre Photosynthese erst noch hochfahren.
Die Photosynthese h?ngt unter anderem davon ab, wie viel Chlorophyll in den Bl?ttern gebildet wird, und um Chlorophyll zu bilden, ben?tigt der Baum Stickstoff. Für den Baum kommt es zu einem Dilemma: Er k?nnte die guten Lichtverh?ltnisse in den oberen Stockwerken optimal ausnutzen und den meisten Stickstoff dort investieren. Für die Photosynthese braucht der Baum allerdings auch Wasser, das er von den Wurzeln bis in die ?ussersten Winkel der Krone transportieren muss. An heissen und trockenen Tagen k?nnte die Wasserverfügbarkeit in den oberen Stockwerken für die Photosynthese zu knapp sein. Dann w?re der Stickstoff dort fehlinvestiert.
Wie verteilen B?ume den Stickstoff?
Die Verteilung des Stickstoffs in den B?umen ist ein wichtiger Faktor für die Modelle zur Berechnung des Gasaustauschs im Wald. Für die B?ume auf der L?geren ist diese Verteilung noch unklar. Bachofen untersucht daher in diesem Jahr noch genauer, wie die Licht- und Wasserverfügbarkeiten die Photosynthese und die Verteilung des Stickstoffs in der Baumkrone steuern.
Bisher konnte Bachofen zeigen, dass in den oberen Bl?ttern pro Blattfl?che mehr Chlorophyll vorhanden ist und dass die Bl?tter damit mehr Photosynthese betreiben k?nnen. Die oberen Buchenbl?tter sind aber deutlich dicker als die unteren. Daher stellte sich die Frage, ob die Bl?tter oben auch mehr Stickstoff und mehr Chlorophyll im Verh?ltnis zur Blattmasse haben als die Bl?tter unten, und ob sich die Verh?ltnisse mit der H?he im Kronenraum ?hnlich ver?ndern.
Bachofens bisheriges Fazit: Die Bl?tter enthalten auf allen Stockwerken ?hnlich viel Stickstoff pro Blattmasse. In den oberen Bl?ttern war aber die Chlorophyll-Konzentration bezogen auf die Menge Stickstoff geringer als in den unteren. ?Ich interpretiere das so, dass der Baum den Stickstoff in den oberen Bl?ttern vermehrt in andere Strukturen investiert als ins Chlorophyll?, sagt er. Welche dies seien, k?nne er derzeit jedoch noch nicht sagen.
?Der Baum muss den Stickstoff dort einsetzen, wo es sinnvoll ist. Das ist ein st?ndiger Zielkonflikt?, erkl?rt der Umweltwissenschaftler. Es h?nge deshalb stark von der ?berlebensstrategie der jeweiligen Baumart ab, wo innerhalb der Krone der Baum diese Investition t?tige.
Lange Tage im Wald
Nach einiger Wartezeit legt Eva Merz ihre Lektüre beiseite. Die Photosynthese-Messungen brauchen viel Zeit, mindestens 20 Minuten pro Blatt. Zeit, die sie mit Lesen überbrückt. Es knistert im Funkger?t, die Baumkletterer nehmen mit ihr Kontakt auf. Der Wortwechsel ist kurz. Merz steht auf und verschwindet hinter der Wegbiegung – kaum zwei Minuten sp?ter taucht sie mit dem n?chsten Buchenzweig auf. Das Messprozedere wiederholt sich. Fliessbandarbeit für die junge Forscherin.
Sind die Bl?tter im Photosynthese-Messger?t eingespannt, heisst es wieder: Warten, dreiviertel Stunden, bis sie die n?chsten Bl?tter bei den Baumkletterern abholen kann. ?Unsere Waldtage k?nnen dann ganz sch?n lang werden?, sagt Bachofen. ?Denn am Ende des Tages, wenn wir bereits die meisten Ger?te geputzt und verstaut haben, müssen wir noch warten, bis die letzten Messungen abgeschlossen sind.?
Sommerserie
Im Rahmen einer Serie pr?sentiert ETH-News w?hrend der Ferienzeit Beitr?ge zu Forschung und Innovation, welche etwas mit der sch?nsten Zeit des Jahres zu tun haben.
Bisher erschienen:
18.07. ?Den Urlaub nicht als Glücksmoment belasten?
21.07. ?Asphalt hat einen gewichtigen Nachteil?
Laubwaldforschung an der Scientifica 2017
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- Freitag, 1. September 2017, 18 – 21 Uhr (Vernissage)
- Samstag, 2. September 2017, 13 – 19 Uhr
- Sonntag, 3. September 2017, 11 – 17 Uhr