Wie Singvögel einen neuen Gesang lernen

Singv?gel sind Minimalisten, wenn es um das Erlernen eines neuen Gesangs geht, zeigte ein internationales Forscherteam. Die Lernmethode der V?gel ?hnelt einer Strategie, die Computerwissenschaftler beim Sprachvergleich anwenden.

Zebrafink
Der Zebrafink ist die in der Singvogelforschung am besten untersuchte Vogelart. (Bild: Colourbox)

Wie das Sprachenlernen für Kleinkinder ist es auch für Singv?gel eine Herausforderung, einen neuen Gesang zu lernen. Zebrafinken gehen dabei Schritt für Schritt vor und nehmen auch mal einen Umweg in Kauf: Sie ver?ndern bereits bekannte Gesangssilben und passen sie den neu zu lernenden Silben an. W?hrend dieser Lernphase ger?t die Silbenabfolge oft durcheinander. In einer n?chsten Lernphase setzen die V?gel die neuerlernten Silben dann in die richtige Reihenfolge. Dies berichten Forschende der Gruppe von Richard Hahnloser, Professor am Institut für Neuroinformatik von der ETH und der Universit?t Zürich, zusammen mit Kollegen der City University of New York und der New York University in der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift externe SeiteNature Communications.

?Die Zebrafinken haben eine Strategie entwickelt, eine solch komplexe Aufgabe wie das Erlernen eines neuen Gesangs in leichter zu bew?ltigende Teilaufgaben aufzuteilen?, sagt Hahnloser. ?Dadurch k?nnen sie ihr Repertoire mit minimalem Aufwand erweitern.?

Die Wissenschaftler gewannen diese Erkenntnisse aus einem Experiment mit Jungv?geln, die bei Versuchsbeginn einen Monat alt waren. Die Forschenden spielten den V?geln regelm?ssig einen Gesang vor, den diese dabei erlernten. Nach einem Monat ?nderten die Forschenden den Gesang, und die V?gel versuchten, ihren Gesang an den neuen anzupassen. ?In der Natur passen V?gel ihren Gesang instinktiv an denjenigen von erwachsenen Artgenossen an?, erkl?rt Hahnloser. Die Forschenden zeichneten rund um die Uhr jede Laut?usserung der V?gel auf und werteten sie Silbe für Silbe am Computer aus.

H?rbeispiele

Die Buchstaben stehen für unterschiedliche Silben (in einer bestimmten Tonh?he), + und - für eine Ver?nderung um einen Halbton nach oben bzw. unten, ++ um einen Ganzton nach oben.

Vogel, der den Gesang DownloadABC (MP3, 95 KB) beherrscht, bei der Aufgabe, den Gesang DownloadAC++B (MP3, 42 KB) zu lernen. In einem ersten Schritt ?ndert der Vogel die Tonh?he der Silbe C und singt DownloadABC++ (MP3, 76 KB). Erst in einem zweiten Schritt bringt der Vogel die Silben in die richtige Reihenfolge DownloadAC++B (MP3, 46 KB).

Vogel, der zun?chst den Gesang DownloadABCB+ (MP3, 38 KB) lernte, bei der schwierigen Aufgabe, einen zweiten Gesang DownloadAB++CB- (MP3, 40 KB) zu lernen. Er muss dazu die Silbe B einmal um einen ganzen Ton h?her und einmal um einen ganzen Ton tiefer singen. Beim Lernen macht der Vogel den Umweg über den Gesang DownloadAB-CB++ (MP3, 52 KB). Das heisst, er ?ndert zun?chst die Silben um einen Halbton (zwei kleine ?nderungen). Bei dieser Aufgabe schaffte es keiner der beobachteten V?gel, anschliessend die Silben in die richtige Reihenfolge zu bringen, denn die V?gel wurden w?hrend des Experiments erwachsen. Im Erwachsenenalter ?ndern V?gel ihren Gesang nicht mehr.

Computerlinguistik mit ?hnlicher Methode

?Die Strategie der V?gel ?hnelt interessanterweise sehr der zurzeit besten Computerlinguistik-Methode zum Vergleich von Schriftstücken?, sagt Hahnloser. Diese Algorithmen vergleichen Schriftdokumente, indem sie deren W?rter zwar in ihrem Kontext, aber ungeachtet ihrer genauen Reihenfolge betrachten. Durch den Vergleich von Milliarden von Texten k?nnen diese Algorithmen die ?hnlichkeit zweier W?rter bestimmen und mit einer Zahl bewerten. So finden sie zum Beispiel heraus, dass die beiden W?rter Haus und Geb?ude die praktisch gleiche Bedeutung haben.

Auch k?nnen diese Computerprogramme aus Millionen von Dokumenten dasjenige finden, das einem bestimmten Text am ?hnlichsten ist. Es ist jenes, dessen Vokabular sich mit dem geringsten Aufwand in das Vokabular des Vergleichstexts ver?ndern l?sst. ?Diese heute von Computerwissenschaftlern verwendete Strategie lernten Singv?gel in ihrer Evolution, und sie wandten sie wohl schon vor Millionen von Jahren an?, sagt Hahnloser.

Hypothesen für Studien beim Menschen

Ob Kleinkinder beim Erlernen ihrer Muttersprache oder einer Fremdsprache ?hnlich vorgehen wie die Singv?gel, ist ungewiss. Zwischen dem menschlichen Spracherwerb und dem Gesangserwerb von V?geln gebe es jedoch Gemeinsamkeiten, sagt Hahnloser. Auch liessen sich aus der Singvogelforschung schon spannende Hypothesen zur Sprachentwicklung von Kleinkindern ableiten. Frühere Studien zeigten beispielsweise, dass Jungv?gel und Kleinkinder jede einzelne Silbe ausgiebig durch Verdoppeln üben (bei Kindern beispielweise: ?Baba?, ?Dodo?), und dies mit neu dazugelernten Silben auch dann noch machen, wenn sie bereits Gesangselemente und W?rter mit zwei unterschiedlichen Silben (bei Kindern beispielsweise: ?Auto?) beherrschen.

Mit Hahnlosers jüngsten Forschungsergebnissen bei Singv?geln liesse sich die Hypothese aufstellen, dass auch Kleinkinder beim Erlernen einer Fremdsprache minimalistisch vorgehen, dass sie neue Laute (zum Beispiel im Franz?sischen die Nasalvokale oder das gerollte R) erlernen, indem sie bekannte Laute ab?ndern, zun?chst ohne darauf zu achten, in welchem Kontext diese Laute in der Fremdsprache vorkommen. Ob dem tats?chlich so ist, muss allerdings erst noch untersucht werden.

Literaturhinweis

Lipkind D, Zai AT, Hanuschkin A, Marcus GF, Tchernichovski O, Hahnloser RHR: Songbrids work around computational complexity by learning song vocabulary independently of sequence. Nature Communications, 1. November 2017, doi: externe Seite10.1038/s41467-017-01436-0

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert