Atombewegungen im Kristall sichtbar machen

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler k?nnen über Details oft hitzig und lange debattieren. Zum Beispiel darüber, ob und wie sich Atome in einem Kristall beim Erw?rmen verschieben und damit die Symmetrie ver?ndern. Für das Mineral Bleitellurid l?sten nun ETH-Forschende mit Simulationen auf dem CSCS-Supercomputer ?Piz Daint? ein lang debattiertes Problem.

Polar fluctuations
Berechnete korrelierte lokale Dipole in Bleitellurid. Die Farben zeigen die asymmetrischen Elektronen um die Blei- und Tellur-Atome, welche die Dipole erzeugen. (Bild: Institut für Materialtheorie / ETH Zürich)

Manchmal erscheinen wissenschaftliche Fragestellungen für Aussenstehende als Haarspalterei. Doch oft sind sie entscheidend, so etwa in den Materialwissenschaften: Der kommerzielle Einsatz eines Materials f?llt oder steht mit seinen Eigenschaften. Ein Beispiel einer nach Haarspalterei anmutenden Fragestellung mit Folgen ist jene, der Boris Sangiorgio in seiner Doktorarbeit nachging. In der Forschungsgruppe der ETH-Professorin Nicola Spaldin am Institut für Materialtheorie untersuchte der Tessiner mit Hilfe des Supercomputers ?Piz Daint“, wie sich Bleitellurid (PbTe) verh?lt, wenn es sich erw?rmt. Bleitellurid kommt in der Natur als Altait vor, ein Mineral der Sulfosalze. Dieses Mineral kann W?rmeenergie in elektrische Energie umwandeln, hat also thermoelektrische Eigenschaften.

Mars-Rover f?hrt mit Bleitellurid

Thermoelektrika wurden in den 1960er-Jahren in der Raumfahrt popul?r. Und ihre Popularit?t ist bis heute ungebrochen, denn so versorgt beispielsweise ein thermoelektrischer Generator aus Bleitellurid seit 2012 den Mars-Rover Curiosity mit Energie.

Vor rund sieben Jahren entfachte jedoch eine Studie über Bleitellurid unter Materialforschenden einen Disput. Damals kamen Forscher zum Schluss, dass bei erhitztem Bleitellurid das Ph?nomen der sogenannten Emphanisis eintritt. Vereinfacht beschrieben, verschieben sich durch die Erw?rmung im Kristall lokal die Bleiatome, sodass die lokale Symmetrie des Kristalls vermindert wird. Bis anhin kannte man nur den gegenteiligen Prozess, dass beim Erhitzen die Symmetrie gr?sser wird.

Die Emphanisis war bis heute kaum verstanden. Nun untersuchte das Team von Spaldin dieses Ph?nomen für Bleitellurid im Supercomputer. Die Simulationen zeigen, dass die Symmetrie beim Erw?rmen des Minerals zwar lokal gebrochen wird. ?ber den gesamten Kristall betrachtet bleibt die ursprüngliche kubische Symmetrie hingegen erhalten.

Für reale Experimente mit dem Mineral nutzten die Wissenschaftler in Zusammenarbeit mit Forschern der X-Ray Service Platform des Departements für Materialwissenschaft der ETH Zürich ein R?ntgen-Streuungsverfahren, das die atomare Kristallstruktur hochpr?zise sichtbar macht. Die Resultate aus diesen Versuchen stimmten mit denjenigen der Simulation sehr gut überein, was die Simulationsergebnisse best?tigt. Dadurch konnten die Forscher in den Simulationen ein Stück weitergehen als im Experiment, und herausfinden, was hinter der Emphanisis in Bleitellurid steckt.

Neues Ph?nomen

Die Simulationen zeigen n?mlich, dass es durch die Erw?rmung im Kristall zu starken akustischen und schwachen optischen Schwingungen kommt. Diese überlagern sich und sind aneinandergekoppelt. Das erzeugt ein nie zuvor beobachtetes Ph?nomen: Aufgrund der gekoppelten Schwingungen ordnen sich im Kristall korreliert Dipole an. Diese bestehen aus Paaren von fluktuierenden Blei- und Telluratomen, die sich beide entsprechend ihrer Ladung ausrichten.

?Als Ganzes betrachtet befinden sich die Atome aber nach wie vor auf den hochsymmetrischen Positionen?, sagt Sangiorgio. Die globale Symmetrie bleibt daher erhalten. Die Forscher vermuten, dass dieser Prozess essentiell für das thermoelektrische Verhalten von Bleitellurid ist. Zudem k?nnte dies auch bei anderen Materialien (sogenannten Ferroelektrika), die sich wie Bleitellurid nahe an einem ferroelektrischen Phasenübergang befinden, zutreffend sein.

Vielseitiger Einsatz von Thermoelektrika

?Die Funktionalit?t von Bleitellurid beruht vermutlich auf einem empfindlichen Gleichgewicht zwischen elektrischen und strukturellen Eigenschaften?, sagt Sangiorgio. Die lokale Struktur und Dynamik von Bleitellurid zu verstehen, ist für die Wissenschaftler essentiell, um das Verhalten des Materials zu erkl?ren. Diese Erkenntnisse helfen ihnen, künftig effizientere thermoelektrische Materialien herzustellen oder zu finden. Denn die Forschung interessiert nicht nur in der Raumfahrt für thermoelektrische Materialien, sondern auch um etwa die Abw?rme von Müllverbrennungsanlagen oder Autos m?glichst effizient zur Stromgewinnung nutzen zu k?nnen.

Dieser Text erschien zuerst auf der Website des externe Seite CSCS.

Literaturhinweis

Sangiorgio B, Bozin ES, Malliakas CD, Fechner M, Simonov A, Kanatzidis MG, Billinge SJL, Spaldin NA, Weber T. Correlated local dipoles in PbTe. Phys. Rev. Materials 2, 085402, published 6 August 2018. DOI: externe Seite 10.1103/PhysRevMaterials.2.085402

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert