Therapien müssen intensiver werden

Heutige Therapien nach einem Hirnschlag helfen Patienten zu wenig, sagt Robert Riener. Verbesserungen erwartet er von Therapierobotern.

Robert Riener

Jeder Siebte der dies liest, wird einmal einen Hirnschlag erleiden. In der Schweiz sind j?hrlich 16'000 Menschen davon betroffen, weltweit über sechs Millionen, wobei diese Zahlen altersbedingt im Zunehmen begriffen sind. Bei einem Hirnschlag sterben ganze Hirnareale ab, was h?ufig zu schweren L?hmungen einer K?rperh?lfte führt, zu Sprach- und Sehst?rungen sowie zu Beeintr?chtigungen der Denkleistung.

Patienten mit L?hmungserscheinungen brauchen über einen Zeitraum von mehreren Wochen bis Monaten Physio- und Ergotherapie. Der Therapieerfolg unterliegt dabei einem sehr h?ufigen Wiederholen von Muskel- und Gelenkübungen beziehungsweise komplexen K?rperbewegungen. Das ist ?hnlich wie bei der motorischen Entwicklung von Kindern oder beim Erlernen einer Sportart.

Therapieroboter
Therapieroboter k?nnen helfen, die Anzahl Bewegungswiederholungen zu steigern und damit die Therapieintensit?t zu erh?hen. (Bild: Hocoma / Ambulanticum Herdecke)

Vergleicht man jedoch die Bewegungsintensit?t in der Neurorehabilitation mit jener bei der motorischen Entwicklung im Kindesalter oder jener im Sport, so stellt man fest, dass die Intensit?ten, die heute in der Therapie verschrieben und angewendet werden, weit darunter liegen. Das ist einer der Hauptgründe, warum deutliche Erfolge in der Bewegungstherapie nach einem Hirnschlag heute ausbleiben, letztlich L?hmungen kaum überwunden werden und die Lebensqualit?t nach einem Hirnschlag oft gering ist. Denn es ist erwiesen, dass eine h?here Intensit?t, also eine gr?ssere Anzahl von Bewegungswiederholungen in der Regel zu einem besseren Therapieerfolg führt. Therapien müssen daher intensiver werden.

Klassisches motorisches Lernen

Der Vergleich mit dem Lernen neuer Bewegungen im Kindesalter oder Sport ist durchaus zul?ssig, auch die physiologischen Abl?ufe im Gehirn sind vergleichbar: Nach einer relativ kurzen, wenige Wochen andauernden Phase der ?spontanen Erholung? nach einem Hirnschlag, in welcher neuronale Reorganisationsprozesse automatisch ablaufen, finden im Gehirn neuroplastische Effekte statt: Unbesch?digte Hirnregionen übernehmen die Funktionen der besch?digten Regionen.

Im besten Fall werden auf diese Weise die gleichen Muskeln und Gelenke und somit die gleichen, altbew?hrten Bewegungsmuster und -f?higkeiten im Wortsinne re-aktiviert. H?ufig werden Bewegungsaufgaben aber auch durch alternative Muskeln und Gelenke übernommen (Beispiele: Vorbeugen des Rumpfes, wenn der gel?hmte Arm nicht ganz gestreckt werden kann, oder Ausw?rtsdrehung des Beines aus der Hüfte, wenn das Knie w?hrend der Schwungphase nicht gebeugt werden kann).

Die Fachwelt streitet noch darüber, welche genaue Art des Bewegungslernens für die Therapie besser ist, doch ist man sich darüber einig, dass es sich bei jeder Lernform um klassische Vorg?nge des motorischen Lernens handelt; es finden dabei die gleichen Lernvorg?nge statt wie bei Erwachsenen, die eine neue Sportart lernen oder Kleinkindern, die sich das Greifen und Gehen beibringen.

Heutige Bewegungstherapie wirkt hom?opathisch

Noch nicht gehf?hige Kleinkinder im Alter von 12 Monaten strampeln ihre Beine zwischen 7’000 und 26'000-mal pro Tag. Lernen sie schliesslich Laufen, so unternehmen sie im Schnitt 14'000 Schritte t?glich. Gleichzeitig trainieren sie ihre Arme und H?nde, indem Sie am Tag deutlich über 2000 Greif- und Manipulationsbewegungen durchführen. Trotz dieser h?ufigen Wiederholungen zieht sich das Lernen der Bewegungen über viele Monate bis Jahre hinweg.

Aus dem Sport ist bekannt, dass man bis zu 10’000 Wiederholungen ben?tigt, um eine einfache Bewegung halbwegs sicher durchführen zu k?nnen und mindestens das Zehnfache davon, um sich in einem Tournier gegen Experten siegessicher zu w?hnen.

?Es braucht ein Umdenken. Klinikpersonal, aber auch die Patienten und deren Angeh?rige müssen besser aufgekl?rt werden, damit sie alle bereit sind, die Therapieintensit?t zu erh?hen.?Robert Riener

Zum Vergleich: Nach einem Hirnschlag sind heute in der Schweiz und in anderen industrialisierten L?ndern zwischen einer und fünf Therapiesitzungen pro Woche üblich. Die Sitzungen dauern im Mittel zwischen 30 und 60 Minuten, was auch die Zeit für Begrüssung, Anamnese sowie Vorbereitung und Einstellung von Therapieger?ten miteinschliesst. Pro Sitzung kommt man – je nach Komplexit?t der L?hmung und auszuführenden Bewegungsmuster – auf rund 50 bis 100 Bewegungswiederholungen bei der Therapie der oberen Extremit?ten und etwa 300 Wiederholungen beim Gangtraining.

Das heisst, dass man in der konventionellen Bewegungstherapie die Gliedmassen bis zu über 1000-mal weniger oft bewegt als dies beim Bewegungslernen im Kindesalter der Fall ist. Bewegungstherapie wird heute nur in hom?opathischen Dosen angewandt. Trotzdem ist die Erwartungshaltung der Patienten, ja sogar mancher Therapeuten, hoch. Man kann jedoch nicht erwarten, dass sich mit einer Stunde Therapie pro Woche, ja selbst nicht mit einer Stunde pro Tag, nach nur 2 Monaten deutliche Verbesserungen einstellen.

Roboter sind vielleicht die einzige L?sung

Es braucht ein Umdenken. Klinikpersonal, aber auch die Patienten und deren Angeh?rige müssen besser aufgekl?rt werden, damit sie alle bereit sind, die Therapieintensit?t zu erh?hen. Ein Einsatz von mehr Personal ist allerdings kostenintensiv. Therapieroboter k?nnen helfen, die Anzahl Bewegungswiederholungen zu steigern und damit die Therapieintensit?t zu erh?hen, ohne deutlich mehr Kosten zu generieren, wenn sie vom Personal richtig und mit hoher Auslastung eingesetzt werden. Zudem sind sie vielleicht die einzige L?sung, die vor allem demographisch bedingte Zunahme von Hirnschlagpatienten und Abnahme der theoretisch zur Verfügung stehenden Therapeuten zu kompensieren.

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