Systeme stabil halten

Sowohl die Natur als auch die Technik sind auf integrierende Feedback-Mechanismen angewiesen. Sie sorgen dafür, dass Systeme stabil bleiben. ETH-Forschende haben nun mittels synthetischer Biologie einen solchen Mechanismus von Grund auf neuentwickelt und erstmals als künstliches Gen-Netzwerk in eine lebende Zelle eingebaut. Hilfreich ist das für die Zelltherapie in der Medizin und für die Biotechnologie.

Flugzeuginstrumente
Autopiloten helfen, die Flugh?he konstant zu halten. Die dafür verwendeten integrierenden Regelkreise kommen auch in der Biologie zum Einsatz (Symbolbild). (Bild: Shutterstock)

Der menschliche K?rper sorgt dafür, dass die Kalziumkonzentration im Blut konstant bleibt. Ebenso h?lt der Autopilot ein Verkehrsflugzeug auf konstanter Flugh?he. Diese beiden Beispiele haben Gemeinsamkeiten: K?rper und Autopilot verwenden dazu ausgeklügelte, sogenannte integrierende Feedback-Mechanismen (siehe Kasten). Forschenden am Departement für Biosysteme der ETH Zürich in Basel ist es nun gelungen, einen solchen integrierenden Regelkreis erstmals in einer lebenden Zelle von Grund auf neu zu bauen, wie sie in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift externe SeiteNature berichten. Mit ihrem Ansatz der synthetischen Biologie k?nnte es in Zukunft unter anderem m?glich werden, biotechnologische Produktionsprozesse zu optimieren und Patienten mit Hormonst?rungen mittels Zelltherapie zu helfen.

Trotz Umwelteinflüssen konstant

Erste technische Formen von integrierenden Feedback-Regelungen wurden vor über hundert Jahren von Schifffahrtsingenieuren entwickelt, um Schiffssteuerungen zu automatisieren. Seither kommt dieses Regelungsprinzip überall dort zum Einsatz, wo es darum geht, beispielsweise eine Richtung, Temperatur, Geschwindigkeit oder H?he konstant und gegenüber ?usseren Einflüssen stabil zu halten. Das Spezielle an einer integrierenden Regelung ist, dass die entsprechenden Korrekturen sowohl von der H?he als auch der Dauer der Abweichung vom gewünschten Wert abh?ngig sind.

Auch in der Biologie sind w?hrend der Evolution Mechanismen entstanden, um zum Beispiel die Konzentration von Stoffen im Blut konstant zu halten. Dass es sich dabei ebenfalls um integrierende Regelkreise handelt, haben Forschende um Mustafa Khammash, Professor am Departement für Biosysteme, bereits vor einigen Jahren gezeigt. ?Solche integrierenden Regelkreise sind ?usserst resistent gegenüber unvorhergesehenen Umwelteinflüssen?, erkl?rt der ETH-Professor. ?Dies dürfte erkl?ren, warum sich das Prinzip in der Evolution durchgesetzt hat, und warum es in der Technik so oft angewandt wird.?

Vergr?sserte Ansicht: Die Wissenschaftler entwickelten einen integrierenden Regelkreis (vorne als Schaltplan dargestellt) für Kolibakterien. (Grafik: ETH Zürich / Christine Khammash)
Die Wissenschaftler entwickelten einen integrierenden Regelkreis (vorne als Schaltplan dargestellt) für Kolibakterien. (Grafik: ETH Zürich / Christine Khammash)

Zusammenspiel zweier Moleküle

Khammash und seinem interdisziplin?ren Team von Regelungstheoretikern, Mathematikern und Biologen ist es nun gelungen, einen solchen integrierenden Feedback-Regelkreis erstmals als synthetisches Gen-Netzwerk in einem Bakterium aufzubauen. Ihr Feedback-Mechanismus fusst auf zwei Molekülen – A und B –, die sich aneinanderheften und auf diese Weise inaktiviert werden. Diese beiden Moleküle sind in der Lage, die Konzentration eines dritten Moleküls C konstant zu halten: Das System ist so aufgebaut, dass das Molekül B die Produktion von C f?rdert und die Produktionsrate von A von der Konzentration von C abh?ngig ist. Die Feedback-Schleife: Ist viel C vorhanden, wird mehr A produziert und somit mehr B inaktiviert, wodurch weniger C produziert wird.

Im Rahmen eines Machbarkeitsnachweises nutzten die ETH-Wissenschaftler dieses Prinzip, um die Herstellung eines in Kolibakterien eingeschleusten grün fluoreszierenden Proteins zu steuern. Dank des Feedback-Regelkreises stellten die Bakterien st?ndig gleich viel des Fluoreszenzfarbstoffs her und zwar auch dann, als die Wissenschaftler zu Testzwecken mit Hemmstoffen die Produktion des Farbstoffs zu d?mpfen versuchten. In einem zweiten Experiment gelang es den Forschenden, eine Bakterienpopulation herzustellen, die mit konstanter Rate wuchs, das sogar noch, als die Wissenschaftler das Wachstum zu Testzwecken zu st?ren versuchten.

Biotech und Therapien verbessern

Dereinst zum Einsatz kommen k?nnte der neue Regelmechanismus in der Biotechnologie bei Bakterien, mit welchen Vitamine, Medikamente, Chemikalien oder Biotreibstoffe hergestellt werden. Der Mechanismus k?nnte dabei verwendet werden, um die Produktionsrate der Bakterien konstant auf einem optimalen Niveau zu halten.

Die ETH-Wissenschaftler sind nun auch daran, einen vergleichbaren Regelmechanismus für S?ugetierzellen zu entwickeln, was weitere Anwendungen erm?glichen k?nnte. Dazu geh?ren Designerzellen mit genetischen Netzwerken, die im K?rper von Patienten Hormone produzieren. Profitieren k?nnten davon beispielsweise Menschen mit Diabetes oder einer Schilddrüsenunterfunktion. Auch k?nnte man die synthetischen Regelkreise nutzen, um die Immuntherapie von Krebs zu verbessern. ?Bei dieser Therapieform müssen Immunzellen genügend aktiv sein, um den Tumor bek?mpfen zu k?nnen, jedoch nicht überaktiv, wodurch sie gesundes Gewebe sch?digen würden?, erkl?rt Khammash. ?Mit einem Mechanismus wie dem unsrigen k?nnte man die Aktivit?t feinregulieren.?

Integrierender Regelkreis

Die Steuerung der Kalziumkonzentration im Blut sei ein gutes Beispiel, um das Prinzip von integrierenden Regelkreisen in der Biologie zu erkl?ren, sagt ETH-Professor Mustafa Khammash. Diese Konzentration wird auf konstant rund 95 Milligramm pro Liter Blut reguliert und zwar unabh?ngig davon, wie viel Kalzium eine Person über die Nahrung zu sich nimmt, und beispielsweise auch dann, wenn der K?rper einer stillenden Frau für die Muttermilchproduktion sehr viel Kalzium aus dem Blut bezieht. ?Ein konstanter Kalziumspiegel ist wichtig, denn viele physiologische Prozesse sind darauf angewiesen, beispielsweise die Funktionen von Muskeln und Nerven und die Blutgerinnung?, erkl?rt Khammash.

Das Hormon Paratyrin wirkt im K?rper als einer von zwei Feedback-Regulatoren: Paratyrin f?rdert die Mobilisierung von Kalzium aus dem Knochengewebe ins Blut. Je tiefer die Kalzium-Konzentration im Blut, desto mehr Paratyrin wird in den Nebenschilddrüsen produziert. ?Auf diese Weise werden zu tiefe Kalzium-Werte teilweise ausgeglichen?, sagt Khammash.

Um die Konzentration auch nach grossen Ausschl?gen gegen oben oder unten vollst?ndig auf den Sollwert zurückzubringen, brauche es allerdings einen zweiten Mechanismus, erkl?rt Khammash. Diese Rolle übernimmt eine biologisch aktive Form von Vitamin D3, welche die Aufnahme von Kalzium aus dem Nahrungsbrei im Dünndarm ins Blut f?rdert. Die Produktion dieser aktiven Form von Vitamin D3 in den Nieren ist allerdings von der Paratyrin-Konzentration abh?ngig.

Gemeinsam sorgen die beiden Hormone dafür, dass die Blutkonzentration im zeitlichen Verlauf m?glichst wenig und m?glichst nur kurzzeitig von der Soll-Konzentration abweicht – oder mit anderen Worten: die ?über die Zeit integrierte Abweichung? konstant ist, wie es ein Mathematiker ausdrücken würde. Daher der Name integrierender Regelkreis.

Literaturhinweis

Aoki SK, Lillacci G, Gupta A, Baumschlager A, Schweingruber D, Khammash M: A universal biomolecular integral feedback controller for robust perfect adaptation, Nature, 19. Juni 2019, doi: externe Seite10.1038/s41586-019-1321-1

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