Antibiotikaresistenzen steigen massiv an

In Schwellen- und Entwicklungsl?ndern nehmen antibiotikaresistente Mikroorganismen in Nutztieren stark zu. Auf einer Karte zeigt ein internationales Forschungsteam unter ETH-Federführung erstmals auf, wo der Handlungsbedarf am gr?ssten ist. Um weitere Resistenzdaten zu sammeln, haben die Forschenden eine offene Webplattform geschaffen.

Mitnichten glückliche Hühner: Antibiotikaresistenzen sind auch in der Geflügelhaltung auf dem Vormarsch. (Bild: Colourbox)
Mitnichten glückliche Hühner: Antibiotikaresistenzen sind auch in der Geflügelhaltung auf dem Vormarsch. (Bild: Colourbox)

Die Welt erlebt ein beispielloses Wirtschaftswachstum in Schwellen- und Entwicklungsl?ndern. Immer mehr Menschen in Indien, China, Lateinamerika oder Afrika sind zu mehr Wohlstand gekommen, was sich in einem erh?hten Verzehr von Fleisch und Milchprodukten ?ussert. In Afrika hat der Fleischkonsum in den letzten zwei Jahrzehnten um mehr als die H?lfte zugenommen, in Asien und Lateinamerika um zwei Drittel.

Um die wachsende Nachfrage zu decken, wurde die Tierzucht intensiviert, unter anderem mit einem h?heren Einsatz von Antibiotika. Bauern setzen die Medikamente nicht nur ein, um kranke Tiere zu behandeln, sondern auch um Infektionen vorzubeugen. Denn wo Tiere in grosser Zahl auf kleinem Raum unter mangelhaften hygienischen Bedingungen gehalten werden, brechen leicht Krankheiten aus. Antibiotika werden jedoch auch dafür verwendet, um den Gewichtszuwachs der Tiere zu erh?hen.

Die Folgen des unsachgem?ssen und überm?ssigen Antibiotikaeinsatzes sind jedoch gravierend: Der Anteil der Bakterien, die gegen Antibiotika resistent sind, w?chst rapide. Dadurch büssen die Medikamente ihre Wirksamkeit ein – was weitreichende Folgen hat für die Gesundheit der Tiere und die des Menschen.

Brennpunkte der Resistenzen kartieren

Entwicklungs- und Schwellenl?nder haben oft nur wenig Kapazit?ten, um den Gebrauch von Antibiotika und Resistenzen auf Betrieben zu überwachen. Die Anwendung von Antibiotika ist dort meist schlechter reglementiert und dokumentiert als in reichen Industrienationen.

Ein Team von Forschenden unter der Leitung von Thomas Van Boeckel, SNF-Assistenzprofessor für Gesundheitsgeografie und Politik an der ETH Zürich, hat soeben in der Fachzeitschrift ?externe Seite Science? eine Karte der Antibiotikaresistenzen in Nutztieren aus Entwicklungs- und Schwellenl?ndern ver?ffentlicht.

Um herauszufinden, wo und in welchen Nutztierarten Resistenzen bei den Krankheitserregern Salmonella, E. coli, Campylobacter und Staphylococcus aureus aufgetreten sind, schufen die Forscherinnen und Forscher eine umfangreiche Literaturdatenbank.

Die Karte zeigt, wie hoch der Anteil von Resistenzen gegen mindestens 50 Prozent der eingesetzten Antibiotika ist. In Ostchina ist dieser Anteil besonders hoch. (Grafik: aus Boeckel Van T et al., Science 2019)
Die Karte zeigt, wie hoch der Anteil von Resistenzen gegen mindestens 50 Prozent der eingesetzten Antibiotika ist. In Ostchina ist dieser Anteil besonders hoch. (Grafik: aus Boeckel Van T et al., Science 2019)

Gem?ss dieser Studie sind Tiere im Nordosten Chinas, in Teilen Indiens und des südlichen Brasiliens sowie des Iran und der Türkei am st?rksten von Antibiotikaresistenzen betroffen. In diesen L?ndern sind die genannten Bakterien mittlerweile gegen eine Vielzahl der in der Fleischproduktion und in der Humanmedizin eingesetzten Mittel resistent. Erst wenige Resistenz-Hotspots finden sich zurzeit in Afrika mit Ausnahme von Nigeria und die Region um Johannesburg.

Die meisten Resistenzen treten gegen diejenigen Antibiotika auf, die am h?ufigsten bei Tieren verwendet werden: Tetracycline, Sulphonamide, Penicilline und Quinolone. In gewissen Regionen haben diese Substanzen ihre frühere Wirksamkeit gegen Infektionen fast v?llig eingebüsst.

Alarmierender Trend bei Mehrfachresistenzen

Um nachzuverfolgen, wie sich Mehrfachresistenzen entwickeln, haben die Forschenden einen neuen Index geschaffen. Dieser beziffert für jede Region den Anteil der Antibiotika mit Resistenzraten von mehr als 50 Prozent. In Schwellen- und Entwicklungsl?ndern hat sich dieser Index für Hühner und Schweine in den letzten 20 Jahren nahezu verdreifacht. Zurzeit versagen ein Drittel der Antibiotika in 50 Prozent der F?lle in Hühnern und ein Viertel der Mittel in 50 Prozent der F?lle in Schweinen.

?Dieser beunruhigende Trend zeigt, dass in der Tierzucht eingesetzte Medikamente ihre Wirksamkeit rasch einbüssen?, sagt Van Boeckel. Dies werde sich auf die Nachhaltigkeit der Fleischindustrie und m?glicherweise auch auf die Gesundheit von Konsumierenden auswirken.

Besorgniserregend sei dies deshalb, weil die Resistenzen besonders in jenen L?ndern zun?hmen, in denen auch der Fleischkonsum stark wachse und der Zugang zu tiermedizinisch verwendeten Antibiotika nur ungenügend reglementiert werde. ?Antibiotika-Resistenzen sind allerdings ein globales Problem. Es ergibt keinen Sinn, mit betr?chtlichem Aufwand auf der einen Seite der Erde Antibiotikaresistenzen einzud?mmen zu versuchen, w?hrend sie auf der anderen Seite massiv steigen?, sagt der ETH-Forscher.

Tausende von Studien flossen ein

Für ihre aktuelle Studie sammelten Forschende der ETH, der Princeton University und der Freien Universit?t Brüssel tausende von Publikationen sowie unver?ffentlichte Berichte von Tiermedizinern aus aller Welt. Auf Basis dieser Daten generierten die Forschenden die nun erstmals ver?ffentlichten Resistenzverbreitungskarten.

Die Karten decken jedoch nicht das gesamte Untersuchungsgebiet ab, insbesondere gibt es in Südamerika grosse Lücken, welche die Forscher auf einen Mangel an ?ffentlich zug?nglichen Daten zurückführen. ?Aus weiten Teilen Südamerikas gibt es kaum offizielle Zahlen oder Daten?, sagt Mitautor und ETH-Postdoktorand Joao Pires. Das habe ihn überrascht, denn aus einigen L?nder Afrikas seien sehr viel mehr Daten zug?nglich, obwohl dort die Ressourcen für solche Erhebungen knapper seien als in Südamerika.

Open-Access-Webplattform entwickelt

Um ihre Resultate zu verbreiten und weitere Resistenzdaten zu sammeln, haben die Forscher die Webplattform externe Seite resistancebank.org geschaffen. Dort k?nnen beispielsweise Tiermediziner oder Beh?rden neue Daten über Antibiotikaresistenzen in ihren Regionen hochladen und mit anderen Interessierten teilen. Die Web-Plattform ist frei zug?nglich.

Van Boeckel erhofft sich davon, dass Wissenschaftlerinnen, die sich eine teure Publikation in einer Fachzeitschrift nicht leisten k?nnen, ihre Ergebnisse auf der Plattform teilen. ?So stellen wir sicher, dass die Daten nicht einfach in einer Schublade verstauben?, sagt er, ?gerade in Afrika oder in Indien schlummern viele relevante Ergebnisse, die das globale Bild der Verbreitung von Antibiotikaresistenzen vervollst?ndigen.? Auch k?nne die Plattform Geldgebern dienen, diejenigen Regionen zu identifizieren, die am st?rksten von Resistenzen betroffen sind, um entsprechende Massnahmen finanzieren zu k?nnen.

Da die Fleischproduktion weiter steigt, k?nnte die Webplattform dabei helfen, gezielter gegen Antibiotikaresistenzen vorzugehen und betroffene Gebiete auf den Weg einer nachhaltigen Fleischproduktion zu bringen. ?Die reichen L?nder des Nordens, die seit den 1950er Jahren Antibiotika verwenden, sollen dabei helfen, dass die Umstellung gelingt?, findet Van Boeckel.

Die Studie wurde finanziell unterstützt durch den Schweizerischen Nationalfonds und die Branco-Weiss-Stiftung.

Literaturhinweis

Van Boeckel TP, Pires J, Silvester R, Zhao C , Song J,  Criscuolo NG, Gilbert M, Bonhoeffer S, Laxminarayan R. Global trends in antimicrobial resistance in animals in low- and middle-income countries. Science 365, 2019, doi: externe Seite 10.1126/science.aaw1944

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