«Wissenschaft ist immer ein Diskurs»

In der Fachzeitschrift Science ?ussern sich zahlreiche Forschende in Kommentaren kritisch zu einer viel beachteten ETH-Studie, in der das technische Potenzial von Waldaufforstung zur CO2-Reduktion quantitativ gesch?tzt wird. Im Interview erkl?rt Detlef Günther, Vizepr?sident für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen, warum er diesen Diskurs begrüsst.

Detlef Günther
Der ETH-Vizepr?sident für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen, Detlef Günther, im Interview. (Bild: ETH Zürich)

ETH-News: Detlef Günther, im Sommer haben ETH-Forschende um Professor Tom Crowther eine Studie publiziert, die das Potenzial der Waldaufforstung zur CO2-Reduktion quantitativ sch?tzt. Heute ?usserten sich in Science gleich zahlreiche Forschende aus aller Welt  kritisch zur Studie. Das ist aussergew?hnlich oder nicht?
Detlef Günther: Dass sich Forschende einer Hypothese unterschiedlich ann?hern, ist überhaupt nicht aussergew?hnlich. Der wissenschaftliche Prozess ist ein st?ndiger Diskurs und ein Hinterfragen von Hypothesen.

Aber nicht jede Forschung l?st gleich so viele Reaktionen aus…
Das stimmt, das Ausmass der Kommentare mag aussergew?hnlich sein. Das hat aus meiner Sicht zwei Gründe: Einerseits ist der Klimawandel und m?gliche L?sungsans?tze eine der komplexesten, aber auch dringendsten Herausforderungen unserer Zeit. Entsprechend hoch ist die wissenschaftliche Aufmerksamkeit für dieses Thema. Andererseits hat die Original-Studie des Crowther-Labs weltweit ein enormes Echo ausgel?st. Da ist es nur logisch, dass diese Resultate von einer sehr grossen wissenschaftlichen Gemeinde umso kritischer unter die Lupe genommen werden und damit der wissenschaftliche Diskurs intensiver wird.

Unter den Autorinnen und Autoren der Kommentare sind auch ETH-Forschende. Sind sich nicht einmal die ETH-Forschenden bei diesem Thema einig?
Jeder Forschende n?hert sich einem Forschungsproblem von verschiedenen Seiten, da w?re Einigkeit überraschend. Die wissenschaftliche Debatte muss auch innerhalb unserer Hochschule stattfinden. Unterschiedliche Perspektiven und Uneinigkeit sind essentiell, um Fortschritt zu erzielen. Die ETH geh?rt im Bereich der Klimaforschung zu den besten Hochschulen der Welt. Es ist daher logisch, dass auch ETH-Forschende an einem solch wichtigen Diskurs teilnehmen – unabh?ngig davon, ob Kolleginnen oder Kollegen der eigenen Hochschule im Fokus stehen.

Die Kommentare hinterfragen einerseits technische Aspekte der Studie, andererseits kritisieren sie, dass die Botschaft vermittelt werde, mit dem Pflanzen von B?umen k?nne der Klimawandel gestoppt werden. Haben die Forschenden des Crowther Labs in der Kommunikation übertrieben?
Es geh?rt zu den Aufgaben von ETH-Forschenden, ihre Erkenntnisse auch einer breiten ?ffentlichkeit zug?nglich zu machen und so den gesellschaftlichen Diskurs anzuregen. Diese ?ffentliche Kommunikation von Forschungsergebnissen ist immer eine Gratwanderung. Aber die Aussagen müssen h?chsten wissenschaftlichen Standards genügen. In ihrer Antwort auf die Kommentare haben die Forschenden des Crowther-Labs anerkannt, dass in ihrer Kommunikation nicht alles optimal gelaufen ist. Für sie sei klar, dass Aufforstung nur ein L?sungsansatz unter vielen sei. Zudem müsse unabh?ngig davon der Ausstoss von CO2 reduziert werden. Die Autoren haben den Abstract ihrer ursprünglichen Publikation entsprechend korrigiert.

Hat die Kritik Konsequenzen für die Autoren der Studie?
Sie müssen sich selbstverst?ndlich dieser Diskussion stellen und haben das mit ihrer Antwort in Science bereits getan. Darin haben sie zu den hinterfragten Punkten ausführlich Stellung genommen, Missverst?ndnisse gekl?rt und auch einen Fehler eingestehen müssen. Das ist extrem wichtig, denn die Diskussion um die notwendigen L?sungsans?tze gegen den Klimawandel wird die Gesellschaft künftig konstant weiterbegleiten.

Weiterführende Informationen

Die Studie des Crowther-Labs zum Potenzial von Waldaufforstung zur CO2-Reduktion in der Fachzeitschrift Science (5. Juli 2019) l?ste vier  wissenschaftliche Kommentare und drei Briefe aus, die zusammen mit zwei Antworten des Crowther-Labs in der Science-Ausgabe vom 18. Oktober publiziert wurden. Die Autoren der Aufforstungsstudie haben eine Aussage im Abstract ihrer ursprünglichen Publikation korrigiert. Die Publikationen im ?berblick:

Bastin JF et al: externe SeiteThe global tree restoration potential (korrigiert)

ETH-Medienmitteiliung: Wie B?ume das Klima retten k?nnten (korrigiert)

Veldman JW et al: externe SeiteComment

Friedlingstein P et al: externe SeiteComment

Lewis SL et al: externe SeiteComment                             

Grainger A et al: externe SeiteComment

Bastin JF et al: externe SeiteResponse to comments

Luedeling E et al: (Letter) externe SeiteForest restoration: Overlooked constraints

Delzeit R et al: (Letter) externe SeiteForest restoration: Expanding agriculture

Sehil D et al: (Letter) externe SeiteForest restoration: Transformative trees

Bastin JF et al: (Letter) externe SeiteForest restoration: Transformative trees — Response

 

 

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