Zeit für einen neuen sozialen Vertrag

Neue Technologien ver?ndern nicht nur die Arbeitswelt grundlegend, sondern auch die Beziehung zwischen Besch?ftigten, Unternehmen und Gewerkschaften, wie Gudela Grote aufzeigt.

Gudela grote

Bevor Prognosen bis zur H?lfte aller Arbeitsstellen gef?hrdet sahen, was Besch?ftigte, Unternehmen, Gewerkschaften und Regierungen gleichermassen aufschreckte, war das Bild der Auswirkungen neuer Technologien auf die Arbeit weit positiver: Menschen, die am Strand in Schwimmpausen ihre Arbeit erledigen; Züge mit freien Pl?tzen, weil das Pendeln durch Arbeit von zu Hause ersetzt wird; und neue M?glichkeiten der Integration in den Arbeitsmarkt durch Arbeitsangebote auf Internet-Plattformen. Diese Formen der Arbeitsflexibilisierung, die individuell zwischen Besch?ftigten und Unternehmen ausgehandelt werden, scheinen Gewerkschaften zunehmend überflüssig zu machen.

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Nicht nur die Arbeit wandelt sich mit der Digitalisierung, auch die Sozialpartnerschaft wird sich neu definieren müssen. (Grafik: Shutterstock)

Je mehr Besch?ftigte sich in der Lage fühlen, selbst ihre Interessen zu vertreten, desto mehr rückt die Rolle der Gewerkschaften in den Hintergrund. Die neue Angst um den Arbeitsplatz hat hingegen die Rolle der Gewerkschaften wieder gest?rkt. Dies ist eine grosse Chance, die Grundlagen der Sozialpartnerschaft zwischen Besch?ftigten, Arbeitgebern und Gewerkschaften zu überprüfen und mit Blick auf positive wie negative Facetten der Zukunft der Arbeit neu zu definieren.

Aufgaben von Gewerkschaften neu positioniert

Das Kernanliegen von Gewerkschaften, die Verhandlung bestm?glicher Arbeitsbedingungen für ihre Mitglieder, ger?t zunehmend unter Druck, zum Beispiel durch sogenannte ?i-deals? (i für idiosyncratic, das heisst auf das einzelne Individuum bezogen). In diesen handeln Besch?ftigte mit ihren Vorgesetzten individuell auf sie zugeschnittene Arbeitsbedingungen aus, wie zum Beispiel donnerstags um 15 Uhr die Arbeit zu beenden, um die Tochter von der Krippe abzuholen, dafür freitags bis 19 Uhr zu arbeiten. Solche Abmachungen sind nützlich für den Einzelnen, k?nnen aber die Solidarit?t mit anderen Besch?ftigten und auch die vorhandenen Gesamtarbeitsvertr?ge untergraben.

Entsprechend ist eine wichtige neue Aufgabe für Gewerk?schaften, individuelle Flexibilisierung und kollektive Vertretung besser zu vereinen. Dass hier Handlungsbedarf besteht, ist besonders deutlich bei der Besch?ftigung über Internet-Plattformen, für die eine arbeitsrechtliche Absicherung bisher weitgehend fehlt. Für entsprechend viel Aufsehen hat der erste Gesamtarbeitsvertrag für die Besch?ftigten einer Internet-basierten Reinigungsfirma in D?nemark  gesorgt.1

?Einen interessanten Weg sind die SBB zusammen mit den Gewerkschaften gegangen: Sie haben gemeinsam einen Digitalisierungsfonds gegründet.?Gudela Grote

Neue Berufslaufbahnen entwickeln

Auch wenn die Prognosen hinsichtlich des Verlusts von Arbeitsstellen durch Automatisierung inzwischen nach unten korrigiert worden sind, ist doch unausweichlich, dass Berufe sich ver?ndern, manche ganz wegfallen und andere neu entstehen. Dies heisst, dass die fortlaufende Weiterentwicklung von Kompetenzen noch wichtiger wird und Besch?ftigte unterstützt werden müssen, ihre eigene Berufslaufbahn kritisch zu hinterfragen und neuen Entwicklungen gegenüber offen zu sein. Auch hier gibt es grossen Bedarf an sozialpartnerschaftlichen Instrumenten wie beispielsweise ein in Gesamtarbeitsvertr?gen definiertes Weiterbildungs?angebot an alle Besch?ftigten bei gleichzeitiger Offenheit für die Ver?nderung von Berufsprofilen. Dies hat zum Beipsiel in die Digitalisierungsstrategie der Gewerkschaft Unia Eingang gefunden.2

F?rderung von Partizipation auf allen Ebenen

Damit neue technologische M?glichkeiten im Interesse aller genutzt werden, ist der Dialog zwischen den Anspruchsgruppen von gr?sster Bedeutung. Dies sollte durch direkte Beteiligung betroffener Besch?ftigter in Technologieprojekten der Unternehmen geschehen, durch Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern und auch auf politischer Ebene, wo durch Forschungsf?rderung und gesetzliche Regulierung wichtige Weichen gestellt werden.

Einen interessanten Weg sind die SBB zusammen mit den Gewerkschaften des Eisenbahnpersonals gegangen: Sie haben gemeinsam einen Digitalisierungsfonds gegründet, mit dem Studien gef?rdert werden, die die Grundlage für eine sozialvertr?gliche Gestaltung der digitalen Transformation bei den SBB erarbeiten sollen. Die erste Studie, an der ich mitgewirkt habe, wurde Anfang September am Digitaltag ver?ffentlicht und soll den Weg für ein neues Verst?ndnis sozialpartnerschaftlicher Kooperation ebnen.3,4 Konkrete Massnahmen sollen in den n?chsten Monaten erarbeitet werden.

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