Grosses Speicherpotenzial künftig eisfreier Gletscherbecken

Glaziologen der ETH Zürich und der WSL sch?tzten das weltweite Wasserspeicher- und Wasserkraftpotenzial ab, das schmelzende Gletscher aufgrund des Klimawandels künftig frei geben k?nnten.

Gletscher
Wenn Gletscher schmelzen, geben sie Raum frei, den man als Wasserreservoir oder zur Energieproduktion nutzen k?nnte. Im Bild: Staumauer Albignasee, Graubünden. (Bild: Keystone / Alessandro Della Bella)  

Mit der Erderw?rmung wird das Gros der Gletscher weltweit in den kommenden Jahrzehnten stark abschmelzen. Damit gehen nicht nur pr?chtige Naturdenkm?ler verloren, sondern auch eine wesentliche Funktion für den Wasserkreislauf. So sind die Eismassen in den Hochgebirgen wichtige Wasserspeicher, welche die grossen Flusssysteme speisen und helfen, den Abfluss saisonal auszugleichen.

Ohne Gletscher würden Flüsse in den Sommermonaten deutlich weniger Wasser führen, was in vielen Weltregionen einschneidende Konsequenzen für die Wasserverfügbarkeit, die Energie- und Landwirtschaft h?tte. In Wissenschaftskreisen wurde daher bereits die Idee diskutiert, die schwindende Speicherfunktion der Gletscher mit Stauseen zu kompensieren (siehe Zukunftsblog ).

Eine Gruppe von Glaziologen der ETH Zürich und der Eidgen?ssischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL bringt sich nun erneut in die Diskussion um das schwindende Eis ein: In einer in externe SeiteNature ver?ffentlichten Studie untersuchen die Wissenschaftler das weltweite Potenzial für Wasserspeicher und Wasserkraft in Gletschergebieten, die im Laufe dieses Jahrhunderts eisfrei werden.

Gletscherbecken als Stauseen nutzen

In ihrer Studie analysierte das Forschungsteam um Daniel Farinotti, Professor für Glaziologie an der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich und an der WSL, rund 185’000 Gletscher. Für diese Standorte errechneten sie ein maximales, theoretisches Gesamt-Speicherpotenzial von 875 Kubikkilometern (km3) und ein maximales theoretisches Wasserkraftpotenzial von insgesamt 1350 Terawattstunden (TWh) pro Jahr.

?Dieses theoretische Gesamtpotenzial entspricht etwa einem Drittel der heutigen, weltweiten Wasserkraftproduktion. Doch nur ein Teil davon w?re in der Realit?t tats?chlich realisierbar?, r?umt Farinotti ein.

Um eine realistischere Sch?tzung zu erhalten, unterzogen die Forschenden die Standorte zudem einer ersten Eignungsprüfung. So identifizierten sie rund 40 Prozent des theoretischen Gesamtpotenzials als ?m?glicherweise? geeignet, was einem Speichervolumen von 355 km3 und einem Wasserkraftpotenzial von 533 TWh pro Jahr gleichkommt. Letzteres entspricht rund 13 Prozent der heutigen, weltweiten Wasserkraftproduktion oder dem Neunfachen des j?hrlichen Elektrizit?tsbedarfs der Schweiz.

?Dieses potenziell geeignete Speichervolumen würde bereits ausreichen, um etwa die H?lfte des j?hrlichen Abflusses aus den untersuchten Gletschereinzugsgebieten zurückzuhalten?, führt Farinotti aus. Des Weiteren k?nnten – unter Annahme eines mittleren Klimaszenarios – etwa drei Viertel des Speicherpotenzials bereits bis 2050 eisfrei werden.

Potenzial zurückhaltend gesch?tzt

Für ihre Analyse verwendeten die Glaziologen ein globales Gletscher-Inventar und platzierten zun?chst virtuell eine Staumauer am heutigen Ende jedes Gletschers mit einer Fl?che gr?sser als 50‘000 Quadratmeter ausserhalb der Subantarktis. Dann optimierten sie die Gr?sse der Stauseen durch eine geeignete Ausrichtung und H?he der D?mme. Dabei achteten sie auch darauf, dass die Stauseen negative Landschaftsauswirkungen minimieren und nicht nur den wirtschaftlichen Ertrag maximieren. Um das Speichervolumen der so ausgew?hlten 185’000 Standorte zu bestimmen, nutzte das Team digitale H?henmodelle des subglazialen Gel?ndes und kombinierte diese mit einem Gletscherentwicklungsmodell.

Bei der anschliessenden Eignungsprüfung bewerteten die Forschenden die Standorte anhand mehrerer ?kologischer, technischer und wirtschaftlicher Kriterien. ?Darauf basierend schlossen wir die ungeeignetsten Gletschergebiete im Sinne einer realistischeren Betrachtung aus?, erkl?rt Vanessa Round, die an beiden Institutionen affiliiert und massgeblich an der Studie beteiligt war. Bei jedem Gletscher einen Damm zu errichten sei weder realistisch noch wünschenswert.

Ein Modell für die Zukunft?

Das Team betont, dass die lokalen Auswirkungen von Fall zu Fall bewertet werden müssten. Dennoch deuten die Ergebnisse der globalen Potenzialstudie darauf hin, dass entgletscherte Becken in einer Reihe von L?ndern, insbesondere im Hochgebirge Asiens, wichtige Beitr?ge zur nationalen Energieversorgung und zur zwischenzeitlichen Speicherung von Wasser leisten k?nnten.

L?nder mit besonders grossem Potenzial sind Tadschikistan, in dem das errechnete Wasserkraftpotenzial rund 80 Prozent des aktuellen Elektrizit?tsverbrauchs ausmachen k?nnte, Chile (40 Prozent), oder Pakistan (35 Prozent). Kanada, Island, Bolivien, und Norwegen haben ein Potenzial von 10 bis 25 Prozent ihres derzeitigen Verbrauchs. Für die Schweiz kommt die Studie auf ein Potenzial von 10 Prozent.

Derweil hat das Bundesamt für Energie Ende August das Ausbaupotenzial für die Schweizer Wasserkraft nach unten korrigiert. Dies vor allem wegen neuen Sch?tzungen der Produktionsverluste durch Restwasserbestimmungen und weil das Ausbaupotenzial der Kleinwasserkraft geringer eingestuft wird als noch 2012. Das BFE hat in seiner Beurteilung jedoch das Wasserkraftpotenzial, das in künftig eisfreien Gletschergebieten entstehen k?nnte, explizit ausgeklammert. Die Gletscherforschenden um Farinotti sehen daher keinen Widerspruch zu ihren Resultaten, weil sich die beiden Studien nicht direkt vergleichen lassen.

Literaturhinweis

Farinotti D et al. Large hydropower and water storage potential in future glacier-free basins. Nature (2019). doi: externe Seite10.1038/s41586-019-1740-z

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