Das Gesundheitssystem neu denken

Die ETH Zürich beabsichtigt, ihre Forschungsaktivit?ten in Singapur zu verst?rken. Sie will das bestehende Programm ?Future Resilient Systems? um fünf Jahre verl?ngern und im kommenden Jahr ein neues Programm ?Future Health Technologies? starten.

ETH-Präsident Joël Mesot heisst die Gäste willkommen. (alle Bilder: Carli Teteris / silkandsaltimages.com )
ETH-Pr?sident Jo?l Mesot heisst die G?ste willkommen. (alle Bilder: Carli Teteris / silkandsaltimages.com)

Gestern Donnerstag, 5. Dezember hat die ETH Zürich ihre Zukunftspl?ne für Singapur vorgestellt. Vor dem CREATE Council Meeting haben ETH-Pr?sident Jo?l Mesot, ETH-Vizepr?sident für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen Detlef Günther und der Direktor des Singapore-ETH Centre (SEC) Gerhard Schmitt zu einer Informationsveranstaltung eingeladen, an der die Programmverantwortlichen ihre Projekte pr?sentiert haben. Auf besonderes Interesse stiess das neue Forschungsprogramm ?Future Health Technologies?, das die ETH gemeinsam mit der National Research Foundation of Singapore (NRF) im M?rz 2020 starten will.

Antworten auf die alternde Gesellschaft

Die alternde Gesellschaft stellt Staaten weltweit vor neue Herausforderungen. W?hrend heute in der Schweiz das Gesundheitssystem noch gut funktioniert, gibt es in anderen L?ndern Europas bereits deutliche Anzeichen dafür, dass die Leistungen abnehmen. Etwa wenn Spit?ler und Kliniken zunehmend Mühe haben, Personal zu finden oder Pl?tze in Rehabilitationszentren so rar sind, dass Patientinnen und Patienten wochenlang nicht überwiesen werden k?nnen. Diese Probleme werden sich in den kommenden Jahren weiter akzentuieren, auch in der Schweiz, denn über die n?chsten Jahrzehnte wird der Anteil der über 60-j?hrigen in der Bev?lkerung rapide zunehmen.  Die Akteure des Gesundheitswesens – Spit?ler, Forschung, Pharma, aber auch die Politik und Versicherungswirtschaft – sind gefordert, tragbare und tragf?hige Alternativen zu entwickeln.

Vergr?sserte Ansicht: Nicole Wenderoth stellt das Programm «Future Health Technologies» vor.
Nicole Wenderoth stellt das Programm ?Future Health Technologies? vor.

?In Singapur kann man viel lernen, denn es hat die Zeichen früh erkannt?, sagt Nicole Wenderoth, Professorin für neuronale Bewegungskontrolle an der ETH Zürich, ?und ein Office for Healthcare Transformation gegründet, das sich der Herausforderung annimmt.? In Singapur geniesse zudem die Frage nach dem Return on Investment generell einen hohen Stellenwert – auch bei Gesundheitsfragen. So bietet der Stadtstaat ein zukunftsorientiertes Umfeld, um effiziente und praktikable L?sungen für diese globale Herausforderung zu entwickeln und zu testen.

Wenderoth ist die designierte Direktorin des neuen Programms ?Future Health Technologies?, das die ETH Zürich unter dem Dach des SEC gemeinsam mit Partnern aus Universit?ten, Kliniken und der Industrie vor Ort lancieren will. Im Zentrum steht die Frage, wie sich innovative Projekte im Gesundheitsbereich ausserhalb von Spit?lern und Kliniken umsetzen lassen. Konkret geht es um neue Ans?tze in der Pr?vention und in der Betreuung von Patientinnen und Patienten nach einem Klinikaufenthalt.

Future Health Technologies

Starten will die ETH das neue Programm mit drei Projekten, die von hoher gesellschaftlicher Relevanz sind und nur in enger Zusammenarbeit zwischen Klinikern und Forschenden aus Singapur und Zürich angegangen werden k?nnen. ?Wir wollen nicht nur wissen, ob zum Beispiel ein bestimmter Sensor richtig misst, sondern einen Prozess definieren, der aufzeigt, was es braucht, damit neue Technologien Gesundheit und Wohlbefinden tats?chlich verbessern?, erkl?rt Wenderoth. Welche Barrieren einer Anwendung im Weg stehen und wie sich diese überwinden lassen. ?Dabei werden wir ethische Standards entwickeln und regulatorische Belange berücksichtigen, zwei Aspekte also, die für eine effiziente Entwicklung von Gesundheitstechnologien essentiell sind?, führt Wenderoth weiter aus. Dieses Wissen liesse sich dann auch für die Schweiz und andere L?nder anpassen.

Knochenbrüche verhindern

Wie ein solcher Prozess aussehen k?nnte, illustriert das Projekt der Professoren Bill Taylor und Stephen Ferguson vom Institut für Biomechanik der ETH Zürich und von Professorin Angelique Chan sowie Professor David Matchar von der Duke-NUS Medical School in Singapur, bei dem es um die Pr?vention von Oberschenkelhalsbrüchen bei ?lteren Leuten geht.

Pr?ventionsprojekte zielen darauf ab, dass Einzelpersonen ihr Verhalten ?ndern. Das ist allerdings sehr schwierig zu erreichen, weshalb breit angelegte Pr?ventionsmassnahmen nur schwer finanzierbar sind. Kann man aber jene Personen unterstützen, die ein erh?htes Risiko für Stürze und Knochenbrüche aufweisen, ist dies für das Gesundheitssystem kostengünstiger. Genau hier wird das Projekt ansetzen.

Die ETH-Forscher besch?ftigen sich seit Jahren mit Ganganalysen. Sie haben dafür Sensoren entwickelt, mit denen sie die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person auch ausserhalb des Labors hinf?llt, bestimmen k?nnen. Für diese Risikogruppe steht ein biomechanisches Modell zur Verfügung, das Ben Helgason aus Fergusons Gruppe entwickelt hat. Aufgrund eines einfachen Scans der Hüfte l?sst sich damit vorhersagen, ob bei einem Sturz Knochen brechen und welche es sein k?nnten. So lassen sich jene Personen herausfiltern, die ein Risiko haben, sich bei einem Sturz tats?chlich einen Knochen zu brechen.

Hier kommen die klinischen Partner in Singapur ins Spiel, die Leuten dieser Risikogruppe Trainings anbieten, um ihre Muskeln zu st?rken oder ihnen beizubringen, wie sie sich bei einem Sturz abfangen k?nnen.

?Am Anfang werden wir grosse Kohorten überprüfen müssen? r?umt Nicole Wenderoth ein. Doch die Idee sei, ein Stufenmodell zu entwickeln. Dabei sollen ?ltere Menschen mit dem Smartphone erste Tests machen k?nnen, um ihr Sturzrisiko zu evaluieren. Die Hilfsmittel für weitere Abkl?rungen k?nnten dann Altersmedizinern übergeben werden, die Personen mit erh?htem Risiko ein angepasstes Training anbieten.

Mit Chatbots Verhalten beeinflussen

Eine zentrale Rolle spielen die Partner in Singapur auch beim zweiten Projekt zum Thema Fettleibigkeit. Diese Krankheit betrifft hunderte Millionen von Menschen weltweit. Sie erh?ht das Diabetes-Risiko stark. Hier gilt es, den Betroffenen beizubringen, ihre Ern?hrungsgewohnheiten zu ?ndern, was schwierig zu erreichen ist.

An der ETH Zürich haben Forschende um Elgar Fleisch, Professor für Informationsmanagement, und Florian von Wangenheim, Professor für Technologiemarketing, Chatbots entwickelt. Diese sollen Personen dabei unterstützen, ihre Lebensgewohnheiten zu ?ndern. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass ihre Chatbots von Patienten nicht nur benutzt werden, sondern sich auch deren klinischen Parameter positiv beeinflussen lassen. Damit solche Chatbots aber angewendet werden, müssen sie in der Interaktion die kulturellen Gegebenheiten berücksichtigen. ?Das neue Programm in Singapur gibt den Forschenden nun Gelegenheit, solche Chatbots für Asien zu entwickeln?, sagt Wenderoth. Singapur ist dafür ein guter Standort, weil im Stadtstaat Menschen aus verschiedenen Kulturen leben.

Mit Professor Tai E Shyong hat das Projekt einen internationalen Experten für Fettleibigkeit und Diabetes an Bord, der nicht nur an der National University of Singapore forscht und lehrt, sondern auch am nationalen Universit?tsspital in Singapur t?tig ist. ?Unsere Partner vor Ort kennen die unterschiedlichen Kulturen und machen viele Feldstudien, auch in Quartieren, in denen nicht nur hochgebildete und begüterte Menschen leben. Gerade für dieses Projekt ist dieser Zugang essentiell.?

Rehabilitation effizienter machen

Beim dritten Projekt wollen Wenderoth und Roger Gassert, Professor für Rehabilitation Engineering, zusammen mit Professorin Karen Chua vom Tan Tock Seng Hospital und Professor Ang Wei Tech von der Nanyang Technological University in Singapur eine effiziente Therapie für Schlaganfallpatientinnen und -patienten entwickeln. Zum einen in den Rehazentren und Kliniken, indem sie auf Grund einfacher Messungen versuchen, eine auf den Patienten zugeschnittene Behandlung anzubieten. Neue Trainingstechnologien werden auch mobile Therapien erm?glichen, so dass Patienten früher nach Hause entlassen werden k?nnen. Dort k?nnen sie in ihrem gewohnten Umfeld trainieren, werden dabei aber immer noch von ihrem Therapeuten aus der Ferne betreut.

Abschlussverhandlungen

Vergr?sserte Ansicht: ETH-Vizepräsident Detlef Günther betont die Bedeutung des Engagements der ETH in Singapur.
ETH-Vizepr?sident Detlef Günther betont die Bedeutung des Engagements der ETH in Singapur.

Bevor die Forschenden im M?rz 2020 starten k?nnen, müssen die letzten Vertragsdetails zwischen der ETH Zürich und der National Research Foundation of Singapore (NRF), den beiden Tr?gerinnen des Singapore-ETH Centre (SEC), geregelt werden. Das gleiche gilt für die zweite Phase des Programms ?Future Resilient Systems?, das 2014 startete und dessen erste Phase nun ausl?uft. In diesem Programm besch?ftigen sich Forschende aus Zürich mit Kolleginnen und Kollegen von der National University und der Nanyang Technical University in Singapur mit Fragen zur Belastbarkeit von unterschiedlichen Infrastrukturen . Dazu haben sie bereits über 80 wissenschaftliche Studien publiziert.

Detlef Günther, als ETH-Vizepr?sident Forschung und Wirtschaftsbeziehungen einer der drei Vorsitzenden des SEC Governing Board, ist zuversichtlich, dass die Vertr?ge bald unterschrieben werden. Er betont, dass das Engagement der ETH im ?Living Lab?, wie sich Singapur selbst nennt, nicht nur für die Hochschule von strategischer Bedeutung ist, sondern für die ganze Schweiz. ?In und von Singapur k?nnen wir viel lernen. Wir bringen Erfahrungen und Erkenntnisse in die Schweiz zurück, die für uns sehr wichtig werden, aber derzeit hier so nicht gewonnen werden k?nnen?, sagt Günther. Zum anderen biete das SEC Doktorierenden und Postdoktorandinnen die Chance, sich in einen interdisziplin?ren Forschungscluster einzubringen, der aus unterschiedlichen Kulturen besteht.

Vergr?sserte Ansicht: Die Forschenden sind bereit für die neuen Herausforderungen.
Die Forschenden sind bereit für die neuen Herausforderungen.

Singapore-ETH Centre (SEC)

Das Singapore-ETH Centre for Global Environmental Sustainability (SEC) wurde 2010 von der ETH Zürich gemeinsam mit der National Research Foundation of Singapore (NRF) gegründet. Es ist der wissenschaftliche Knotenpunkt der ETH Zürich in Asien und dient der Vernetzung mit Forschenden von Universit?ten, Forschungseinrichtungen und der Industrie vor Ort. Das SEC bildet den Rahmen für einzelne Forschungsprogramme, die jeweils fünf Jahre laufen.

Das Future Cities Laboratory (FCL) startete 2010 als erstes solches Programm und wurde 2015 um fünf Jahre verl?ngert (FCL 2). Eine weitere Verl?ngerung ist nicht m?glich. Aufgrund des grossen Erfolgs des Programms sprechen ETH und NRF über die Lancierung eines neuen Programms unter dem Arbeitstitel FCL Global, welches im zweiten Halbjahr 2020 starten k?nnte.

Das Programm Future Resilient Systems (FRS) wurde 2014 lanciert und l?uft nun aus. Zurzeit verhandeln ETH und NRF über die Details eines Nachfolgeprogramms (FRS 2).

Für Frühling 2020 planen ETH und NRF das neue Programm Future Health Technologies (FHT). Auch hier müssen in Vertragsverhandlungen noch Details geregelt werden.

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