Die Coronakrise fürs Klima nutzen

Anstatt den notwendigen Strukturwandel hinauszuz?gern, sollten wir die staatlichen Hilfsprogramme für einen nachhaltigen Neustart der Wirtschaft nutzen, argumentiert Jochen Markard.

Jochen Markard

Weltweit schnüren Staaten milliardenschwere Hilfspakete, um Betriebe und Arbeitspl?tze zu sichern. Die Schweiz stützt die Swiss. Deutschland plant ein Hilfsprogramm für die Autoindustrie, und die USA und Kanada wollen ihre ?l- und Gasindustrie retten. Dabei bleibt der Klimaschutz oft aussen vor.

Der Reflex, bestehende Schlüsselbranchen zu retten, ist zun?chst verst?ndlich. Im Fall von Covid-19 müssen Staaten kurzfristig reagieren – es gilt rasch und unbürokratisch zu helfen. Wir sind aber mit einer weiteren fundamentalen globalen Herausforderung konfrontiert: dem Klimawandel. Er erfordert den mittel- und langfristen Umbau von Wirtschaft und Konsum.

Fahrrad-Ampel steht auf Grün
Die neue Normalit?t k?nnte nachhaltig sein: Grünes Licht für eine klimafreundliche Gesellschaft. (Bild: Michele Ursi / iStock)

Vermeintlich erscheint die Klimafrage als weniger dringlich – doch das Problem spitzt sich seit Jahren zu und die Folgen werden umso gravierender, je l?nger wir warten. Wir haben heute weder die Zeit noch die Ressourcen, zwei so grosse Krisen wie die Pandemie und den Klimawandel unabh?ngig voneinander zu bek?mpfen.

Daher gilt es, Synergien zu nutzen. Allerdings haben Erfahrungen aus der Finanzkrise gezeigt, dass staatliche Liquidit?tsspritzen zur Krisenbew?ltigung h?ufig bestehende Strukturen zementieren. Ver?nderung gelingt so nicht. Anstatt knappe Steuergelder in klimasch?dliche Branchen zu stecken, sollten wir in zukunftsf?hige Industrien und Gesch?ftsmodelle investieren. Wie kürzlich in einem Editorial in externe SeiteScience dargelegt, k?nnen wir durch die Coronakrise in zweifacher Hinsicht Hebel ansetzen, um den Weg in eine kohlenstofffreie Zukunft zu ebnen.1

Disruption punktuell walten lassen

Lockdowns haben die Wirtschaft massiv destabilisiert. So verheerend dieser Schock ist, seine zerst?rerische Kraft kann auch helfen, bestehende Strukturen aufzubrechen, insbesondere im fossilen Energiesystem. Der erste Ansatz besteht also darin, klimasch?dliche Gesch?ftsmodelle, die jetzt in der Krise straucheln, bewusst nicht zu retten.

?Hilfsgelder sollten nicht den Kohlekraftwerken oder Minenbetreibern, sondern den betroffenen Bergbauregionen und Menschen zugutekommen.?Jochen Markard

Ein Beispiel sind Kohlekraftwerke. L?nder wie Grossbritannien, Italien und Kanada sind bereits auf gutem Wege, diese besonders CO2-intensiven Anlagen auszumustern. Corona erlaubt es, den geplanten Strukturwandel in der Kohleindustrie zu beschleunigen. Entscheidend ist, dass Hilfsgelder nicht den Kraftwerken oder Minenbetreibern, sondern den betroffenen Bergbauregionen und Menschen zugutekommen. Sie gilt es mit Frühpensionierungen, Umschulungen und vor allem dem Aufbau neuer Industrien bestm?glich zu unterstützen.

Ein weiteres Beispiel ist die Autoindustrie. Mit Klima und Digitalisierung ist sie seit Jahren gefordert. Anstatt jedoch konsequent auf alternative Antriebe zu setzen, pushten die Hersteller in erster Linie die lukrativen SUVs in den Markt. Eine weitere Runde staatlicher Abwrackpr?mien, wie sie Deutschland diskutiert, ist hier sicher der falsche Weg. Zielführend w?re meiner Ansicht nach, in Fabriken, Batterien und Ladenetze für die Elektromobilit?t zu investieren – und gleichzeitig Alternativen zum Auto voranzutreiben.

Innovationen gezielt st?rken

Der zweite Ansatz dreht sich um Dienstleistungen und Technologien für eine umfassende Dekarbonisierung unserer Gesellschaft. Dort wo heute schon klimaschonende Alternativen verfügbar sind, müssen wir diese beschleunigt verbreiten. Naheliegende Massnahmen reichen vom Ersatz von ?l- und Gasheizungen über die Installation von Solaranlagen auf Gewerbe- und Bürogeb?uden bis hin zum Ausbau des ?ffentlichen Verkehrs und der E-Mobilit?t.

In anderen Bereichen brauchen wir l?ngerfristige Strategien, um Alternativen neu zu entwickeln. Ich denke da insbesondere an CO2-intensive Sektoren, die schwer zu dekarbonisieren sind: Dazu z?hlen einerseits Industrien wie Stahl, Zement und Chemie, andererseits die Landwirtschaft sowie die Schiff- und Luftfahrt. Hier sind umfassende Innovationsprogramme erforderlich, um klimafreundliche Substitute – etwa Holz für Beton oder (grünen) Wasserstoff für Schwer?l – marktf?hig zu machen. L?nder und Firmen, die hier vorangehen, k?nnen sich international Wettbewerbsvorteile verschaffen.

Corona-Hilfsprogramme k?nnen den Grundstein für einen nachhaltigen Strukturwandel legen. Wir sollten diese Chance nutzen.

Weitere Informationen

Die Ideen, die zu diesem Beitrag führten, entwickelte Jochen Markard gemeinsam mit externe SeiteDaniel Rosenbloom von der Universit?t Toronto.

1 Rosenbloom, D., Markard, J., 2020. A COVID-19 recovery for climate. Science 368 (6499), 477. DOI: externe Seite10.1126/science.abc4887

Markard, J., Rosenbloom, D., 2020. externe SeiteA tale of two crises: COVID-19 and Climate. Sustainability: Science, Practice and Policy.  

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