Bauplan für die ideale Corona-App

Viele L?nder setzen bei der Bew?ltigung der Covid-19-Pandemie auf digitale Hilfsmittel. ETH-Forschende zeigen nun auf, welche ethischen Fallstricke es zu beachten gilt und welche Fragen bei der Planung, Entwicklung und Implementierung dieser Tools sorgf?ltig gekl?rt werden müssen.

Corona-App
Digitale Tools werden heute in vielen L?ndern eingesetzt, um die COVID-19-Pandemie einzud?mmen. (Bild: Shutterstock)

H?ndewaschen, Abstandhalten, Maskentragen: All diese Massnahmen haben sich in der gegenw?rtigen Covid-19-Pandemie als wirksame Massnahmen erwiesen – so wie vor 100 Jahren, als die Spanische Grippe wütete. Doch im Gegensatz zu damals stehen uns heute weitere Instrumente zur Verfügung. Zahlreiche L?nder setzen inzwischen digitale Werkzeuge wie Tracing-Apps ein, welche die altbew?hrten Mittel erg?nzen sollen.

Ob diese tats?chlich die gewünschte Wirkung erzielen werden, muss sich allerdings erst noch weisen. Gründe, warum der erhoffte Erfolg ausbleiben k?nnte, gibt es einige: Technische M?ngel, fehlende Akzeptanz in der Bev?lkerung oder fehlerhafte Daten sind Faktoren, die dazu führen k?nnen, dass die Instrumente letztlich wirkungslos bleiben. Im ungünstigsten Fall werden die digitalen Helfer sogar zu einem Albtraum für den Datenschutz oder führen zur Stigmatisierung bestimmter Bev?lkerungsgruppen.

Es gibt keine Wunderl?sung

Genau das gilt es nach Ansicht von Effy Vayena, Professorin für Bioethik der ETH Zürich, zu verhindern. Mit ihrer Gruppe hat sie kürzlich eine Tour d'Horizon publiziert, welche ethischen und rechtlichen Aspekte bei der Entwicklung und Implementierung digitaler Hilfsmittel berücksichtigt werden müssen. ?Natürlich k?nnen diese Instrumente sehr nützliche Dienste leisten?, erkl?rt sie. ?Aber man darf von ihnen keine Wunder erwarten.?

Die Autoren und Autorinnen der Studie haben vier Kategorien von Tools n?her angeschaut: Contact-Tracing-Apps, zu denen auch die von der EPFL und ETH Zürich mitentwickelte Swiss-Covid-App geh?rt; Programme, mit denen sich anhand der Symptome einsch?tzen l?sst, ob eine Infektion vorliegt; Apps zur Kontrolle, ob Quarant?nevorschriften eingehalten werden; sowie Flow-Models, die beispielsweise Google für die Mobilit?tsberichte verwendet.

Unsorgf?ltiges Vorgehen r?cht sich

So unterschiedlich die Tools auch sind: Zentral ist stets, dass der ?ffentliche Nutzen, den man sich von der entsprechenden Technologie verspricht, sorgf?ltig gegen die m?glichen Nachteile – beispielsweise in Bezug auf den Datenschutz – abgewogen wird. Das t?nt im Prinzip einleuchtend. Doch gerade in akuten Phasen, wenn Politik und Bev?lkerung rasch Werkzeuge zur Hand haben m?chten, scheint die Zeit für langwierige Abkl?rungen zu fehlen – ein Trugschluss, ist Vayena überzeugt: ?Die Leute haben teilweise v?llig überzogene Erwartungen, was eine App leisten kann?, meint sie. ?Eine einzelne Technologie kann nie die L?sung für das ganze Problem sein. Und wenn wir eine schlechte L?sung haben, weil wir zu wenig sorgf?ltig vorgegangen sind, unterminiert das den l?ngerfristigen Erfolg.?

Eine strenge wissenschaftliche Validierung sei daher unabdingbar, ist Vayena überzeugt. ?Funktioniert die Technologie wirklich wie gewünscht? Ist sie effektiv genug? Liefert sie genügend zuverl?ssige Daten? All das müssen wir laufend überprüfen.? Auch zur sozialen Akzeptanz gebe es viele Fragen: ?Im April sagten noch über 70 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer, sie würden die Corona-App installieren, sobald sie da ist?, ruft die Forscherin in Erinnerung. ?Nun, Ende Juni, sagt über die H?lfte, sie wolle sie nicht installieren. Woher kommt dieser Gesinnungswandel??

Unerwünschte Nebeneffekte mitdenken

Die Forschenden erw?hnen eine ganze Reihe von ethischen Fragen, die es bei der Entwicklung zu bedenken gilt. So muss beispielsweise verhindert werden, dass die von einer App erhobenen Daten über den eigentlichen Zweck hinaus verwendet werden, ohne dass dies den Nutzern bewusst ist. Ein abschreckendes Beispiel dazu ist eine chinesische App zur Einsch?tzung von Quarant?nemassnahmen, die offenbar Informationen direkt an die Polizei weiterleitet. Die ETH-Forschenden halten zudem fest, dass der Einsatz der digitalen Tools zeitlich limitiert werden muss, damit diese sp?ter von den Beh?rden nicht zur ?berwachung der Bev?lkerung missbraucht werden.

Schliesslich sprechen die Autorinnen und Autoren auch Fragen der Zug?nglichkeit und Diskriminierung an. So erheben einige Apps soziodemografische Daten. Diese sind für die Gesundheitsbeh?rden zwar aufschlussreich, bergen jedoch die Gefahr, dass sie zu Diskriminierung führen. Wie schnell in einer Krise Menschen bereit sind, andere anzuschw?rzen, zeigte sich zu Beginn der Krise, als asiatisch-st?mmige Menschen zu Unrecht pauschal als m?gliche Corona-Tr?ger verd?chtigt wurden. ?An solche Nebeneffekte muss man von Anfang an denken?, erkl?rt Vayena.

?berall die gleichen Prinzipien

Wie also sollen die Entwickler solcher Apps vorgehen? Die Forschenden zeigen Schritt für Schritt auf, welche Fragen in welcher Phase von der Planung bis zur Implementierung jeweils beantwortet werden müssen. ?Natürlich gibt es immer l?nderspezifische Besonderheiten? erkl?rt Vayena. ?Doch die grundlegenden Prinzipien – Respektieren der Autonomie und Privatsph?re, F?rderung der Gesundheitsvorsorge und Solidarit?t sowie Verhindern von neuen Infektionen und b?swilligen Handlungen – sind überall die gleichen. Wenn man diese berücksichtigt, findet man L?sungen, die nicht nur technisch, sondern auch ethisch überzeugen und einen nützlichen Beitrag leisten, um die Krise zu bew?ltigen.?

Vergr?sserte Ansicht: Klassifizierung der wichtigsten digitalen Tools, die heute zur COVID-19-Bekämpfung eingesetzt werden. (Bild: ETH Zürich)
Klassifizierung der wichtigsten digitalen Tools, die heute zur COVID-19-Bek?mpfung eingesetzt werden. (Bild: ETH Zürich)
Vergr?sserte Ansicht: Aus den sechs ethischen Prinzipien (innerer Kreis) ergeben sich verschiedene Fragen, die bei der Entwicklung von digitalen Tools berücksichtigt werden müssen. (Bild: ETH Zürich)
Aus den sechs ethischen Prinzipien (innerer Kreis) ergeben sich verschiedene Fragen, die bei der Entwicklung von digitalen Tools berücksichtigt werden müssen. (Bild: ETH Zürich)

Literaturhinweis

Gasser U, Ienca M, Scheibner J, Sleigh J, Vayena E. Digital tools against COVID-19: taxonomy, ethical challenges, and navigation aid. The Lancet Digital Health. 29. June 2020. DOI: externe Seite10.1016/S2589-7500(20)30137-0

Ethical considerations to guide the use of digital proximity tracking technologies for COVID-19 contact tracing. Richtlinie (Interim guidance) der WHO vom 28. Mai 2020:  Das Dokument wurde von einer Arbeitsgruppe unter der Leitung von ETH-Professorin Effy Vayena erarbeitet. externe Seitehttps://www.who.int/publications/i/item/WHO-2019-nCoV-Ethics_Contact_tracing_apps-2020.1

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