Länder profitieren, wenn sie voneinander lernen

Warum es in dieser Pandemie so wichtig ist, dass sich Experten über L?ndergrenzen hinweg austauschen, erkl?rt Roman Stocker, Mitglied der nationalen Covid-19-Wissenschafts-Taskforce.

Prof. Roman Stocker

Sars-?CoV-2 hat sich auf der ganzen Welt verbreitet. Doch von Land zu Land unterscheiden sich der genaue Verlauf der Pandemie und der Umgang mit ihr. Man k?nnte diese Pandemie daher als ein riesiges (wenn auch bedauerliches) wissenschaftliches Experiment betrachten, das weltweit dutzende Male mit einigen Variationen wiederholt wird. Aus diesen Wiederholungen l?sst sich eine Fülle an Information gewinnen. Die einzelnen L?nder sollten diese nutzen, indem sie Informationen mit anderen L?ndern austauschen und voneinander lernen.

Menschen mit Masken in Asien
In vielen asiatische L?ndern waren Masken von Anfang an Teil der Pandemiebek?mpfungsmassnahmen. Westliche L?nder übernahmen die Massnahme nur z?gerlich. (Bild: Adobe Stock)

Die Erfahrungen anderer L?nder sind ein Reservoir potenzieller L?sungen, die wir mit den Bedürfnissen und Realit?ten unseres eigenen Landes abgleichen k?nnen. Wegen des hohen Tempos, mit dem diese Pandemie voranschreitet, mussten immer wieder Entscheidungen getroffen werden, bevor aussagekr?ftige wissenschaftliche Antworten vorlagen. Soll die Bev?lkerung Masken tragen? Sollen Schulen geschlossen werden? Sind Aerosole gef?hrlich? Sind Massentests sinnvoll? Gerade in solchen Situationen, in denen L?nder angesichts grosser Unsicherheiten Entscheidungen treffen müssen, ist das Lernen voneinander ein grosser Vorteil.

Kulturelle Distanzen überwinden

Doch nicht immer ist das einfach. Manchmal sind die Unterschiede der politischen Systeme, Normen und ?berzeugungen zu gross. Dies ist etwa der Fall bei einigen Contact-Tracing-Massnahmen asiatischer L?nder, die nach westlichen Standards zu stark in die Privatsph?re eingreifen.

Bei anderen Aspekten hingegen wurde das Lernen voneinander durch eine kulturelle Distanz behindert, die mehr scheinbar als wirklich ist. Mit der Erfahrung der Sars-Epidemie von 2002 machten einige asiatische L?nder schon früh in der Covid-19-Pandemie die Welt auf die Vorteile des Maskentragens aufmerksam. Der Westen reagierte mit Skepsis und z?gerlich. Doch heute, nur wenige Monate sp?ter, werden Masken weltweit als grundlegend für die Bek?mpfung der Pandemie anerkannt.

?Wir sollten versuchen, über Unterschiede hinwegzusehen, und es als Privileg sch?tzen, voneinander lernen zu k?nnen.?Roman Stocker

Der Glaube, es besser machen zu k?nnen als andere, hat sich als weiteres Hindernis erwiesen, voneinander zu lernen. Die frühe Ansicht einiger L?nder, sie w?ren ?immun? gegen die Pandemie, war ebenso bizarr wie sch?dlich. Das Gegenteil gilt für Gebiete und L?nder wie Taiwan, Neuseeland und Griechenland. Sie haben schnell aus den Ereignissen in anderen L?ndern gelernt und mit diesem Wissen entschlossen gehandelt.

In der Schweizer Covid-19-Wissenschafts-Taskforce, deren Expertengruppe ?International Exchange? ich leite, haben wir stets den Austausch mit unseren internationalen Kollegen gesucht. Schon in den ersten Tagen nachdem die Pandemie Europa erreicht hatte, h?rten wir dramatische Berichte aus erster Hand von führenden Vertretern des Gesundheitswesens in Norditalien, und wir erfuhren, wie wichtig ein angemessener Schutz für das Gesundheitspersonal ist.

In den darauffolgenden Monaten führten wir bilaterale Gespr?che mit Südkorea, Singapur, Neuseeland, Australien, Grossbritannien, Italien, Deutschland, Spanien, den Niederlanden, ?sterreich und Frankreich. Zudem gibt es einen regelm?ssigen Austausch mit wissenschaftlichen Beratern aus fast 20 L?ndern. Durch diese Verbindungen haben wir sehr viel Wissen ausgetauscht, das in unsere Analysen und unsere Beratung der Beh?rden und der Bev?lkerung eingeflossen ist.

Das Beispiel Massentests

Bei einigen Themen erscheint das, was wir gelernt haben, im Nachhinein offensichtlich, wie zum Beispiel der Nutzen von Masken. Bei anderen Themen sind wir noch am Lernen. Nehmen wir zum Beispiel das Thema Massentests. Es gibt eine Debatte darüber, ob der epidemiologische Nutzen von Tests an der gesamten Bev?lkerung eines Landes oder einer Region den logistischen Aufwand rechtfertigt.

Eindeutige wissenschaftliche Beweise für die Wirksamkeit werden erst in einiger Zeit vorliegen, dennoch haben einige L?nder bereits Massentests durchgeführt. Wie? Indem sie von den Erfahrungen anderer L?nder lernen: bei der Wahl der Testkits, der Logistik, den Kommunikationsstrategien, um die Akzeptanz in der Bev?lkerung sicherzustellen, und dem Umgang mit der Tatsache, dass die verwendeten Schnelltests in einigen F?llen infizierte Personen nicht erkennen (falsch negative Testergebnisse).

Offen sein für die L?sungen anderer

Die Slowakei war das erste europ?ische Land, das Massentests in der Bev?lkerung durchgeführt hat. Das Land konnte damit die Epidemie aber nicht wesentlich eind?mmen, wahrscheinlich aufgrund des Umgangs mit den falsch negativen F?llen. Südtirol lernte von der Slowakei, indem es bei seinem Massentest sicherstellte, dass auch negativ getestete Personen eine Woche lang nach dem Test nur minimale Kontakte hatten. Es konnte die Fallzahlen deutlich senken. ?sterreich schickte eine Wissenschaftsdelegation, um den Massentest in Südtirol zu studieren und eine eigene Testkampagne zu entwerfen, die durch wiederholte Tests in Regionen mit hoher Pr?valenz erg?nzt wird. Das Lernen von unseren Nachbarn kann sehr wertvoll sein, falls in der Schweiz Massentests erwogen werden.

Eng verbunden und offen für die L?sungen anderer L?nder zu sein, ist ein effektiver Weg, um Strategien für den Umgang mit gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewerten. Dies gilt nicht nur für diese Pandemie, sondern auch für andere gesellschaftliche Herausforderungen wie zunehmende Antibiotikaresistenzen und den Klimawandel. Bei der Bew?ltigung dieser Bedrohungen sollten wir versuchen, über Unterschiede hinwegzusehen, und es als Privileg sch?tzen, voneinander lernen zu k?nnen.

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