Wir haben es auf dem Teller
Wenig spricht dafür, dass unser Fleischkonsum bald sinkt. Im letzten Beitrag des Jahres erkl?rt Lukas Fesenfeld, warum er ein nachhaltiges Ern?hrungssystem dennoch für machbar h?lt.
Weihnachten steht vor der Tür, und damit auch eine Reihe von Festessen – dieses Jahr wohl eher im kleineren Kreise. Nein, ich will Ihnen den weihn?chtlichen Braten nicht verwehren. Das Jahresende bietet jedoch Gelegenheit, grunds?tzliche Fragen zu reflektieren und sich seiner Haltung bewusst zu werden. So t?uscht der festliche Anlass nicht darüber hinweg, dass wir unsere Essgewohnheiten und das Ern?hrungssystem ver?ndern sollten.
Kaum ein Konsumbereich schadet der Umwelt so stark wie unsere Ern?hrung. Wie wir Nahrung produzieren zerst?rt weltweit Lebensr?ume und tr?gt zu Klimawandel, Artensterben und der Entstehung von Pandemien bei.1, 2 Eng verzahnt damit ist unser Speiseplan – vor allem unser Appetit auf Fleisch.
Zugegeben, die Fakten sind ernüchternd. Wenig deutet darauf hin, dass sich der globale Fleischkonsum einfach reduzieren l?sst. Gewohnheit, Genuss, kulturelles Statussymbol und pers?nliche Freiheit sind nur einige der Gründe. Zwar stagniert der Konsum in gewissen Industriel?ndern auf hohem Niveau oder sinkt leicht, wie in der Schweiz. Doch in Entwicklungs- und Schwellenl?ndern nimmt die Nachfrage stark zu.
Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass der dringend notwendige Wandel unseres Ern?hrungssystems machbar ist.
Sensibilisierung steigt
Ein Grund ist, dass viele Menschen die Konsequenzen ihres Konsums nicht genügend verstehen. Geht es um den ?kologischen Fussabdruck, denkt man eher ans Fliegen als ans Fleisch auf dem Teller. So wird auch untersch?tzt, dass die t?gliche Essenswahl eines der effektivsten Mittel ist, um Klima, Biodiversit?t und Lebensgrundlagen zu schonen.3
?Wir stehen am Anfang einer der wichtigsten technologischen Revolutionen der jüngeren Ern?hrungswirtschaft.?Lukas Fesenfeld
Doch das ?ndert sich. Das Wissen um den eigenen Fussabdruck w?chst – nicht nur in Europa. Seit der Corona-Pandemie werden zudem vermehrt ?ffentliche Forderungen laut, das Ern?hrungssystem und die Tierhaltung grundlegend zu überdenken. Das sch?rft das Bewusstsein der Konsumentinnen und Konsumenten, auch beim Essen die Umwelt zu schützen.
Attraktive Alternativen und Essenskultur
Wir stehen am Anfang einer der wichtigsten technologischen Revolutionen der jüngeren Ern?hrungswirtschaft: Fleischsubstitute auf Pflanzenbasis bieten eine ernstzunehmende Alternative zu tierischen Produkten.4 Der Fleischersatz ist dabei t?uschend echt und kann den Hunger auf Proteine nachhaltig bedienen.
Beachtliche Investitionen in diese aufkeimende Branche steigern die Qualit?t und verringern die Preise. Das macht Pflanzenfleisch immer akzeptierter – selbst wenn es hier um tiefgreifende Ern?hrungsgewohnheiten geht. Zudem ver?ndert sich so die Essenskultur. Heute propagieren Influencer und Promis Veganes und Vegetarisches als neues Statussymbol – und nicht mehr das Angussteak.
Politikpakete schaffen Mehrheiten
Dieser Trend erh?ht die Chancen für Anpassungen im Ern?hrungssystem. In einer Studie in externe Seite Nature Food konnte wir zeigen, dass in China, Deutschland und den USA eine Mehrheit der befragten Bürger Massnahmen zur Reduktion des Fleischkonsums unterstützt – auch wenn dies h?here Preise und Eingriffe ins Privatleben bedeutet.5 Eine hohe Akzeptanz haben vor allem Politikpakete, die zugleich Massnahmen für Produktion und Konsum umfassen – also etwa das Tierwohl st?rken, Steuern auf Fleisch erh?hen und niedrige Einkommen beim Kauf umweltfreundlicher Produkte entlasten.
Aus dem Energiesektor wissen wir zudem, dass sich um neue Technologien neue Interessensgruppen formieren. Es ist zu erwarten, dass auch die grüne Fleischindustrie an politischem Einfluss gewinnt. Gepaart mit dem Druck von Investoren auf Politik und Produzenten kann dies zu ?kologischeren Rahmenbedingungen führen. Smarte Agrartechnik und Monitoring-Systeme erlauben es derweil, ?kologische Standards in komplexen Wertsch?pfungsketten transparent zu kontrollieren.
Wo Wandel ansteht, regt sich Widerstand. Um Mehrheiten zu gewinnen, ist die Kompensation der Verlierer oft unabdingbar. Hier kann die Food-Branche von den Erfahrungen der Energie- und Klimapolitik profitieren. Ein Transformationsfond für die Ern?hrungs- und Fleischindustrie, finanziert beispielsweise über CO2-Abgaben und staatliche Green Bonds, k?nnte die politische Machbarkeit entscheidend erh?hen.
Ein Hoffnungsfunken
Trotz aller Herausforderungen stimmt mich dies hoffnungsvoll, dass ein nachhaltiger Wandel der Ern?hrungswirtschaft m?glich ist. Europa und die Schweiz k?nnten dabei eine Pionierolle einnehmen. Die Instrumente und Zutaten hierfür liegen auf dem Tisch.
Referenzen
1 UN-Bericht zu Pr?vention von Zoonosen (06.07.2020): externe Seite Preventing the next Pandemic
2 Das Ern?hrungssystem verursacht mehr als 26 Prozent der globalen Treibhausgase (externe Seite Poore und Nemecek, 2018 in Science) – so viel, dass ohne Ver?nderungen unseres Essverhaltens die Pariser Klimaziele nicht erreichbar sind, auch wenn alle anderen Wirtschaftssektoren die Emissionen vollst?ndig senken würden (externe Seite Clark et al, 2020 in Science).
3 Mit einer pflanzenbasierten Ern?hrung liessen sich die globale Landnutzung und Abholzung deutlich reduzieren und bis 2050 gut 547?Gigatonnen CO2 aus der Atmosph?re speichern. Das würde die Wahrscheinlichkeit signifikant zu erh?hen, die Pariser Klimaziele zu erreichen (externe Seite Hayek et al, (2020) Nature Sustainability).
4 Zum Beispiel das ETH-Spin-off Planted
5 Fesenfeld LP, Wicki M, Sun Y, and Bernauer T. (2020). externe Seite Policy packaging can make food system transformation feasible. Nature Food, 1, 173-?182. DOI: externe Seite 10.1038/s43016-?020-0047-4
Lukas Fesenfeld fasst die Resultate der Studie in diesem externe Seite Video zusammen.