Extremwetter aus der Stratosphäre
Die ETH-Klimaforscherin Daniela Domeisen hat den Einfluss der Stratosph?re auf extreme Wetterereignisse dokumentiert. Von der Bandbreite m?glicher Einflüsse ist sie überrascht. Was es für die Klimaforschung und Langfristwetterprognosen heisst, sagt sie im Interview.
ETH-News: In Ihrer neuen Studie haben Sie viele Beispiele von Wetterextremereignissen zusammengetragen, welche mit Vorg?ngen in der Stratosph?re gekoppelt sind. Bislang hiess es jedoch immer, dass die Erderw?rmung solche Extremereignisse f?rdert. Gilt das nicht mehr?
Daniela Domeisen: (lacht) Doch, das gilt noch. Die Wissenschaft wusste allerdings seit l?ngerem, dass die Stratosph?re, also die Schicht zwischen 15 und 50 Kilometer über dem Erdboden, auch einen Einfluss auf das Wetter auf der Erdoberfl?che hat. Aber die wenigsten haben darüber gesprochen, dass die Stratosph?re auch Extremereignisse verursachen und beeinflussen kann. Das wollten wir mit unserer Studie heraussch?len.
K?nnen Sie Beispiele geben für Extremereignisse, die mit der Stratosph?re zusammenh?ngen?
Am besten untersucht ist das Ph?nomen von extremen K?ltewellen auf der Nordhalbkugel. Diese k?nnen auftreten, wenn sich der Polarwirbel in der Stratosph?re pl?tzlich erw?rmt und zerf?llt, wie dies gerade im Moment geschieht. Ein weiteres Beispiel ist eine Folge von schweren Stürmen, die im Februar 2020 immer auf die gleiche Region in England trafen. Das führte zu schweren ?berschwemmungen. Auffallend daran war, dass die Stürme die gleiche Zugbahn hatten. Dieses Ph?nomen h?ngt direkt mit der Stratosph?re zusammen: Der Polarwirbel war im Februar aussergew?hnlich kr?ftig und hat die Zugbahn stabilisiert. Dadurch nahmen die Stürme den gleichen Weg, w?hrend sich gew?hnlich die Zugbahnen h?ufig ?ndern. Wir fanden zudem auch Hinweise darauf, dass die Stratosph?re die extremen Waldbr?nde in Australien beeinflusste, Mini-Hurrikane im Nordmeer hervorrief und so weiter.
Waren Sie über die Vielzahl von solchen Extremereignissen überrascht?
Ja! Das ist die Botschaft der Studie. Im Lauf unserer Nachforschungen stiessen wir auf immer mehr Hinweise darauf, dass Wetterkapriolen an die Stratosph?re gekoppelt sind.
Wieso sind fast nur Regionen der Nordhemisph?re betroffen? Gibt es auf der Südhemisph?re weniger solche Ereignisse?
Das ist ein ?publication bias?: ?ber Extremereignisse auf der Nordhemisph?re gibt es viel mehr Studien als über solche auf der Südhalbkugel. Die Waldbr?nde in Australien sind ein prominentes Beispiel für ein Südhalbkugel-Ereignis. Der Polarwirbel über der Südhemisph?re fiel früher als üblich in sich zusammen. Das f?rderte die extremen Br?nde. Dazu kommt, dass auf der Nordhalbkugel mehr Menschen leben als auf der Südhemisph?re, da sie weniger Landmassen aufweist. Wie stark die Stratosph?re Südamerika oder das südliche Afrika beeinflusst, darüber wissen wir kaum etwas.
Wie funktioniert die Kopplung zwischen Stratosph?re und der Troposph?re, wo das Wetter stattfindet?
Die Kopplung nach oben geschieht vor allem über grossskalige Wellen in der Atmosph?re, welche von Bergen und von Temperaturunterschieden zwischen Land und Meer ausgel?st werden. Diese Wellen st?ren in der Stratosph?re die Winde und k?nnen so stark sein, dass sie den Polarwirbel auf etwa 30 km H?he mit typischen Windgeschwindigkeiten von über 200 km/h zerst?ren k?nnen. Weniger klar ist, wie das Signal aus der Stratosph?re zurück an die Erdoberfl?che gelangt. Danach beobachten wir h?ufig Erw?rmungen von mehreren Grad Celsius in der unteren Stratosph?re auf einer H?he von 10-15 km. Und das hat einen Einfluss auf unser Wetter. Aber wie solch ein Ereignis einen Sturm über England lenkt, verstehen wir noch nicht in Detail.
Wissen Sie, wie sich die Stratosph?re in Zukunft entwickeln wird?
Nein, das wissen wir nicht. Heutige Klimamodelle weisen ganz unterschiedliche Tendenzen aus, von einer w?rmeren Stratosph?re bis hin zu einer k?lteren. Wir k?nnen aber absch?tzen, dass die Stratosph?re für etwa 10 Prozent des Wettergeschehens im Winter verantwortlich ist. Die Stratosph?re k?nnte den Klimawandel in der Nordhemisph?re sogar d?mpfen, so dass die Klimaerw?rmung ohne den Einfluss der Stratosph?re vielleicht noch extremer w?re.
Was ist das Ziel Ihrer Forschung?
Eines der Ziele ist, Langfristprognosen für das Wetter zu erstellen, das heisst für mehrere Wochen oder Monate. Eine Quelle solcher Vorhersagbarkeit ist die Stratosph?re auf Grund ihres Einflusses auf unser Wetter. Wir k?nnen zwar anhand eines Stratosph?renereignisses nicht das Wetter auf den Tag genau für die n?chsten Wochen vorhersagen. Aber wir k?nnen Wahrscheinlichkeiten angeben, etwa für K?lte- und Hitzewellen. Verst?rken sich beispielsweise die Winde in der Stratosph?re, wird es wahrscheinlicher, dass es in den darauffolgenden Wochen über Nordeuropa mehr Stürme geben wird. Im Moment ist der Polarwirbel aber gerade extrem schwach.
Demnach wird es noch l?nger dauern, bis solche Daten in Langzeit-Prognosen von Wetter-Apps einfliessen?
Die Wettermodelle simulieren die Stratosph?re bereits, allerdings noch nicht gut genug. Dies führt weiterhin zu Fehlprognosen. Bei den normalen kurzfristigen Wettervorhersagen von mehreren Tagen haben wir viel mehr Erfahrung, denn sie wurden über Jahrzehnte verifiziert und verbessert. Bei l?ngeren Zeitskalen wissen wir im Moment noch viel weniger, und dafür müssen wir die globalen Zusammenh?nge auf der Erde verstehen, nicht nur die Vorboten unseres Wetters über dem Nordatlantik. Wir arbeiten in unserer Forschung daran, diese Zusammenh?nge zu verstehen, um diese Erkenntnisse dann in Wetter- und Klimamodelle einfliessen zu lassen.
Was müssen Sie als N?chstes erforschen, um die Wetterprognosen anhand von Stratosph?renereignissen zu verbessern?
Wir müssen zuerst die Kopplung zwischen der Stratosph?re und unserem Wetter besser verstehen. Zwar wissen wir: Wenn in der Stratosph?re etwas geschieht, erkennen wir oft einen Effekt auf der Erdoberfl?che. In einem Drittel der F?lle sehen wir hingegen nichts. Das verstehen wir nicht. Die Frage ist, ob die entsprechenden Stratosph?renereignisse oder die Kopplung zur Erdoberfl?che in diesen F?llen zu wenig stark waren. Es ist auch m?glich, dass das Wetter über der Erdoberfl?che zu chaotisch war und keine Gelegenheit hatte, auf das Stratosph?renereignis entsprechend zu reagieren. Es kommt auch darauf an, wie lange die untere Stratosph?re das Signal aufrechterh?lt. Ich verstehe diese Schicht als Signalgeberin, die auf die Troposph?re einwirkt. Wenn das Wetter das Signal aufnimmt, dann kann dessen Einfluss relativ lange, das heisst über mehrere Wochen, anhalten.
Welches sind Ihre n?chsten Projekte?
Ich m?chte die Regionen, für die langfristige Vorhersagen schwierig zu treffen sind, besser erforschen. Dazu geh?ren unter anderem Europa und Teile von Südamerika. Zudem wissen wir noch sehr wenig über in der Forschung unterrepr?sentierte Regionen in Afrika, Asien, und Südamerika. Dazu haben wir Projekte zu Brasilien und in Südafrika gestartet. Wir wollen herausfinden, ob wir Prozesse abbilden k?nnen, die noch nicht in den Modellen enthalten sind oder die wir besser in die Modelle integrieren k?nnen, mit numerischen Methoden oder Maschinellem Lernen, verknüpft mit einem verbesserten Prozessverst?ndnis. Zudem wollen wir weitere Extremereignisse finden, für welche wir langfristige Vorhersagbarkeit generieren k?nnen. Für Hitze- und K?ltewellen wissen wir bereits viel über die Zusammenh?nge mit dem Wetter und die Auswirkungen auf den Menschen. Daneben gibt es aber auch Hinweise auf einen Einfluss der Stratosph?re und anderer Prozesse auf weitere Extreme, beispielsweise Einflüsse auf die Luftqualit?t oder Starkregen-Ereignisse, welche sich extrem auf den Menschen auswirken.
Literaturhinweis
Domeisen DIV, Butler AH. Stratospheric drivers of extreme events at the Earth’s surface. Commun Earth Environ 1, 59 (2020). Doi: externe Seite 10.1038/s43247-020-00060-ze