In kleinen Schritten zum Tiefenlager
Wo sollen radioaktive Abf?lle für die Tiefenlagerung verpackt werden? Daniela Scherer erkl?rt, wie man diese komplexe Frage gemeinsam mit allen Akteuren angeht.
Setzen Staaten in ihrer Energiepolitik auf Atomkraftwerke, müssen sie sich über kurz oder lang mit der Entsorgung radioaktiver Abf?lle auseinandersetzen. Wurden diese anfangs noch im Meer versenkt, scheint sich heute ein wissenschaftlicher und politischer Konsens zur geologischen Tiefenlagerung durchgesetzt zu haben. Auf der Grundlage des Kernenergiegesetzes verfolgt auch die Schweiz die langfristige Lagerung radioaktiver Abf?lle in einem geologischen Tiefenlager. Wenn es darum geht, wo diese Tiefenlager gebaut werden sollen, gibt es viele offene Fragen und Skepsis. Auf dem Weg dorthin spielen nicht nur geologische Kriterien eine Rolle, sondern auch der Einbezug von allf?llig betroffenen Akteuren. Es ist naheliegend, dass die Chancen einer erfolgreichen Realisierung steigen, wenn die lokale Bev?lkerung, Gemeinden, Kantone und das benachbarte Ausland m?glichst früh miteinbezogen werden.
Zu einem Tiefenlager geh?ren auch verschiedene Anlagen an der Oberfl?che, in denen der nukleare Abfall für die Endlagerung vorbereitet wird. Es stellt sich die Frage, ob s?mtliche Handhabungsschritte am Standort des Tiefenlagers ausgeführt werden müssen oder ob die Verpackung in die Endlagerbeh?lter auch an einem anderen Ort stattfinden k?nnte. Damit wird die Frage einer Lastenverteilung angesprochen, was aus Sicht der Verhandlungsführung natürlich ein spannender Aspekt ist: Eine Region n?hme das Tiefenlager, eine andere die Verpackungsanlage.
Keine neue ?Nuklearisierung?
2020 hat der Bund dazu eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, deren Mitglieder aus den drei m?glicherweise betroffenen Regionen, den jeweiligen Kantonen, den benachbarten deutschen Landkreisen sowie aus der Gemeinde Würenlingen, in der die Abf?lle derzeit zwischengelagert sind, stammen. Wir vom ETH-Lehrstuhl für Verhandlungsführung und Konfliktmanagement sollten der Arbeitsgruppe L?sungsvorschl?ge unterbreiten und die Gespr?che moderieren. Dazu hat unser Team unter der Leitung von Professor Michael Ambühl ein allgemeines, umfassendes Bewertungsschema vorgeschlagen, das wir mit der Arbeitsgruppe sukzessive genauer ausgearbeitet haben.
?Das Beispiel zeigt, dass der Schweizer Ansatz der Partizipation eine echte Chance sein kann.?Daniela Scherer
Zun?chst mussten aber zwei grunds?tzliche Fragen gekl?rt werden: Wo k?nnten die Abf?lle sonst noch verpackt werden? Und ist die Sicherheit bei einer externen Verpackung gew?hrleistet? Aufgrund der Inputs von Fachleuten kamen wir zum Schluss, dass der wohl einzige sinnvolle externe Standort beim Zwischenlager Würenlingen liegt – will man doch eine ?Nuklearisierung? eines neuen Standortes verhindern. Es hat sich ebenfalls gezeigt, dass eine Verpackungsanlage überall gleich sicher betrieben werden kann. Diese beiden Erkenntnisse dienten als Arbeitshypothesen im weiteren Prozess.
Sich auf ein Bewertungsschema einigen
Aus diesen Vorarbeiten resultierte ein gemeinsam erarbeitetes Bewertungsraster, auf dessen Basis die Delegationen ihre Stellungnahmen strukturiert und vergleichbar abgeben konnten. Es ging dabei um Fragen rund um Lastenverteilung, Raumplanerische Konflikte, Synergien oder Transport. Jede Delegation beurteilte anhand dieser vier Kriterien, ob die Verpackung der Atomabf?lle beim Tiefenlager oder im Zwischenlager stattfinden soll. In den entsprechenden Stellungnahmen haben sich schliesslich die unterschiedlichen Einzelinteressen klar abgezeichnet.
Resultat dieses Prozesses war, dass die Delegationen eine gemeinsame Erkl?rung verabschiedeten, die neben den Positionen der beteiligten Akteure auch eine Empfehlung für das weitere Vorgehen enth?lt. Der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abf?lle (Nagra) wird darin empfohlen, abh?ngig von der Wahl des Tiefenlagerstandorts, bei der Frage der Platzierung der Verpackungsanlage nur noch die tats?chlich betroffenen Akteure miteinzubeziehen.
Aus meiner Sicht zeigt dieses Beispiel sch?n, wie der Schweizer Ansatz der Partizipation eine echte Chance sein kann. In diesem Fall konnten sich die betroffenen Akteure, die Nagra und der Bund zielgerichtet austauschen. Dieses Beispiel zeigt, dass L?sungen auch für komplexe und kontroverse nationale Aufgaben m?glich sind und dass sich die ETH Zürich in aktuelle soziotechnischen Fragen einbringt.