Keinen Platz für Diskriminierung und Belästigung

Diskriminierung und Bel?stigung verletzen die wissenschaftliche Integrit?t – aber nicht nur. Laut Janet Hering stellen sie auch eine Verschwendung von Ressourcen wie Energie, Talenten, Finanzen, Reputation und Kultur dar.  

Janet Hering

Wissenschaftliche Integrit?t ist für alle Forschende das h?chste und schützenswerteste Gut überhaupt. Die Akademien der Wissenschaften Schweiz haben im Mai einen neuen Verhaltenskodex für wissenschaftliche Integrit?t ver?ffentlicht.? Dabei geht es um all die Dinge, die wir Forschende nicht tun sollten. Natürlich sollten wir keine Daten f?lschen oder eine falsche Autorenschaft angeben. In Abschnitt über das wissenschaftliche Fehlverhalten in der Zusammenarbeit von Personen ist mir besonders folgender Punkt aufgefallen, den die Akademien der Wissenschaften als Fehlverhalten definieren: ?Jede Form von Bel?stigung und Diskriminierung, insbesondere aufgrund von kulturellen, sozio-demographischen oder anderen pers?nlichen Merkmalen und beruflichen Werdeg?ngen.?

Natürlich liegt das wichtigste Argument, warum sich Forschende gegenseitig nicht diskriminieren oder bel?stigen sollten auf der Hand: weil niemand das tun sollte. Doch gibt es noch einen weiteren Grund, warum wir im Wissenschaftsbetrieb, in unseren Institutionen ein besonderes Augenmerk darauf haben sollten: Diskriminierung und Bel?stigung sind schlicht auch eine v?llige Verschwendung von ganz unterschiedlichen Ressourcen.

Betroffen sind viele

Es ist zeitaufw?ndig und es braucht Energie, um Diskriminierung und Bel?stigung innerhalb einer Organisation zu verhindern. Aber noch mehr Energie brauchen Betroffene und die Angeh?rigen der Institutionen, wenn es zu F?llen von Diskriminierung kommt. Das kann für alle sehr belastend sein, und es kann dazu führen, dass Menschen ihre eigentlichen Aufgaben oder ihr Studium nicht mehr erfüllen k?nnen.

Offensichtlich k?nnten diese Ressourcen viel besser für die Kernaufgaben aller Beteiligten in ihren Institutionen genutzt werden. Der Aufwand und auch der Verlust werden umso gr?sser, je spezieller und auch h?her die Funktionen der Betroffenen und je l?nger sie für eine Institution t?tig sind. Und vergessen wir nicht: Minderheit sind besonders gef?hrdet.

?Wenn Menschen diskriminiert und bel?stigt werden, dann beeintr?chtigt das die Normen und die Kultur einer Institution – es gef?hrdet die ethische Grundlage, ohne die wir nicht forschen k?nnen.?Janet Hering

Und damit bin ich bei einem zweiten Punkt: Menschen, die Diskriminierung und Bel?stigung erleben oder beobachten, k?nnten sich dagegen entscheiden ein akademisches Studium oder eine akademische Laufbahn anzustreben. Damit verlieren wir vielleicht hochtalentierte Forschende für den Schweizer Forschungsplatz aus den falschen Gründen. Das ist eine Verschwendung von Potenzial. Es gilt also eine Atmosph?re zu schaffen, in der sich Forschende frei und ohne Angst entwickeln k?nnen.

Von Grundlagen der Forschung und Reputation

Drittens: Jede Hochschule, jeder Forschungsbereich ist viel mehr als nur ein Ort, an dem Menschen forschen. Wenn Menschen diskriminiert und bel?stigt werden, dann beeintr?chtigt das die Normen und die Kultur einer Institution – es gef?hrdet die ethische Grundlage, ohne die wir nicht forschen k?nnen. Es droht ein Kulturverlust. Die Akademien der Wissenschaften liegen meiner Ansicht nach deshalb richtig, wenn sie die individuelle Integrit?t in eine direkte Beziehung zur Integrit?t in der Forschung setzen. Das eine ist ohne das andere schlicht nicht m?glich.   

Viertens: Der gute Ruf ist eine fast unsch?tzbare Ressource, mit der man meiner Meinung nach sehr vorsichtig umgehen muss. Der gute Ruf einer akademischen Institution ist wesentlich für ihre F?higkeit, effektiv zu funktionieren. Und dies gleich aus mehreren Gründen: In der Schweiz werden die Hochschulen und Forschungsinstitutionen haupts?chlich von den Steuerzahlenden finanziert. Das Parlament hat den ETH-Bereich aufgefordert, Diskriminierung und Bel?stigung aktiv zu bek?mpfen. Diese Forderung sollten wir sehr ernst nehmen. Ein Reputationsverlust aufgrund von Diskriminierungs- und Bel?stigungsvorf?llen vermindert zudem die Attraktivit?t einer Institution und kann sogar ihre F?higkeit beeintr?chtigen, Drittmittel zu akquirieren. So hat beispielsweise der Europ?ische Forschungsrat ERC seine Absicht erkl?rt, im Rahmen von Besuchen bei ERC-Projektleitern und deren Institutionen geschlechtsspezifische Themen anzusprechen.?

Graue Menschenfiguren in einer Gruppe und eine rote Menschenfigur alleine abseits
Diskriminierung wirkt sich unter anderem negativ auf Kultur und Reputation einer Organisation aus. (Bild: Adobe Stock)

Es geht auch um Geld

Und natürlich der fünfte Punkt, der offensichtlich ist, wenn wir von Ressourcen sprechen: F?lle von Diskriminierung und Bel?stigung kosten die Institutionen unglaublich viel Geld. Da kommen Anwaltskosten, Verfahrenskosten, Entsch?digungen für die betroffenen Personen und vieles mehr zusammen. Pr?vention ist auch hier zweifellos kosteneffizienter und weniger destruktiv für die Einzelnen und die Institution als die Folgen von Diskriminierung und Bel?stigung zu bew?ltigen. Auch hier haben wir den Steuerzahlenden gegenüber eine Verantwortung. Ich gehe davon aus, dass sie uns ihr Geld anvertrauen, damit wir es in Forschung, Lehre und Technologietransfer investieren, nicht in Verfahren und Anwaltskanzleien.    

Es gibt viel zu tun, packen wir’s an

Was k?nnen wir gegen diese Verschwendung tun? Ein wichtiger Schritt bei der Suche nach L?sungen ist, dass wir erkennen, wie gross das Problem ist. Im Juli 2020 ver?ffentlichte die EPFL den Bericht der Kommission zum Status von Professorinnen.? Dabei wurden wichtige Fragen wie Lohn, Anstellung, aber auch die Kultur der Institution analysiert und auch Massnahmen vorgeschlagen. Eine vergleichbare und umfassende Studie wurde an der ETH Zürich noch nicht durchgeführt. Aber auch die ETH Zürich ist für zahlreiche Schritte zu loben, mit welchen sie der Vielfalt verbessern und Diskriminierung und Bel?stigung proaktiv bek?mpfen. Dazu geh?ren auch die seit drei Jahrzehnten bestehende Unterstützung der Stelle für Chancengleichheit und Diversit?t (Equa!l) und die kürzlich erfolgte Ernennung einer Vizepr?sidentin für Personalentwicklung und Führung.  

Es gibt noch unglaublich viel zu tun, um Diskriminierung und Bel?stigung, gerade auch von Frauen, in unseren Institutionen wirksam zu bek?mpfen. Doch es gibt schon viele, die aktiv sind. Besonders erw?hnen m?chte ich die Gruppe 500 Women Scientists in Zürich und Fribourg-Bern, die sich dafür engagieren, dass eine sichere und unabh?ngige Beschwerden-Plattform eingerichtet werden kann.? Diese Gruppe ist, zusammen mit vielen anderen internen und externen Organisationen?, ebenfalls eine Ressource. Hochschulen, Institutionen und der ETH-Bereich k?nnten sie nutzen, um besser zusammenzuarbeiten und Diskriminierung und Bel?stigung noch effektiver und nachhaltiger zu bek?mpfen. Nutzen wir Ressourcen, verschwenden wir sie nicht.

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